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Musikfest "Missa Solemnis" begeistert Publikum im Verdener Dom

Ein Musikerlebnis von Intensität, faszinierenden Kontrasten und geistlicher Aufrichtigkeit bleibt den Gästen des Musikfests im Verdener Dom in Erinnerung. Dirigent René Jacobs wurde eine besondere Ehre zu Teil.
06.09.2024, 15:04 Uhr
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Von Susanne Ehrlich

Klangpracht, Perfektion und Werkinter­pretation voller Entdeckungen sind Standard bei den Gastspielen des Bremer Musikfests im Verdener Dom, denn Intendant Thomas Albert ist es Jahr für Jahr gelun­gen, erstrangige Interpreten und erlesene Werke hierher zu holen, die sowohl der kathedralen Würde als auch der schwie­rigen Akustik im Dom gerecht werden und das Publikum mit Aufführungen der ersten Liga zu verwöhnen.

Mit Beethovens "Missa Solemnis" gelang es dem belgischen Dirigenten René Ja­cobs am Donnerstagabend, ein "sperriges Werk", wie es im Programmtext heißt, in einer sperrigen Akustik zu einem Musikerlebnis von Intensität, faszinierenden Kontrasten und geistlicher Aufrichtigkeit zu machen.

Auszeichnung für Dirigent

Jacobs, von Albert als "einer der prägen­den Protagonisten der flämisch-nieder­ländi­schen Originalklang-Bewe­gung" be­schrieben, dirigierte an den führenden Bühnen Europas, der USA und Asiens, errang viele bedeutende Preise und wurde nun im Anschluss an das Konzert im Domherrenhaus vor geladenen Gäs­ten für seine Verdienste in der internati­onalen Musikwelt mit dem diesjährigen Musikfest-Preis ausgezeichnet.

Das flämische B'Rock Orchestra, die Zürcher Sing-Akademie und ein erstran­giges Soloensemble (Birgitte Christensen, Sophie Harmsen, Thomas Walker und Johannes Weisser) musi­zierten mit begeisternder Strahlkraft, Differenziertheit und gegenseitiger Ein­fühlung, sodass unter Jacobs so ruhigem wie inspirierendem Dirigat eine gera­dezu neuartige Interpretation voll inten­siv herausmodellierter Details entstand.

Der hörbar junge und exzellente Chor war rechts und links seitlich zum Or­chester aufgestellt, sodass die Stimmli­nien beider Ensembles nicht übereinan­der, sondern parallel zueinander verlie­fen und ein optimaler Raumklang entstand.

Harmonierende Stimmen

Die vier Solosänger und -sängerinnen standen hinter dem Orchester, sodass sie weniger exponiert als gewöhnlich und sozusagen gleichberechtigt in den Ge­samtklang eingewoben wirkten, was ge­rade in der Missa, die nur wenige reine Solopartien besitzt, sondern das Solistenteam zumeist im Ensemble agie­ren lässt, tatsächlich stimmig wirkte. Wann immer sich die Soli aus dem Klanggrund heraushoben, ließen ihre ideal miteinander harmonierenden Stimmen aufhorchen, wie zum Beispiel beim Solo-Tenor-Einsatz im Kyrie, der, gefolgt von den Frauensoli, zu einem Gänsehaut-Moment wurde. Auch das letzte "Eleyson", das in seiner dicht ver­wobenen Vielschichtigkeit aller Stim­men gar nicht enden wollte, berührte tief. Denn das ist eine der besonderen Stärken von Jacobs' Interpretation: Sie nimmt den Messetext sozusagen wort­wörtlich beziehungsweise zeigt sie, dass Beetho­ven selbst genau das getan hat, sodass jedes Detail der biblischen Bilder in größter Anschaulichkeit ausgeformt ist.

Das aufbrausende Gloria zeigte span­nungsgeladene Energie bei bester Trans­parenz. Die schmerzlich-schönen Disso­nanzen des "miserere nobis" bestachen ebenso wie die weiche Flüssigkeit der Fuge Quoniam und die Ausdruckskraft des Solo-Ensembles, die direkt an den vierten Satz der Neunten erinnerte.

Zärtliches Zwi­schenspiel

Im Credo war die Konkretisierung der Passionserzählung beinahe auf die Spitze getrieben. Die Stimmung wechselte von Vers zu Vers, das "et incarnatus est" wie ein verwunderter und verwundernder Diskurs, das "et resurrexit" zum Himmel heraufleuchtend, "judicare vivos et mortuos" von den Trompeten des jüngs­ten Gerichts eingeleitet. Die Chorfuge "credo in spiritu sancto" wiederum wirkte mit ihrem immer wieder aufein­ander fallenden "Credo, credo, credo", als wolle sich Beethoven mit zweifeln­dem Trotz seines eigenen Glaubens ver­gewis­sern. Nach dem zärtlichen Or­chester-Zwi­schenspiel ent­fal­tete auch das Amen mit dem innigen Chorgesang und den flehentlich fragen­den Partien der Solis­ten eine Atmo­sphäre tiefer Traurigkeit. Das ganze Credo wirkte in seiner Ge­stimmtheit tatsächlich eher wie ein Re­quiemsatz.

Das unterstrichen auch die leisen Violi­nen-Schreie im tastend und fragend an­hebenden Sanctus. Beim "ple­ni sunt coeli" stiegen die Flöten nicht in den Himmel hinauf, sondern von ihm herab. Das Benedictus schließlich mit dem zärtlichen Weinen der durch­laufenden Violinenkantilene (Bravissimo, Kon­zert­meis­ter Evgeny Sviri­dov) ver­stärkte den Eindruck, der Meister habe sein eigenes Requiem geschrie­ben.

Flehentliches Bitten um Frieden

Das "Agnus Dei", dessen fle­hentliche Bitte um Frieden von den Krieg malen­den Blechbläsern und Pau­ken konterka­riert wurde, lässt sich nur mit dem Wort "erschütternd" beschrei­ben. In den be­reits in die Hochroman­tik weisenden Passagen regierten helle Dissonanzen, aufgewühlte Streicher, immer wieder dramatisch übereinander­geschichtete "Pa­cem-Pacem-Pacem"-Rufe. Kaum zu begreifen, wie es Beet­hoven gelang, so viele Motive und Stimmungen, so viele Farben und dra­matische Entwicklungen in die drei Worte "Dona nobis pacem" zu packen.

Das Werk schließt statt mit Amen mit dem vielfältig gestalteten, verzweifelten Ruf nach Frieden, der im­mer wieder von kriegerischem Grollen begleitet wird. Das konnte niemanden unberührt lassen, da musste man sich an­schließen und um Frieden nicht nur für unsere zerrüttete Welt, sondern auch für die Seele des ein­samen Genies bitten.

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