Strahlend schöne Spätsommernacht, oben Mond und Sterne, unten die Glühwürmchen warmer Lichter auf den Bistrotischen vor Domschänke, Osteria Max und Lugenstein. Das Bermuda-Dreieck in der Süderstadt hat sich schick gemacht für die Kneipennacht. Fast immer sind alle Sitzplätze besetzt, denn die Musik hört man auch draußen: Fenster und Türen stehen offen, überall ein bisschen Open Air.
Im Max spielt das Duo Pure Invention ein Heimspiel: Sänger Tim Conrad tritt seit seiner Schulzeit überall in der Region auf und hat eine sichtlich große Fangemeinschaft vor Ort. Gemeinsam mit Markus Keller spielt er Akustik-Cover mit zweistimmigem Gesang, Pop und Rock quer durch die Charts und Party drinnen und draußen. Grade haben sie Mark Fosters "Chöre" am Wickel. Die ganze Kneipe singt "Oh-oh-oh-oh", denn so ein Refrain singt sich ja wie Butter.
Ukulelen-Duo springt ein
In der Domschänke nebenan wäre es beinahe still geblieben – die Band Chris B. hat Corona erwischt und musste am Vortag absagen. Daraufhin wurde sehr viel telefoniert und dann die Celler Ukulelen-Band Ukeboxx aus dem Hut gezaubert. "Es ist toll, wie wir diese Hauruck-Aktion meistern konnten", freut sich Silvia Voige, Sprecherin des ausrichtenden Vereins. "Inzwischen gibt es ein tolles Netzwerk, und unser Festival hat überall einen guten Namen." Auch viele andere Bands hätten, so Voige, Lust gehabt, einzuspringen – nur eben nicht direkt am folgenden Tag. Das aber hat die Ukeboxx getan, und die Band im Hawaii-Look mit Blumenhemden und über den Notenständern drapierten Hula-Girlanden macht dem Publikum an der großen Bass-Ukulele und ihren dagegen winzig wirkenden kleinen Schwestern sehr viel Spaß. Auf ihnen geht inklusive virtuoser Riffs wirklich alles – sogar "plugged", also eingestöpselt, können sie eingesetzt werden und liefern verstärkt einen überraschend rockigen Sound!
Im Lugenstein spielen Sax and Friends gepflegte Cover aus einem großen Spektrum zwischen Rock, Latin, Swing und RnB. Gerade folgt auf Neil Diamonds "Sweet Caroline" der fetzige Brian Ferry-Titel "Let's stick together" – eine lebendige Juke-Box mit saxofonlastigem Wohlfühl-Sound.

Die Greyhounds Washboard Band konnten im Pades einige neue Fans für sich gewinnen.
Ersatz für das Sottis
Ganz und gar stumm bleibt das Sottis – ein herber Verlust für die Kneipennacht und für die ganze Stadt. Auch für die abgebrannte Kult-Kneipe gibt es einen Einspringer: La Piazza am Rathaus hat eigentlich diesmal pausieren wollen, jedoch spontan umdisponiert. Im Freien wurde ein Zelt mit Bühne aufgestellt und bietet eine lauschige Atmosphäre für die "Zwei-Mann-Bigband" Ro-Mi, deren eine Hälfte allerdings auch erkrankt ist, sodass Mickey Neher die Band in Ma-Mi wie Marcus, seinen vielseitig versierten Orgelpartner, umbenennt. Nachdenklich, virtuos, mit Mickeys ungewöhnlicher Kombination von Gesang und großer Drummer-Performance, liefert sie einen sehr persönlichen, geradezu intimen Auftritt mit dem gewissen Etwas.
Die Band Sonic Health Club spielt halb vor, halb im Kostbar in der Herrlichkeit. Sie liefert groovenden Funk-Pop aus eigener Feder, und draußen herrscht die ganze Straße rauf und runter ausgelassene Festival-Stimmung.
Brückstraße imponiert mit Ambiente
In der Brückstraße passen Ambiente und Musik zusammen wie Faust aufs Auge: Uriger Blues mit Doctor Cleanhead in uriger Kneipenatmosphäre, in der die Zeit stehen geblieben zu sein scheint: Verräuchert (obwohl am Abend mal Rauchverbot herrscht) und mit einem völlig naturbelassenen Retro-Innenleben. Helga Dunker-Güldenpenning aus Walle ist total begeistert: "Ich war noch nie hier drin und entsprechend neugierig. Das ist so eine tolle Band und eine so fröhliche Stimmung, es macht riesig Spaß, das Miteinander der Band und ihre tolle Kommunikation mit dem Publikum zu erleben." Mit Waschbrett, Blues-Harfe, Steel Guitar und tollem Groove feiert die Bremer Band stilechte Blues-Nostalgie.
Rappelvoll zu jeder Zeit ist das Portofino mit Stringsteen Unplugged, die mit ihren Springsteen-Covern mit zwei Gitarren, Bass, Keyboard, Drums und Gesangsduo ordentlich Wind machen. Fans umlagern die Gruppe und können jeden Song mitsingen.
Immer wieder Waschbrett-Musik
Nun aber zurück in die Süderstadt, wo im Pades gerade Pause war. Antje Mahnke-Ritoff und ihre Freundin Britta Jensen haben Greyhounds Washboard Band schon gehört: "Diese Band ist einfach geil! Der Drummer mit Waschbrett-Schlips und Schneebesen als Percussion-Sticks – das ist total witzig und außergewöhnlich!" Reinrassiger Blues der ersten Liga verwöhnt hier viele Fans so sehr, dass sie einfach die ganze Nacht sitzen bleiben. Die selbst gebaute Rhythmusmaschine, fantastischer Gesang, Bluesharp und authentischer Gitarrensound wecken den Wunsch nach einem eigenen Konzert, das man von vorn bis hinten erleben kann!
Im Domgymnasium brennt die Luft. Voll, glühend heiß, außer Rand und Band! Die Band Dictionary of Funk um den quirligen Sänger Anthony Carney buchstabiert ihren Fans tatsächlich die ganze Palette der Funk- und Soulgeschichte mit authentischen Covern, originellen Eigenkompositionen und springlebendiger Bühnenshow durch. Gerade geht hier mit "Uptown Funk" ultimativ die Post ab.
Zum Schluss geht es zurück in die Obere Straße. Der intim-intelligente Sound der fünfköpfigen Band Hanse Swing Project im Glanders No. 13 war vorhin so schön und die Band so sympathisch, dass der Abend hier enden soll. Mit all den Swing-Klassikern des Great American Songbook von Gershwin, Armstrong und Fitzgerald bis Richard Rogers und dem Rat Pack wird hier am laufenden Band abgeliefert. Dazwischen gibt es Anekdoten berühmter Swing-Protagonisten und immer wieder den warmen, natürlichen Gesang der unwiderstehlich sympathischen Frontfrau Nina Majer. Und was kann es für einen schöneren Absacker um nach 1 Uhr nachts geben als Ella Fitzgeralds zärtliches "Every Time we say Goodbye"?