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Kritik von Umweltschützern Kommen Brennstäbe für russische AKW künftig aus Lingen?

Experten des russischen Atomkonzerns Rosatom könnten bald in der Lingener Brennelementefabrik tätig sein. Ein entsprechender Antrag liegt dem niedersächsischen Umweltministerium vor.
14.04.2023, 18:12 Uhr
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Von Reimar Paul

Nach dem Aus für die drei letzten deutschen Atomkraftwerke an diesem Sonnabend nehmen Umweltschützer nun die noch betriebenen Atomanlagen ins Visier. Ihr Blick richtet sich vor allem auf die Brennelementefabrik Advanced Nuclear Fuels (ANF) im niedersächsischen Lingen, die ebenso wie die Urananreicherungsanlage im westfälischen Gronau vom Atomausstieg ausgeklammert ist.

Kürzlich war bekannt geworden, dass der französische Betreiber der Lingener Fabrik, Framatome, ein Gemeinschaftsunternehmen mit TVEL, einer Tochter des russischen staatlichen Atomkonzerns Rosatom, gegründet hat. Die zuletzt nicht ausgelastete Lingener Fabrik, die in der Vergangenheit ausschließlich westliche Reaktoren mit frischen Brennelementen versorgt hat, will künftig auch sechseckige Brennstäbe für Atommeiler russischer Bauart vom Typ VVER produzieren.

Antrag liegt beim Umweltministerium

Ein entsprechender Antrag liegt dem niedersächsischen Umweltministerium als atomrechtlicher Genehmigungsbehörde vor, ist aber noch nicht entschieden. Obwohl Umweltminister Christian Meyer (Grüne) das Vorhaben kritisch sieht, hat eine Vorprüfung ergeben, dass es dafür keine Umweltverträglichkeitsprüfung braucht. TVEL ist mit 25  Prozent an dem Joint Venture beteiligt.
Im Fall einer Genehmigung der neuen Produktionsanlagen und der neuen Fertigungsverfahren werden voraussichtlich auch russische Atomspezialisten in die Brennelementefabrik kommen und dort mitarbeiten. Das hat das Umweltministerium bestätigt. Es sei vorgesehen, dass „voraussichtlich Mitarbeiter der russischen Firma TVEL (in Lingen) unterstützend tätig werden“, heißt es in einem Schreiben des Ministeriums an das Bündnis Atomkraftgegner im Emsland (AgiEL). Der Brief liegt der dieser Zeitung vor. Ein Sprecher des Umweltministeriums bestätigte die Aussage auf Anfrage.

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Bündnissprecher Alexander Vent hält die Information für „alarmierend“. Personen, die in ihrer Funktion direkt dem Kreml unterstellt seien, erhielten Zugang zu hochsensibler kerntechnischer Infrastruktur in Deutschland – „ungeachtet der kriegerischen Übernahme des AKW Saporischschja durch Experten von Rosatom, ungeachtet jetzt schon von vielen EU-Ländern geforderter Handelssanktionen gegen Russland auch im atomaren Bereich, ungeachtet des noch immer währenden russischen Angriffskriegs auf die Ukraine“.

"Dramatische Entwicklung"

„Für uns ist das eine dramatische Entwicklung, die einmal mehr aufzeigt, wie sehr wir uns mit dem Joint-Venture zwischen Rosatom und Framatome in eine weitere Abhängigkeit von den geopolitischen Interessen des Kremls begeben“, sagte Vent dieser Zeitung. In der internationalen Atomindustrie gebe es offenbar keinerlei Skrupel, „den russischen Aggressor zur Wahrung der eigenen Interessen auch wirtschaftlich zu unterstützen. In ganz Europa wird der Handel mit Russland sanktioniert, viele Länder fordern Sanktionen auch im atomaren Bereich, und hier in Lingen rollt man dem Kreml nun den roten Teppich aus!“

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„Es ist ein absoluter Skandal, dass es denkbar ist, ein Jahr nach Beginn des brutalen völkerrechtswidrigen russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, hier in Deutschland eine russisch-französische Atomkooperation zu beherbergen, die gemeinsam Brennelemente für AKW herstellt“, kritisiert auch die Vorsitzende der atomkritischen Ärzteorganisation IPPNW, Angelika Claußen. Die niedersächsische und bundesdeutsche Politik hätten es in der Hand, diesem Treiben einen Riegel vorzuschieben. Letztlich müsse die Brennelementefabrik in Lingen ganz stillgelegt werden – „sonst bleibt der deutsche Atomausstieg eine Mogelpackung“.

Anlage seit 1979 in Betrieb

Die Lingener Brennelementschmiede ist seit 1979 in Betrieb und die einzige Fabrik dieser Art in Deutschland. In dem Werk wird Uranhexafluorid zunächst in Uranoxid umgewandelt, zu Pulver gestampft und zu sogenannten Pellets gepresst. Diese werden dann auf bestimmte Abmessungen geschliffen, in Hüllrohre gefüllt und zu Brennelementen montiert. Außerdem gibt es auf dem Gelände Lagerbereiche für die fertigen Brennelemente, für Uranhexafluorid und für radioaktive Abfälle.

In Russland leitet die 1992 vom heutigen Präsidenten Wladimir Putin als Nachfolger des sowjetischen Ministeriums für Nukleartechnik und Nuklearindustrie mitgegründete Firma Rosatom die zivile und militärische Atomindustrie des Landes und hat damit die Aufsicht über rund 150 Produktionsstätten. Nach Schätzungen von Experten des EU-Parlaments kontrolliert die Agentur 96  Prozent des nuklearen Materials in Russland. Rosatom untersteht direkt der russischen Regierung.

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