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Jens K. wurde 1999 wegen Dreifach-Mordes verurteilt – jetzt hofft er auf ein Ende des Lebens hinter Gittern Die Unschuld stets beteuert

Verden. Vor 18 Jahren verkündet die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Verden nach einem höchst komplizierten Indizienprozess ihr Urteil: Jens K. ist des dreifachen Mordes schuldig und erhält dreimal lebenslänglich.
19.03.2018, 00:00 Uhr
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Von Angelika Siepmann

Verden. Vor 18 Jahren verkündet die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Verden nach einem höchst komplizierten Indizienprozess ihr Urteil: Jens K. ist des dreifachen Mordes schuldig und erhält dreimal lebenslänglich. Das Gericht stellt zudem die besondere Schwere der Schuld fest – Haftdauer also ungewiss. K., inzwischen 46, bestreitet die Taten bis heute. Vollzugslockerungen hat er bislang nicht erhalten. Vielleicht ändert sich das bald. Darüber wird nicht in Verden befunden, sondern im fernen Freiburg.

Als an jenem Donnerstag das Urteil gesprochen wurde, herrschte im Zuschauerbereich des Landgerichtssaals drangvolle Enge. Seit Anfang 1999 war an über 60 Tagen darüber verhandelt worden, ob K. wirklich getan hat, was ihm vorgeworfen wurde: in Walsrode drei Frauen umgebracht zu haben, und zwar „auf ungewöhnlich grausame Art“, wie der Vertreter der Staatsanwaltschaft später in seinem Plädoyer betonen sollte, mit zahlreichen Messerstichen, Kehlschnitten.

Der Mord an der 71-jährigen Witwe Wilma T. im September 1994 und der Doppelmord an Kerstin G. (29) und Gudrun W. (52) in einem Walsroder Arzthaus hatten die kleine Stadt im Heidekreis erschüttert. Und es sollte dauern, bis die Sonderkommission der Kripo einen mutmaßlichen Mörder präsentieren würde. Jens K. geriet in den Fokus der fieberhaft ermittelnden Beamten, als er sich bereits im Gefängnis befand. Der – geständige – Serieneinbrecher hatte im Juni 1996 eine dreieinhalbjährige Haftstrafe erhalten.

Im Oktober dann sagte seine damalige Freundin und zeitweilige Komplizin bei den Einbrüchen aus, K. habe ihr die Gewalttaten gestanden und viele Details preisgegeben. Täterwissen, wie es immer wieder heißen würde. Die sechs Jahre ältere Frau avancierte zur Schlüsselfigur, zur Kronzeugin in dem aufsehenerregenden Mammutverfahren um drei Frauenmorde. Der erste, im Juni 1998 begonnene Prozess gegen K. platzte nach sieben Tagen wegen plötzlicher Erkrankung eines beisitzenden Richters. Im zweiten Anlauf entspann sich zwischen Staatsanwaltschaft/Nebenklage und Verteidigung ein zähes Tauziehen um die Zukunft des jungen Mannes, der stets unerschütterlich seine Unschuld beteuerte.

Seine beiden Verdener Verteidiger Wolfgang Struif und Kay Müffelmann ließen nichts unversucht, die Glaubwürdigkeit der mittlerweile Ex-Geliebten K.‘s in Zweifel zu ziehen. Wozu durchaus Anlass bestand, wie selbst die Gegenseite und das Gericht gelegentlich konstatieren mussten. Die Frau selbst bekannte sich einmal zu einer unwahren Aussage, änderte diese, verwickelte sich in Widersprüche, weinte, machte Erinnerungslücken geltend.

Die Anwälte stellten über 100 Beweisanträge, auch Befangenheitsanträge gegen die Kammer. Ein Kampf gegen Windmühlen, meint Müffelmann noch in der Rückschau. Die Kronzeugin sei mit Samthandschuhen angefasst worden, das Gericht habe härter, kritischer mit ihr umgehen müssen. Das Juristenduo hatte Freispruch gefordert. Aus Sicht der Ankläger stand aber „ein fertiges Gebäude aus Indizien und Beweisen, das die Verteidigung zu keinem Zeitpunkt erschüttern konnte“. So sah es auch das Gericht.

Das Urteil hatte Bestand durch alle Instanzen. Mit Beschluss vom 30. Januar 2001 verwarf der Bundesgerichtshof die Revision als unbegründet. Auch die daraufhin eingelegte Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht blieb erfolglos. Schließlich scheiterte man im November 2002 mit der Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Und auch sämtliche Bemühungen um ein Wiederaufnahmeverfahren – zur Vermeidung eines „Justizirrtums“ – liefen ins Leere.

Jens K. saß zunächst in der Justizvollzugsanstalt Celle, der JVA mit der höchsten Sicherheitsstufe in Niedersachsen. 2006 hat er hinter Gittern geheiratet; seiner in Süddeutschland lebenden Frau zuliebe wurde er in die JVA Freiburg verlegt. Diese vermeintliche Nähe nützte nichts, 2013 wurde die Ehe geschieden. Der „Lebenslängliche“ hat sich bemüht, sein Leben im Knast auf die Reihe zu bekommen, hat eine Tischlerlehre gemacht, den Realschulabschluss geschafft, das Abitur zu seinem großen Bedauern haarscharf verfehlt. Er würde zu gerne studieren, sagt K., und was, ist unschwer zu erraten: Rechtswissenschaften.

Ein Experte in eigener Sache ist er längst. „Ich habe ja immer viel Zeit zum Lesen gehabt“. Im Telefonat, das er vom Büro des Gefängnisseelsorgers aus führt, erklärt er auch, warum es bisher keinerlei Vollzugslockerungen für ihn gab: „Ich bin ein Tatleugner – das mögen die nicht“. Wie solle er denn in einer geforderten Therapie Taten aufarbeiten, die er nicht begangen habe? Nur zweimal, erzählt er noch, sei er in der ganzen Zeit kurz rausgekommen. „In Ketten“, scharf bewacht, durfte er ans Grab des Vaters, zwei Jahre nach dessen Tod, und einmal ging‘s bei einem Ausflug zum „Schauinsland“ im Schwarzwald.

Die „Mindestverbüßungsdauer“ wurde für ihn 2009 auf 22 Jahre festgelegt, die Haftzeit wegen der „Brüche“ einberechnet. Nun läuft diese magische Frist ab, „und endlich tut sich was“, weiß Rechtsanwalt Kay Müffelmann. Er hat Anfang 2017 wieder K.‘s Vertretung übernommen und moniert, sein Mandant sei „all die Jahre de facto nur verwahrt“ worden. Die Hoffnungen konzentrieren sich nun auf diesen Montag, den Termin der Anhörung beim Landgericht Freiburg. Das Gericht wird prüfen, ob der Übergang in den offenen Vollzug und vielleicht sogar eine Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung in Betracht kommen.

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