Jeden Tag melden sich bei Heiko Ehing Menschen, die einen Wolf gesehen haben wollen. Als Berater für den Landkreis OHZ ist er Vermittler zwischen Gegnern und Fans der Tiere. Wir haben ihn begleitet.
Heiko Ehing hat kein leichtes Ehrenamt. In diesem Moment kriecht der 55-Jährige durch Gestrüpp, um jene Teile des Maschendrahtzauns zu sichten, die für den Menschen im Verborgenen liegen. „Aha!“, ruft er und deutet auf ein Loch in dem Geflecht. Es ist nur eine von vielen Stellen im Zaun, die Ehing dieses Mal als unsicher einstuft. Dabei geht es nicht etwa um den Schutz vor menschlichen Einbrechern, sondern um ein Tier, das Ehing seit jeher fasziniert, und für das er seit einigen Jahren das Monitoring im Landkreis Osterholz übernimmt. Heiko Ehing ist Wolfsberater.
Löcher im Zaun
Hinter dem Zaun im Nordkreis des Gebiets ist eine weitläufige Photovoltaikanlage. Die Grasfläche dazwischen beweiden Schafe, um die sich ihr Besitzer seit den vielen Wolfssichtungen im Landkreis sorgt. Dazu hat er nach Auffassung des Experten auch allen Grund. Immer wieder gibt es kleine Löcher in dem Zaun, durch die der Wolf problemlos durchschlüpfen könnte. „An anderen Stellen reicht der Zaun nicht ganz bis zum Boden, sodass sich das Tier darunter durchgraben könnte“, sagt Ehing. Dem Besitzer der Schafe wird er ausrichten, dass hier Handlungsbedarf bestehe, wenn der Tierhalter im Schadensfall eine Entschädigungsleistung vom Land Niedersachsen beziehen will. Ehings Empfehlung, damit der Wolf sich nicht unterdurch graben kann: „Ein Elektrodraht in 15 bis 20 Zentimeter Höhe“, sagt er.
Die Beratung der Nutztierhalter ist nur eine von vielen Aufgaben, die Heiko Ehing als Wolfsberater übernimmt. Der 55-Jährige geht davon aus, dass sich mittlerweile mindestens zwei Wölfe im Landkreis Osterholz aufhalten. Nach Angaben der Landesjägerschaft Niedersachsen, die mit dem gesamten Monitoring für das Bundesland betraut ist, konnten im Januar 2017 zwei Wölfe auf einer Fotofalle nachgewiesen werden. Schon in den Jahren 2015 und 2016 deuteten einzelne Nachweise auf ein Wolfsvorkommen im Landkreis Osterholz hin. Derzeit wird sogar über das erste Rudel in diesem Gebiet spekuliert. Innerhalb weniger Tage wurden im Frühjahr mehrere Wölfe auf einmal beobachtet. Doch ob sich tatsächlich ein Wolfsrudel im Landkreis Osterholz niedergelassen hat, ist derzeit nicht gesichert, sagt der Wolfsberater.

Dieser Zaun ist nicht sicher vor dem Wolf. Heiko Ehing findet mehrere Löcher, durch die das Tier hindurch könnte.
Täglich Meldungen
Dass dieses Ehrenamt einmal so viel Zeit in Anspruch nehmen würde, damit hat der gelernte Förster nicht gerechnet. Mittlerweile gehen jeden Tag Meldungen bei ihm ein. Einige Leute wollen den Wolf nur gesehen haben, andere haben zum Beweis ein Foto gemacht. So oder so – Heiko Ehing muss all diese Beobachtungen genau dokumentieren. Welche Farbe hatte das Fell, wie sah die Rute des Tieres aus, wo genau hat die Sichtung stattgefunden. Diese Informationen schickt Ehing im Anschluss an die Landesjägerschaft in Niedersachsen. Dort wird dann abschließend entschieden, in welcher Kategorie die Sichtung eingestuft wird: C1 (eindeutiger Nachweis in Form von Fotos oder DNA-Ergebnissen), C2 (wolfstypische Risse oder Spuren) oder C3 (Sichtungen).
Ein bisschen ist Ehing bei dieser Arbeit auch Kummerkasten, sagt er. Er versucht Ängste zu nehmen, und er ist derjenige, der sich die Geschichte vom Zusammentreffen mit dem Tier in allen Einzelheiten anhören muss. „Für die meisten ist das ein besonders schöner Moment, den sie gerne mit jemandem teilen möchten. Das bin dann in der Regel ich“, sagt Ehing und lacht. Wie viele dieser Meldungen wirklich echt sind, kann er nur schwer einschätzen. Schon einige Male habe Ehing selbst vor Hunderassen gestanden und nicht sicher sagen können, ob Wolf oder Hund. Auch ein Schäferhund könne im Dickicht des Waldes schnell mal wie ein Wolf aussehen.

