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Von Knastvogel bis Justiz-Irrtum Niedersachsens Online-Knast-Shop läuft gut

Vor 15 Jahren ging in Niedersachsen der bundesweit erste Online-Knast-Shop an den Start: Heute ist die Nachfrage nach den Produkten so groß, dass die Häftlinge mit der Produktion kaum nachkommen.
09.09.2016, 00:00 Uhr
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Von Christina Sticht

Vor 15 Jahren ging in Niedersachsen der bundesweit erste Online-Knast-Shop an den Start: Heute ist die Nachfrage nach den Produkten so groß, dass die Häftlinge mit der Produktion kaum nachkommen.

Der Flaschenöffner in Handschellen-Form ist ausverkauft, und auch der Feuerkorb mit Pferdekopf erst seit Kurzem wieder lieferbar. Die Nachfrage nach Erzeugnissen aus Niedersachsens Gefängnissen ist so groß, dass die Häftlinge mit der Produktion kaum nachkommen. „Auf einen Grill warten die Kunden teilweise sechs Wochen“, sagt die Justizvollzugsbeamtin und Kauffrau Beate Meyer. Vor 15 Jahren ging der bundesweit erste Online-Knast-Shop an den Start, im Juni wurde in der Abteilung Burgdorf der JVA Sehnde ein aufwendig gestalteter Verkaufsladen eröffnet.

Der niedersächsische JVA-Shop hatte 2015 einen Umsatz von rund 600.000 Euro und ist nach Angaben des Justizministeriums in Hannover der umsatzstärkste seiner Art. Zwei Drittel des Umsatzes werden mit Grills aus Edelstahl und Metall erwirtschaftet. 16 nach Anstalten benannte Modelle gibt es inzwischen, der Bestseller „Uelzen“ kostet 375 Euro. Wer ihn in Burgdorf abholt, bekommt ihn günstiger. „Wir machen auch Sonderanfertigungen für die Gastronomie und haben schon Kreuzfahrtschiffe beliefert“, erzählt Meyer mit Stolz.

Inzwischen hat der JVA-Shop etliche Nachahmer gefunden. Kult-Status haben zum Beispiel die Produkte der Hamburger Gefängnismarke „Santa Fu“ – wie das Spiel „Knast-Land-Fluss“, das Kochbuch „Huhn in Handschellen“ oder das Pflegeset „Bleib sauber“. Auch Nordrhein-Westfalen, Sachsen oder Brandenburg betreiben Online-Portale für Waren aus dem Knast.

?30 bis 40 Pakete pro Tag

Neben den Grills finden die Kunden in dem neuen Laden bei Hannover auch Sets und Decken der Marke „Knastkitchen“ – genäht aus Matratzenstoff – sowie Taschen aus Planen, die noch von der Einheitsfeier in Hannover 2014 übrig geblieben sind. Eine Flasche Sanddorn-Likör der Marke „Justiz-Irrtum“ steht neben einem „Knastvogel“. Das originelle straußenartige Geschöpf mit den Schrauben-Augen hat ein Häftling der JVA Hannover entworfen.

„Viele Insassen sind sehr kreativ und identifizieren sich mit den Produkten“, sagt Vollzugsbeamtin Meyer. Von Burgdorf aus werden alle Pakete versandt – pro Tag sind es 30 bis 40 Stück. Neben der Einrichtung des Verkaufsraumes wurde das Warenlager erweitert. Das Hochregal, in dem sich die Grills stapeln, könnte auch in einem großen Möbelhaus stehen. Drei Häftlinge des offenen Vollzugs sind als Verpacker und Lagerarbeiter im Einsatz.

Häftlinge müssen arbeiten

In allen deutschen Gefängnissen herrscht Arbeitspflicht, die die Häftlinge bestmöglich auf das Leben nach der Entlassung vorbereiten soll. In Niedersachsen arbeiten knapp drei Viertel der Strafgefangenen unter anderem in Gärtnereien, Tischlereien oder Schneidereien. Sie erhalten im Durchschnitt einen Tagessatz von 12,55 Euro. Wer keinen Acht-Stunden-Tag schafft, wird erst einmal in die Arbeitstherapie aufgenommen.

Der Landesbetrieb Justizvollzugsarbeitsverwaltung des Landes Niedersachsen (JVAV) in Celle steuert die Werkstätten hinter Gittern. Dem Justizministerium zufolge erzielte der Betrieb im Geschäftsjahr 2015 einen Umsatz von knapp 19 Millionen Euro, etwa 4,3 Millionen Euro Überschuss flossen in den Landeshaushalt zurück.

Die Handwerker im Knast produzieren aber nicht nur für den Online-Shop. „Wir stellen sämtliche Unterbauten für die Büromöbel von Landesbehörden her und sind Dienstleister für externe Unternehmen“, sagt Werkmeister Jörg Haarstrich, Chef der Schlosserei in der JVA Sehnde. „Der Job hier ist begehrt, aber nicht jeder darf hierher“, fügt der Leiter des Metallbauproduktionsbetriebs hinzu. Und: Bevor die Häftlinge überhaupt ein Schweißgerät in die Hand bekommen, durchlaufen sie zunächst einen Sicherheitscheck.

Pflicht zur Arbeit im Gefängnis

In den 13 niedersächsischen Justizvollzugsanstalten sind aktuell 4910 Menschen inhaftiert (Stand 31. Juli). Davon befanden sich nach Angaben des Justizministeriums in Hannover 829 in Untersuchungshaft. In deutschen Gefängnissen gibt es eine gesetzliche Arbeitspflicht – bei den niedersächsischen Gefangenen herrschte 2015 eine durchschnittliche Beschäftigungsquote von 74,4 Prozent. Häftlinge in Untersuchungshaft arbeiten seltener. Die Beschäftigung von Untersuchungsgefangenen sei unter anderem wegen ihrer Gerichts- und Anwaltstermine schwerer zu ermöglichen, sagte Ministeriumssprecherin Marika Tödt. Außerdem gelte für U-Häftlinge keine Arbeitspflicht.
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