Verden. Kalt und glibberig ist das durchsichtige Gel, das Chefärztin Astrid Brunnbauer auf dem prallen nackten Bauch ihrer Patientin verteilt. Mit dem Kopf des Ultraschallgeräts gleitet sie über die Haut, und auf dem Bildschirm neben ihr erscheinen die Umrisse des heranwachsenden Säuglings. Auf Station 6 der Aller-Weser-Klinik (AWK) erblicken die neuen Bewohner des Landkreises Verden das Licht der Welt.
Es gibt eine Frage, die die werdenden Mütter vor einer Geburt am meisten stellen: „Wird das Kind gesund sein – das ist das Wichtigste. Und die Frage, ob sie starke Schmerzen haben werden“, erzählt Brunnbauer. Nach der Geburt sorgen sich die Mütter dann vor allem um die Frage, ob das Baby genug zunimmt.
Nadine Süllmann ist relativ gelassen, was diese Fragen angeht. Dieser Vormittag ist ihr vorerst letzter Tag im Verdener Krankenhaus. In einer halben Stunde will ihr Mann die 39-Jährige abholen, die jetzt noch mit gepackten Sachen auf dem Bett in ihrem Zimmer sitzt. Die Gelassenheit der Ahnebergerin kommt nicht von ungefähr. Der gerade zwei Tage alte Jann-Matty ist bereits ihr fünftes Kind. „Aber trotzdem ist keine Geburt wie die andere“, sagt sie. Aber eines hatten ihre Babys gemeinsam: Sie waren alle Spätzünder. So musste auch die Geburt des kleinen Jann-Matty eingeleitet werden. Aber auch der Lütte in ihrem Arm kam auf natürlichem Wege zu Welt. „Ich habe mich hier immer sehr wohl gefühlt“, meint Nadine Süllmann, die bei der Geburt ihres ersten Kindes in Bassum zarte 19 Jahre alt war.
Astrid Brunnbauer, selbst Mutter von zwei Kindern und seit rund 30 Jahren im Beruf, hat einige Veränderungen in dieser Zeit beobachtet und bemerkt, dass die Väter heute stärker einbezogen werden. 95 Prozent sind heute bei der Geburt des Kindes dabei, früher seien es weniger gewesen.
Babys werden immer schwerer
Und sie hat noch eine weitere Beobachtung gemacht: „Die Babys werden immer schwerer“, sagt sie. Das liege unter anderem an der Veränderung der Essgewohnheiten und der Überversorgung an Nahrungsmitteln. Die Entwicklung trage auch dazu bei, dass deutschlandweit die Zahl der Kaiserschnitte steigt. Bundesweit liegt die Quote bei weit über 30 Prozent. In Verden seien es dagegen nur 26 Prozent, und darauf ist die Chefärztin ein bisschen stolz. In den drei Entbindungsräumen herrsche eine angenehme Atmosphäre, die die normale Geburt fördere.
Im Juli 2016 kam Astrid Brunnbauer aus dem Diako Bremen nach Verden. „Ich komme hier gerne jeden Tag zur Arbeit“, sagt die Chefärztin nach ihrem ersten Jahr an der AWK. „Es herrscht eine entspannte Atmosphäre unter den Kollegen“. Brunnbauer brachte die Möglichkeit für spezielle Operationen für Krebspatientinnen mit. Minimalinvasiv, also durch eine möglichst kleine Öffnung am Körper, kann sie etwa Cysten am Eierstock entfernen. Und auch die ganze Gebärmutter. In diesem Zusammenhang erinnert sie sich an einen besonderen Fall, den sie und die Kollegen in Verden erlebt haben: „In diesem Jahr haben wir die drei Kilo schwere Gebärmutter einer Frau entfernt“, erzählt sie und fügt hinzu: „Normalerweise wiegt das Organ etwa 80 Gramm.“ Die Operation sei gut verlaufen, es habe sich bei der Wucherung nicht um Krebs gehandelt – und da die Frau bereits Kinder hatte, ist die Sache dank der Mediziner noch mal gut ausgegangen für die Patientin.
Das Team der Gynäkologie ist noch recht jung zusammen: Die Oberärzte Thomas Schrix und Jiantao Peng, Experte für Beckenbodenbehandlungen, sind ebenfalls noch nicht lange da. Insgesamt arbeiten neun Hebammen und acht ärztliche Mitarbeiter in Verden, der einzigen Station für Frauenheilkunde und Geburtshilfe im Landkreis. Die Zahl der Mitarbeiter ist vor Kurzem um vier aufgestockt worden. Und das war auch nötig, schließlich ist die Zahl der Geburten gestiegen: Vom 1. Juli 2016 bis zum 30. Juni 2017 sind in Verden 647 Kinder zur Welt gekommen – in den zwölf Monaten davor, weiß Brunnbauer, waren es 492. „Das entspricht einer prozentualen Steigerung von 31 Prozent“. Das liege natürlich an dem allgemeinen Trend zu mehr Babys, hänge aber auch mit der Beliebtheit des Krankenhauses zusammen, meint die Chefärztin. Recht neu ist auf der Station das Gerät für sogenannte Stanzbiopsien, es funktioniert mit Ultraschall. Mit ihm werden unklare Befunde in der Brust diagnostiziert. Ebenso neu ist auch eine Methode zur Behandlung von Krebserkrankungen an der Vulva: Wurden früher sämtliche Lymphknoten entfernt, ist der Prozess heute wesentlich schonender, erklärt Brunnbauer. Sogenannte Wächter-Lymphknoten können auf diese Weise entfernt werden.
Mehr als die technischen Möglichkeiten begeistert Astrid Brunnbauer allerdings eine ganz andere Sache an ihrem Beruf, wie sie sagt: „Für mich ist es am spannendsten, die Frauen zu begleiten – sei es bei einer Geburt oder Krankheit. Das macht mir am meisten Freude.“