Auch ein Ministerpräsident lernt nie aus. „Jetzt kommen wir zum Höhepunkt“, erklärt der Leiter des landeseigenen Landgestüts, Axel Brockmann, Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil (SPD) am Dienstag in Celle-Adelheidsdorf. „Wir schauen einem Hengst beim Absamen zu.“ Da führt ein Pferdewirt den neunjährigen Westfalen Rocky Springs auch schon von seiner Stallbox in den Sprungraum. Dort wartet eine schwarze Kunststoff-Röhre auf zwei Stelzen, gaukelt dem Hengst die Anwesenheit einer Stute vor. Der Mitarbeiter führt das Pferd heran, nach ein paar Sekunden hat Rocky Springs seine kostbare Arbeit erledigt.
Das in der künstlichen Scheide aufgefangene Sperma geht sofort ins Labor nach nebenan, wo eine Tierärztin Qualität und Haltbarkeit untersucht und dann zum Verkauf freigibt. Ein Ejakulat, berichtet sie dem Gast aus Hannover, reiche für fünf bis 25 Portionen zur späteren Befruchtung von echten Stuten. Solche „Frischsamen-Übertragungen“ ohne direkten Kontakt machen laut Brockmann mittlerweile 99 Prozent aller Anpaarungen aus. „Der Natursprung hat keine Bedeutung mehr.“ Der Ministerpräsident hört aufmerksam zu, erspart sich diesmal aber lieber seine sonst üblichen launigen Kommentare.
Land steuert zwei Millionen an Zuschüssen bei
Die dargebotenen Zahlen hört Weil dann gerne. Der Spermaverkauf an Pferdezüchter in der ganzen Welt ist ein einträgliches Geschäft: 500 bis 1200 Euro kostet ein Saison-Abo pro Stute bis zum Trächtigkeitserfolg. Bis zu 3500 weibliche Tiere kann ein einziger der rund 70 Deckhengste in Celle pro Jahr bedienen. Die Befruchtungsgeschäfte decken zusammen mit Pferdeverkäufen laut Brockmann etwa zwei Drittel des Sechs-Millionen-Jahreshaushaltes des Landgestüts ab. Rund zwei Millionen Euro steuert das Land an Zuschüssen bei. Man wolle keinen Gewinn erzielen, sondern den vielen Pferdeliebhabern mit fairen Preisen „Zugang zur guten Genetik“ verschaffen, versichert der Landesstallmeister. Die enge Zusammenarbeit mit der Tierärztlichen Hochschule sorge zusätzlich dafür, dass Celle auf diesem Gebiet eine internationale Spitzenstellung einnimmt.
Nach dem Besuch eines Wohnprojekts für behinderte Menschen in Braunschweig, einer Stippvisite beim dortigen Fußball-Drittligisten Eintracht sowie einer Kanu-Tour auf der Aller am Vortag ist das Landgestüt die vierte Station auf der diesjährigen Sommertour des Ministerpräsidenten. „Das hier gehört zu Niedersachsen“, betont Weil die Bedeutung für das Pferdeland. Für Gestütsleiter Brockmann bedeuten solche Worte eine willkommene Aufwertung. Vor einigen Jahren hatte der Landesrechnungshof das staatliche Zucht-Engagement in Celle hinterfragt und eine Minimierung des Pferdebestandes durchgesetzt. In der vergangenen Wahlperiode hatte zudem der damalige grüne Agrarminister Christian Meyer die Landesmittel für den Hengstankauf um 100.000 Euro gekürzt.
Traditionelle Hengstparade fiel wegen Corona aus
Vorbei und vergessen. „Wir sind wunschlos glücklich, wir fühlen uns bei unserer Landesregierung gut aufgehoben“, schwärmt Niedersachsens oberster Stallmeister. „Wir sind selber Steuerzahler und bemühen uns um Sparsamkeit.“ Andere Zwänge kommen hinzu. Die traditionelle Hengstparade, die nach massiven Zuschauerrückgängen 2018 schon ein moderneres Konzept erhalten hatte, musste 2020 wegen Corona komplett ausfallen; seither grasen Stuten mit ihren Fohlen auf dem Rasenplatz vor den Tribünen am Hauptsitz des Gestüts in Celles Innenstadt.
In diesem September soll es nun einen Ersatz geben. Auf der 32 Hektar großen Freifläche hinter den Stallungen der Außenstelle in Adelheidsdorf findet unter dem Motto „Hengste, Heide, Handwerkskunst“ ein familiengerechtes Spektakel statt – weniger mit klassischen Dressurquadrillen, mehr mit Galoppier- und Geländevorführungen. „Wir haben dann keine Tribünen, sondern einfach nur Bierbänke“, beschreibt Brockmann seine Pläne.
Auf 15.000 Besucher hofft der Gestütschef an dem ersten Wochenende nach den Sommerferien – so viel, wie zuletzt die Hengstparaden an drei Wochenenden lockten. Passend zur Heideblüte wolle man auch den Einklang von Pferden und Natur demonstrieren. Dank der Bearbeitung des Bodens durch die Hufe gedeihten hier viele seltene Orchideen- und Gräserarten.