Heiko Ehing schaut auf einer Karte nach einem Weidegrundstück, dessen Zäune er überprüfen will.
Der Vermittler
Ehing sieht sich bei seinen Beratungen selbst als Mittler. Er will aufklären über das Tier, sodass sich in der Bevölkerung mehr Verständnis dafür entwickelt. Trotzdem müsse man auch die Vorbehalte ernst nehmen, gerade die der Landwirte, die sich um ihr Vieh sorgen. Dass er gleichzeitig auch Kreisjägermeister ist, tue der Sache keinen Abbruch. Der Wolf sei in Deutschland rechtlich geschützt. Danach müssten sich auch die Jäger richten.
„Mittlerweile kann es hier überall und zu jeder Zeit passieren, dass einem das Tier begegnet“, meint Ehing auf dem Weg zu der nächsten Station. Insgesamt misst das Gebiet, für das er zuständig ist, etwa 550 Quadratkilometer. Wenn es die Zeit zulässt, macht der Wolfsberater immer mal wieder einen Spaziergang durch die Wälder im Landkreis, so wie an diesem Tag, an dem der 55-Jährige ein Waldstück im Dreieck Brundorf–Meyenburg–Garlstedt genauer untersucht. Was für andere einfach nur ein Spaziergang durch die Natur ist, ist für Ehing immer auch ein Stück weit Spurensuche. „Ich muss aufpassen, dass ich das beim Spaziergang mit der Familie nur ganz unauffällig mache“, sagt er.
Auf den Wegen hält der Förster Ausschau nach Spuren und Losung. So nennen die Experten den Kot der Raubtiere, den man anhand von Haaren, Knochen oder Schalenresten erkennt. Die Wölfe verdauen in der Regel direkt auf dem Weg, um ihr Revier zu markieren. Hiervon erhofft sich Ehing, endlich die Art von Spuren zu bekommen, die im Landkreis Osterholz dringend fehlen. Bisher konnte keines der Tiere in dem Gebiet anhand von DNA-Material nachgewiesen werden. „Deshalb wissen wir auch nicht, woher die Wölfe bei uns kommen“, so Ehing.

Wolfsberater Heiko Ehing untersucht einen Waldweg auf Pfotenabdrücke.
Immer auf Spurensuche
Wenn er unterwegs ist, hat der 55-Jährige deswegen immer seine Wolfsberater-Tasche mit dabei, in der er Hilfsmittel aufbewahrt, mit denen er Proben nehmen kann. Dabei muss Ehing einen Wettlauf gegen die Zeit gewinnen. „DNA-Material kann nur eine gewisse Zeit genommen werden“, sagt er. Ehing weiß, dass er nicht immer sofort dort sein kann, wo gerade frische Spuren gefunden werden, und das ist ein Problem, sagt er.
Glücklicherweise habe es bisher keine Nutztierrisse im Landkreis gegeben, doch wenn Ehing in seinem richtigen Job als Funktionsbeamter für Waldökologie in den Wäldern außerhalb des Gebietes unterwegs ist, müsse er manchmal lange Wege zurücklegen, für die im Notfall keine Zeit ist, sagt er. Derzeit gebe es neben ihm zwar noch einen zweiten Wolfsberater in dem Gebiet, aber der sei kaum aktiv. „Ich brauche unbedingt Unterstützung“, sagt Ehing.
Während der Wolfsberater durch das Waldstück spaziert, fallen ihm Pfotenabdrücke in dem feuchten Boden auf. Er geht in die Hocke, um die Trittsiegel genauer zu begutachten. Solche Spuren zu bewerten, sei extrem schwierig, sagt Ehing. Er muss sich die Länge genau anschauen und den Abstand der Spuren betrachten. „Bei einem Tapsen kann man kaum eindeutig sagen, dass es sich um einen Wolf handelt“, meint er. Neben diesen Spuren erkennt Ehing die Trittsiegel eines Pferdes.

Die Ausrüstung von Wolfsberater Heiko Ehing. Eine Tasche mit Mitteln der Spurensicherung.
Wolf in freier Wildbahn
Ehing: „Ich denke, hier hat jemand wahrscheinlich seinen Hund mit zum Reiten genommen. Außerdem ist die Strecke bei vielen Hundehaltern beliebt.“ Dass der Wolf den direkten Weg und nicht durch den Wald läuft, sei sehr wahrscheinlich. „Diese Tiere laufen in der Regel sehr zielgerichtet und energiesparend“, sagt Ehing. Der Förster unternimmt diese Art von Spaziergängen auch, weil er insgeheim hofft, endlich selbst einmal einen Wolf in freier Wildbahn zu erleben.
Die Geschichte des Wolfsberaters macht fast ein bisschen betroffen, wenn man sie hört. Jedes Jahr fährt der Förster mit seiner Frau in die Lausitz, wo ein Wolfsrudel ansässig ist. Doch bisher ist es ihm kein einziges Mal gelungen, selbst einmal eines der Tiere zu beobachten. Und auch in seiner Heimat spricht er zwar jeden Tag mit Leuten, die einen Wolf gesehen haben wollen, „doch ich selbst hatte leider noch nicht das Glück.“
Ehing nennt das Zusammentreffen mit dem Tier bewusst Glück. Seit Jahren faszinieren ihn die Raubtiere, etliche Bücher darüber stehen darüber zu Hause in seinem Regal. „Ich habe natürlich auch schon Tiere im Wolfcenter Dörverden beobachtet“, sagt Ehing. Der Wolfsberater bleibt optimistisch – schließlich kann es jeden Tag soweit sein.