Seit über einem Monat purzeln bei "Heike und Paule" die Preise. Die Angebote sollen allerdings keinen Platz für neue Ware schaffen. Mit ihnen endet die Geschichte des Spielwarengeschäftes an der Großen Straße. Zu viel sei in den vergangenen Jahren passiert, bringt es Chefin Heike Schmidt auf den Punkt. Corona, Inflation, steigende Energiepreise, die Konkurrenz aus dem Netz – eine Krise folgte auf die andere und nun sei es einfach genug.
Mit einem lachenden und einem weinenden Auge steht Schmidt in ihrem Geschäft, schiebt leere Regale zusammen. Auch sie werden nach und nach verkauft. Je weniger Ware da ist, desto größer wirken die Räumlichkeiten. Vor den Spielwaren beherbergte die Adresse eine Drogerie. Dass die Immobilie nach ihrem Auszug schnell mit einem neuen Geschäft belebt werde, das könne sie sich nicht vorstellen, sagt Schmidt. Zu hoch seien in der kalten Jahreszeit die Energiekosten.
Klein angefangen
Die Geschichte von Heike und Paule fing ganz klein an. "Ich habe Kurse rund ums Baby gegeben", erzählt Schmidt. Immer wieder sei sie für ihre Kurse auf Messen unterwegs gewesen und habe dabei Spielzeug entdeckt, dass sie aus anderen Geschäften nicht kannte. Als "fliegende Händlerin" habe sie dann begonnen, eine Auswahl an Spielsachen selbst zu verkaufen. Mit der Kundschaft wuchsen auch ihre Möglichkeiten. Ihr erstes Geschäft war noch kleiner, vor rund zehn Jahren bezog sie dann die Räume an der Großen Straße 109. Spielzeug von besonderen Marken, die es nicht an jeder Ecke gab, stand bei ihr besonders im Fokus. "Ich bin immer auf der Suche nach dem Schönen", erzählt sie. Ihren Kundinnen und Kunden Außergewöhnliches zu bieten, das habe sie sich auf die Fahne geschrieben.
Mütter, Väter, Tanten, Onkel, Großeltern und Co. dankten es ihr. Wo denn Paule sei, wollte der eine oder andere wissen. "Der liegt im Keller", lautete dann Schmidts Antwort. Denn hinter Paule versteckte sich keineswegs ein Geschäftspartner, sondern eine Puppe, die bei den Baby-Kursen zum Einsatz kam. Die ersten Jahre lief das Geschäft auf Höhe der Bronzefohlen wunderbar, blickt Schmidt zurück. Ihr Angebot und die Angebote anderer Geschäfte hätten sich perfekt ergänzt. Und dann kam die Pandemie. "Während Corona habe ich hart gekämpft", erzählt sie. Als "Heike und Paule" wie andere Geschäfte, die nicht den täglichen Bedarf betrafen, geschlossen bleiben musste, suchte sie nach Alternativen. Sie beriet ihre Kundschaft per Telefon, führte per Videoanruf durch ihr Sortiment, präsentierte ihre Waren online auf ihrer Facebook-Seite. Sie verschickte bestellte Waren oder lieferte sie persönlich aus. Mit Mühe hangelte sie sich durch die Krise und wurde dann gleich von der nächsten getroffen. Kurz habe sie überlegt, sich räumlich zu verkleinern. Doch das hätte nur eine weitere Investition bedeutet, die schwer zu stemmen gewesen wäre. Dann lieber gleich einen klaren Schlussstrich ziehen, lautete das Vorhaben.
"Ich musste mein Haus verkaufen", erzählt Schmidt. Die Krisen verschlangen immer mehr Geld, eine finanzielle Erholung war nicht in Sicht. In diesem Jahr entschied sie sich dann, die Reißleine zu ziehen. "Es ist nicht meine Art, zu bedauern, was ist", sagt sie. Über das Leid zu klagen, das komme für sie nicht infrage. Ganz im Gegenteil. "Wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich eine andere", ist sie überzeugt. "Heike und Paule" zu öffnen, das sei ein Wagnis gewesen. Nun wage sie noch einmal einen großen Sprung. Sie schließt ihr Geschäft und möchte außerhalb Verdens neu anfangen. "Mut ist mein zweiter Vorname", sagt sie. In Minden möchte sie sich ein neues Leben aufbauen.
Ranzen ziehen um
Wie lange "Heike und Paule" noch geöffnet bleibe, werde sich zeigen. Die Rabatte steigen, das Angebot schrumpft. Der Mietervertrag läuft noch ein wenig, doch bis zu dessen Ende werden sie und ihr Team nicht mehr hinter dem Verkaufstresen stehen. Einen kleinen Teil ihres Sortiments wird es auch nach der Schließung noch geben. Denn das Schulranzen-Geschäft wird von "Deerns und Butjer" einige Häuser weiter übernommen. Auch eine Mitarbeiterin werde dorthin übersiedeln, sagt Schmidt. Für eine weitere beginnt die Rente.
Viele Stammkundinnen und -kunden seien von der Schließung sehr betroffen gewesen. Immer wieder kämen Kinder, die sie von klein auf kenne, in ihr Geschäft, um noch einmal "Hallo" zu sagen. "Sie kommen manchmal einfach rein, um mir ihre neuen Schuhe zu zeigen oder etwas zu erzählen", sagt Schmidt. Das werde ihr sehr fehlen. Dennoch freue sie sich auch auf ihren Neuanfang.