In zwölf Flüssen, Bächen und Badeseen in Niedersachsen haben Biologen Krankheitserreger gefunden, gegen die herkömmliche Antibiotika nichts mehr ausrichten können. „Die Keime werden zunehmend resistent“, erklärt denn auch die Sprecherin des Robert-Koch-Instituts in Berlin, Susanne Glasmacher. Forscher hatten im Auftrag des NDR Wasserproben genommen und auf multiresistente Keime untersucht. Besonders alarmierend sei, sagte Glasmacher, dass die Keime zunehmend auch gegen sogenannte Reserveantibiotika der neueren Generation resistent sind.
Fündig wurden die Wissenschaftler unter anderem an der Thülsfelder Talsperre und dem Zwischenahner Meer. „Badegewässer werden regelmäßig von den Gesundheitsämtern untersucht und werden, sofern erforderlich, für den Badebetrieb gesperrt“, beruhigte Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD). „Das Risiko für den Menschen, sich beim Baden in offiziell überwachten Gewässern mit antibiotikaresistenten Erregern anzustecken, ist sehr gering.“ Gefährlich könnten die Keime jedoch für alte, kranke und sehr junge Menschen werden, deren Immunsystem geschwächt oder noch nicht ausgeprägt sei, räumt Ministeriumssprecherin Justina Lethen ein.
15.000 Todesfälle pro Jahr
Jedes Jahr gibt es nach Angaben des Robert-Koch-Instituts etwa 15.000 Todesfälle in Deutschland durch multiresistente Keime. Niedersachsen verfolgt deshalb eine Antibiotika-Minimierungsstrategie. So wurde der Einsatz von Antibiotika in der niedersächsischen Nutztierhaltung von 2011 bis 2016 von 1706 auf 742 Tonnen reduziert. Allerdings greifen Tiermediziner wie Humanmediziner zunehmend auf Reserveantibiotika zurück, weil herkömmliche Antibiotika teils nicht mehr wirken.
In der Tat fanden die Forscher der Technischen Universität Dresden und des Universitätsklinikums Gießen in fünf der zwölf untersuchten Gewässer in Niedersachsen Keime, gegen die selbst die Antibiotika der neueren Generation machtlos sind. „Das ist das eigentlich Alarmierende an der Untersuchung“, sagt denn auch Susanne Glasmacher, die Sprecherin des Robert-Koch-Instituts. Umweltminister Lies kündigte noch am Dienstag an, die Ergebnisse der Wissenschaftler überprüfen zu lassen und gegebenenfalls weitere Schritte einzuleiten.
Es geht vor allem um Colistin. Das Reserveantibiotikum kommt in der Humanmedizin nur in Notfällen zum Einsatz, weil es Nieren und Nerven schädigen kann. In der Veterinärmedizin wird das Mittel jedoch zur Behandlung von gewöhnlichen Darmerkrankungen eingesetzt. Das Umweltbundesamt fordert deshalb eine Umweltbewertung für Tierarzneimittel. Diese gelangen über Gülle und Dung auf die Felder. Häufig verwendete Antibiotika wurden bereits im Boden und Grundwasser nachgewiesen.
Sind die resistenten Erreger erst einmal in der Umwelt, können sie ihre Resistenzgene auch auf für den Menschen gefährliche Erreger übertragen, warnt das Umweltbundesamt. „Daher brauchen wir für bestimmte Antibiotika ein verpflichtendes Monitoring“, fordert Präsidentin Maria Krautzberger. Vor allem Hot-Spots wie vieh-intensive Gegenden sowie Abwässer von Kliniken und pharmazeutischen Unternehmen müssten beobachtet werden. Das niedersächsische Umweltministerium räumt ein, dass es eine solche flächendeckende Be-probung von Gewässern in Niedersachsen bislang nicht gibt. „Wir setzen an der Quelle an“, betont Sprecherin Lethen. Es sei besser, weniger Antibiotika zu verbrauchen als diese später aus den Gewässern herauszufiltern. Für eine Hygienisierung von Wirtschaftsdüngern gebe es derzeit keine wissenschaftliche oder rechtliche Grundlage. Auf Bundesebene setze sich Niedersachsen zudem dafür ein, den Einsatz von Reserveantibiotika in der Tiermedizin zu verbieten.
Das fordert auch der Verein „Ärzte gegen Massentierhaltung“ und zwar sofort, denn mittlerweile würden mehr Antibiotika an gesunde Tiere als an kranke Menschen verabreicht, betont der Sprecher des Vereins, Landwirt und Arzt Gerd-Ludwig Meyer. Allein mit dem Verbrauch von Colistin in der Tiermedizin ließen sich etwa 70 Millionen Menschen behandeln.
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