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Verein „Kleine Herzen Hannover“ will Personal auf Intensivstationen bei Stressbewältigung helfen Ärzte lernen zu trösten

Hannover. Ein schrecklicher Augenblick ändert alles. Der lebenslustige Junge fährt mit dem Fahrrad zur Schule, ein Auto erfasst ihn, das Kind kommt mit dem Rettungswagen auf die Intensivstation, dort ringen
21.07.2016, 00:00 Uhr
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Ärzte lernen zu trösten
Von Peter Mlodoch

Hannover. Ein schrecklicher Augenblick ändert alles. Der lebenslustige Junge fährt mit dem Fahrrad zur Schule, ein Auto erfasst ihn, das Kind kommt mit dem Rettungswagen auf die Intensivstation, dort ringen
Ärzte, Pfleger und Krankenschwestern um sein Leben. Vergebens. Und die nächste schwierige Aufgabe wartet schon: Wer sagt es wie den betroffenen, oft völlig überforderten Eltern?

„Viele Kollegen zerbrechen daran“, berichtete Michael Sasse, Leitender Oberarzt der Kinderintensivstation an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) am Mittwoch. „Ein Teil von mir stirbt immer mit.“ Man werfe sich bei fehlgeschlagenen Rettungsversuchen stets selbst ein gewisses Versagen vor.

Hilfe in solchen Extremsituationen soll das neue Projekt „Krisenbegleiter im Krankenhaus“ des Vereins „Kleine Herzen Hannover“ geben. Professionelle Fortbildungen bereiten Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger auf den Intensivstationen nach den Grundsätzen der psychosozialen Notfallversorgung so vor, dass sie Kindern und Eltern eine schlimme Diagnose oder gar die Todesnachricht überbringen und dass sie selbst ihren eigenen Stress besser bewältigen können. Am nächsten Montag wird der Verein im Rahmen der gemeinsamen Standortinitiative „Deutschland – Land der Ideen“ von Bundesregierung und Wirtschaft ausgezeichnet.

Polizisten, Feuerwehrleute und Katastrophenschützer werden seit Langem speziell für solche Probleme geschult. Bei Ärzten und Pflegepersonal klafft dagegen eine große Lücke. „Das spielt in der Ausbildung eine ganz untergeordnete Rolle“, sagte Sasse. Und die Krankenkassen hielten sich völlig raus. „Bei denen ist einfach nicht vorgesehen, dass auch die Eltern mitbehandelt werden müssen“, kritisierte der Direktor der Klinik für Pädiatrische Kardiologie und Intensivmedizin der MHH, Professor Philipp
Beerbaum.

Finanziert wird das bundesweit einmalige Projekt nach Angaben der Vereinsvorsitzenden Ira Thorsting weitgehend also durch Spendengelder. Einen kleineren Teil steuere auch die MHH bei. Die Idee dafür sei ihr vor zwei Jahren gekommen. „Krisen passieren rund um die Uhr, aber eine Klinik kann nicht rund um die Uhr professionelle Betreuer wie Psychologen oder Seelsorger beschäftigen“, erklärte Thorsting. Inzwischen seien mithilfe des Freiburger Instituts für Human Resources (IHR) in den ersten vier Grundkursen rund 50 Personen aus­gebildet worden. Als Interessenten hätten sich aber nicht nur Ärzte und Pfleger, sondern auch Therapeuten und Seelsorger
ge­meldet.

„Trösten kann man lernen“, lautet das Motto der Schulungen. Das Klinikpersonal soll lernen, mit der Trauer, der Realitätsverweigerung und auch der Wut der Angehörigen oder Hinterbliebenen angemessen umgehen zu können. Gleichzeitig sollen sie Selbstschutz-Mechanismen entwickeln, da Eltern unter der Belastung oft mit Schuldzuweisungen und Aggressionen reagierten. Ein externer Trauma-Psychologe achtet zusätzlich darauf, dass die Betreuer und Überbringer der schlechten Nachrichten nicht selber Schaden nehmen.

Auch auf kulturelle Unterschiede legen die Ausbilder angesichts eines hohen Anteils von Kindern mit Migrationshintergrund großen Wert. „Ärzte und Pflegekräfte leisten extrem gute Arbeit. Aber sie können nicht alles wissen“, sagte Ramazan Salman vom Ethno-Medizinischen Zentrum Hannover. Er nennt ein Beispiel: Anders als etwa ein christlicher Seelsorger werde ein Imam keinen Beistand bei der extrem belastenden Frage nach dem Beenden lebenserhaltender Maßnahmen leisten können. Ein muslimischer Geistlicher spende erst Trost nach dem Tod.

„Unser Projekt soll ganz viele Kinder bekommen“, wünschte sich Vereinschefin Thorsting weitere Ableger und Nachahmer. Eine wissenschaftliche Begleitung soll die Effekte auf Personal und Familien festhalten. „Der Bedarf ist enorm groß“, meinte Koordinator und Kinder-Intensivmediziner Sasse. In der Erwachsenenmedizin stehe man schließlich vor den gleichen Problemen. „Wenn die Leute erfahren, dass ein naher Angehöriger sterben wird, brechen sie zusammen. Darauf müssen die Kollegen gut vorbereitet sein.“

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