Oft ist Axel Kaufmann nach eigenen Worten nicht im Wendebecken gewesen. Aber am richtigen Tag. Der damals 17-Jährige feierte am Silvesterabend 1966 in der Disco in der Lemwerderaner Außendeichsiedlung ins neue Jahr. "Da habe ich meine Frau kernnengelernt", erinnert sich der Lemwerderaner. Allerdings nicht auf der Tanzfläche oder am Tresen. Vielmehr rettete er sie aus einem Kellerschacht.
"Meine Frau war gerade 15 geworden und bei ihrer Oma und ihrem Opa in der Vulkanstraße zu Besuch. Kurz vorher war ihre Tante gestorben. Da wurde nicht gefeiert", erzählt der 75-Jährige. "Aber sie und ihre Cousine waren neugierig. Die haben durch einen Spalt in der Gardine durchs Fenster ins Wendebecken geguckt."
Als jemand ruckartig den Stoff zurückzog, taumelte das Mädchen erschrocken rückwärts, verlor den Halt und landete im Kellerschacht. "Die waren damals noch nicht abgedeckt", erinnert sich Axel Kaufmann. Sein Glück. Denn der damals 17-Jährige half dem zwei Jahre jüngeren Mädchen aus der misslichen Lage heraus. Ein erster Kontakt. Keine Liebe auf den ersten Blick. Aber immerhin kannte man sich jetzt. "Im Mai haben wir uns erst wiedergetroffen. Aber dann hat es gefunkt und bis zum Tod meiner Frau gehalten", erzählt der Senior.
Einer, der fast an jedem Öffnungstag in der Diskothek an der Ecke Lürssenstraße/Weserstraße in der Außendeichsiedlung anzutreffen war, ist Andreas Jabs. "DJ Andy" ist eine Institution in der südlichsten Wesermarschgemeinde. Bis heute.
Der Ur-Lemwerderaner, der seit zweieinhalb Jahren in Griechenland lebt, hat schon in jungen Jahren bei Feiern aufgelegt. "Ich habe im Amourose am Deich angefangen", erzählt der 67-Jährige. Zumindest professionell. Denn davor hat er bereits Klassenfeten in der Schule beschallt.
Irgendwann sei Bodo Lüdtke, der Inhaber der Wendebeckens, auf ihn aufmerksam geworden. Im Amourose war Jabs mittlerweile nicht mehr glücklich. Die Einrichtung hatte einen zweiten DJ engagiert. Da Lüdtke zudem besser zahlte, fiel dem gelernten Elektriker und Nebenerwerbs-DJ der Wechsel leicht. "Im Amourose hatten die extra eine neue Anlage installiert. Aber die Leute waren bei mir", erzählt der Musiker.

Auf seinem Platz hinter dem DJ-Pult im Wendebecken hat sich Andreas Jabs stets wohlgefühlt.
Im Wendebecken waren sie zu dritt: Jabs und die beiden Martins, Fiebelkorn und Plitzko. Andreas Jabs hat dabei nicht einfach nur Musik aufgelegt. Er ist in der Tätigkeit aufgegangen, hat sich Animation für die Gäste einfallen lassen. "Ich habe auch Eierlaufen und Sackhüpfen mit den Leuten gemacht", erzählt der Discjockey lachend. "Im Wendebecken gab es zwei Treppen in den Keller und unten einen Verbindungsgang. Da sind wir auf der einen Seite rein und auf der anderen Seite wieder raus." Legendär seien zudem die Karnevalfeiern, Spaghetti-Wettessen und Popcorn-Partys gewesen. "Da flog das Popcorn durch den Laden", erzählt Jabs noch immer voller Begeisterung.
Bis in die frühen Morgenstunden machte der heute 67-Jährige Musik. Und nur, weil DJ Andy irgendwann Singles und CDs zusammenpackte, hieß das nicht, dass die Party zu Ende war. "Wer bis morgens durchgehalten hat, ist häufig noch mit dem Bus nach Hamburg gefahren. Das war die beste Zeit", sagt Andreas Jabs.

DJ Andy motivierte nicht nur die Gäste zu Tänzen und Polonaisen. Er war auch sebst auf der Tanfläche aktiv.
Das sieht auch Ingrid Sondag so. "Da bin ich fast aufgewachsen", erinnert sich die ehemalige Discogängerin." Andy wusste, was er aufzulegen hatte, wenn ich reinkam. Und das wusste er sicherlich auch von anderen." Ihr absoluter Lieblingssong als Teenagerin war Moviestar von Harpo.
Freitags und sonnabends verbrachte sie die Abende "mit der Clique" im Wendebecken. "Wir waren eine feuchtfröhliche Gesellschaft." Vorglühen in Blackys Eck in Ganspe, dann weiter nach Lemwerder. "Einer hatte immer ein Auto", erinnert sich Ingrid Sondag. Und wenn sich am Ende der Nacht bereits alle Freunde verabschiedet hatten, wanderte die Gansperin auf dem Deich nach Hause. "Das war eine schöne Zeit. Und das Wendebecken war für unsere Jugend die Anlaufstelle."
Ingrid Sondag und ihre Freunde konnten sich sicher sein, dass Andreas Jabs freitags und sonnabends auflegte: Pop, Soul, alles was in den Charts war. Jabs entwickelte dabei einen Riecher für erfolgreiche Musik. "Von einem Laden in Bremen durfte ich Platten ausprobieren, die noch nicht auf dem Markt waren. ,Rock you baby' von George McCrae war beispielsweise schon ein halbes Jahr bevor der auf dem Markt war die Nummer eins im Wendebecken."
Der Donnerstagabend war nicht so nach dem Geschmack von Jabs und Sondag. "Das war so ein progressiver Abend. Das war nicht so meine Wellenlänge", erinnert sich die ehemalige Discogängerin. Mit Heavy Metal und Hard Rock, Deep Purple und Led Zeppelin wusste sie nichts anzufangen. Für die oft düsteren Songs mit ihren verzerrte Gitarren-Soli reiste eigens DJ Tüdi aus Oldenburg an.
Heinz Feja war einer derjenigen, die mit Fahrrädern und Mofas vom Ortskern raus in die Außendeichsiedlung gefahren sind. "Wir sind öfter mal von einer Disco in die andere gefahren", erinnert sich der 67-Jährige. "Damals gab's viele kleine Discos auf dem Land. In Lemwerder zählte neben dem Wendebecken und dem Amourose jeden zweiten Sonnabend Kasimirs Kellerdisco in Ritzenbüttel als Anlaufstelle. "Das war eine gute, wilde Zeit", resümiert Heinz Feja.
Wild ging es auch manchmal vor dem Wendebecken zu. Wenn Gruppen aus dem Umland, aus Bremen-Nord, Oldenburg oder Hude anreisten, kam es zu der ein oder anderen handfesten Auseinandersetzung vor der Lokalität, erinnert sich Andreas Jabs. "Einmal haben wir eine Gang aus Oldenburg mit Feuerlöschern vertrieben", erinnert sich der DJ.
Viele Geschichten rund ums Wendebecken sind noch präsent. Wann die Kneipe zur Diskothek umgewandelt wurde, vermag aber niemand mehr genau zu sagen. Nur, dass es 1982 seine Türen schloss, da ist sich Mitarbeiter Andreas Jabs ziemlich sicher.

Die Diskothek Wendebecken befand sich in der Außendeichsiedlung Lemwerder.