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Ein Jahr nach der Allerflut Hochwasserschutz im Verdener Fischerviertel lässt noch auf sich warten

Hinter Iris von Brill liegt ein nervenaufreibendes Jahr. Wie es der Bewohnerin des Fischerviertels fast zwölf Monate danach geht.
19.12.2024, 14:48 Uhr
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Hochwasserschutz im Verdener Fischerviertel lässt noch auf sich warten
Von Jörn Dirk Zweibrock

Auf den Allerwiesen steht schon wieder Wasser. Auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses verfolgt Iris von Brill den Pegelstand tagtäglich auf ihrem Smartphone. "Wir waren schon bei über vier Meter", erzählt sie. Fast ein Jahr ist es jetzt her, dass ihr denkmalgeschütztes Haus im Verdener Fischerviertel vom Hochwasser heimgesucht wurde. Ein Jahr, in dem sich die Handwerker bei ihr die Klinke in die Hand gegeben haben, ein Jahr mit hohen Rechnungen, ein Jahr voller Enttäuschung, warum sich in Sachen Hochwasserschutz im Fischerviertel bislang immer kaum noch etwas getan hat.

Traumatische Erlebnisse

"Neulich habe ich mir die Hochwasser-Bilder wieder auf meinem Smartphone angeschaut und dabei noch einmal alles durchlebt", sagt die Verdenerin. Es sei wie ein Trauma. Das Einzige, was bleibe, sei die Hoffnung, dass der Pegel zwischen den Jahren nicht wieder so rasant ansteige wie im vergangenen Jahr.

Nachdem eine Hausseite durch die Fluten abgesackt war, rückten im Sommer die Handwerker bei ihr am Mühlentor an und buddelten alles auf. "Dabei sind sie auf ein Rohr gestoßen. Vermutlich verläuft es in Richtung Aller und hat den Schaden angerichtet", spekuliert die Bewohnerin des Fischerviertels. Alles sei dann verfüllt, betoniert, aufgeschüttet und neu gepflastert worden. "Alles in allem hat das zwischen zwei und drei Wochen gedauert und war mit Absperrungen verbunden."

Schnelle und unbürokratische Hilfe

Über eine Elementarschadenversicherung hat von Brill nie verfügt, auch keine Hochwasserhilfen vom Land in Anspruch genommen, aber "einen Obolus" vom Denkmalschutz erhalten, und zwar "ganz unbürokratisch und schnell". Dafür sei sie unglaublich dankbar.

Auch im Hausflur hat der hohe Grundwasserstand seine Spuren hinterlassen. "Die Wand ist nass, der Putz löst sich auf, es bildet sich schon Schimmel", erzählt die Verdenerin und streicht mit ihrer Hand über die aufgequollenen Fußleisten. Damit von Brill wenigstens in diesem Jahr in Ruhe das Fest begehen kann, hat sie sich dafür entschieden, die weitere Baustelle erst im neuen Jahr in Angriff zu nehmen. Per Infrarot müsse die Wand tagelang getrocknet, der Putz abgetragen, alles aufgebohrt und verkieselt werden "Von draußen auch." Den Neuanstrich nicht zu vergessen.

Ärger über fehlenden Schutz

"Wenn es im Harz regnet, steigt die Aller hier innerhalb einer Woche um einen Meter und sinkt genauso schnell wieder." Wie heiße es doch immer so schön – Panta rhei, alles fließt. "Wir waren doch schon bei über vier Meter, die Stadt Verden wollte doch einen mobilen Hochwasserschutz für das Fischerviertel anschaffen. Das hätte doch schon längst fertig sein müssen. Ich kann nicht verstehen, warum das so lange dauert", fragt sich die Verdenerin, die die Bilder von vergangenem Jahr einfach nicht aus dem Kopf bekommt. Ein Trauma. "Was haben wir 2023 zwischen den Jahren für Sandsäcke schleppen müssen", erinnert sie sich die Verdenerin noch wie heute.

"Als Stadt haben wir die Zeit nach dem Hochwasser genutzt und unsere Lehren daraus gezogen", berichtet Philipp Rohlfing, Leiter des Fachbereichs Sicherheit und Ordnung, von verbesserten Ablauf- und Einsatzplänen. Bauliche Vorhaben, wie einen mobilen Hochwasserschutz für das Fischerviertel umzusetzen, seien technisch gesehen nicht so einfach. "Das Modul, das wir für das Bollwerk angefragt haben, ist zu teuer und wird vom Land nicht gefördert", erklärt der Verdener Ordnungsamtsleiter. Er beziffert die Kosten dafür auf rund eine Million Euro.

Politik entscheidet im neuen Jahr

"Es sind nun mehrere Varianten im Spiel, die Anfang des Jahres von der Politik beschlossen werden sollen." Zur Debatte stehe, ob besagtes Modul dennoch angeschafft werden solle oder ob im Zuge der Aufwertung des Alleruferweges (unter anderem Barrierefreiheit) der Hochwasserschutz im Fischerviertel und am Bollwerk vorgezogen werden solle. "Möglich wäre dort die Errichtung eines teilmobilen Hochwasserschutzes wie im Allerpark – also eine Grundmauer, die bei Bedarf mit Dammbalken aufgefüllt werden könnte", erläutert Rohlfing. Geplant ist, die Hochwasserschutzmauer im Allerpark künftig in Richtung Meyer-Verden-Gebäude zu verlängern. Neben dem Preis, der Lagerung und der Aufbaugeschwindigkeit sei die Frage der Sicherheit natürlich die wichtigste. Fest stehe, dass ein mobiler Hochwasserschutz nun einmal nicht so sicher sei wie ein fester.

In Sachen Regenwasser und Kanalisation habe die Stadt im Fischerviertel zudem nachgebessert, deswegen glaube er nicht, dass das Wasser dort noch einmal so hoch stehen könne wie im vergangenen Jahr, betont Rohlfing.

Hoffnung stirbt zuletzt

Wie gesagt, das Einzige, was Iris von Brill bleibt, ist die Hoffnung, dass sich so eine Naturkatastrophe wie im vergangenen Jahr nicht so schnell wiederholt. Noch heute ist sie tief bewegt, wenn sie an die Hilfsbereitschaft der Einsatzkräfte denkt. "Neulich hat jemand vom THW bei mir geklingelt und sich erkundigt, wie es mir geht. Das fand ich so toll." Auch für die Feuerwehr findet sie nur lobende Worte. "Sie sind zu Recht für ihren Einsatz ausgezeichnet worden."

Vielleicht gelingt es der Bewohnerin des Fischerviertels ja über die Festtage, für einen kurzen Moment das Smartphone außer Acht zu lassen, nicht ständig auf die Pegel-App zu schauen und einfach mal zur Ruhe zu kommen. Einfach ein Jahr voller Handwerksbesuche, Überweisungen und Frust über die langsam mahlenden Verwaltungsmühlen hinter sich zu lassen.

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