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Wahl in der Türkei Anzeichen für eine Wechselstimmung

Gökay Sofuoglu, der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, sieht die Erdogan-Konkurrenten bei der Parlaments- und Präsidentschaftswahl in der Türkei vorne.
23.06.2018, 20:45 Uhr
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Anzeichen für eine Wechselstimmung
Von Markus Decker

Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, sieht bei der Parlaments- und Präsidentschaftswahl in seinem Land an diesem Sonntag wachsende Chancen für den Oppositionskandidaten, den Sozialdemokraten Muharrem Ince. „Der Oppositionskandidat wird immer beliebter in der Türkei“, sagte er dem WESER-KURIER. „Es wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Diese Wechselstimmung spüre ich auch in Deutschland.“ Im Zentrum stünden die wirtschaftlichen Perspektiven und die Frage der internationalen Verankerung der 80 Millionen Einwohner zählenden Nation am Bosporus.

Im Gegensatz zum Referendum über die Präsidialverfassung im Vorjahr verlaufe der Wahlkampf im Übrigen sowohl in der Türkei als auch in Deutschland sehr ruhig, fügte Sofuoglu hinzu. Und das sei gut so. Präsident Recep Tayyip Erdogan habe „immer durch Polarisierung gewonnen. Dieser Polarisierungseffekt ist jetzt nicht da.“ Mit Blick auf die Türkische Gemeinde erklärte deren Vorsitzender: „Wir halten uns da raus. Wir empfehlen, dass die Menschen von ihrem Recht Gebrauch machen und zur Wahl gehen, wenn sie eine andere Türkei wollen.“

Der grüne Außenexperte Cem Özdemir sagte der „Rhein-Neckar-Zeitung“: „Wir sollten uns in Europa und Deutschland vorbereiten für den Fall, dass die Opposition die Wahlen doch gewinnt. Wir müssen schauen, wie wir beim Wiederaufbau von Demokratie und Rechtsstaat unterstützen können“. Dem WESER-KURIER sagte Özdemir, die Lage der Wirtschaft habe sich wegen der hohen Inflation und dem Wertverlust der türkischen Lira dramatisch verschlechtert, und die Türkei sei international isoliert.

Auch merkten die Menschen, dass es dem Präsidenten allein um seinen Machterhalt gehe. „Unter normalen Umständen müsste Erdogan deshalb mindestens in den zweiten Wahlgang um die Präsidentschaft, und die Mehrheit für seinen nationalistisch-fundamentalistischen Block im Parlament wäre weg.“ Die Umstände in der Türkei seien jedoch alles andere als normal, so Özdemir. Die Wahlkampfbedingungen für die Opposition seien vielmehr extrem unfair gewesen. Er erwarte darum nicht, dass die Wahl demokratischen Standards gerecht werde.

Der Politiker kritisierte ferner die deutsch-türkischen Erdogan-Anhänger mit den Worten: „Das Kopfschütteln über Anhänger von Erdogan beschränkt sich keineswegs auf Deutschland. Viele in der Türkei sind sauer auf ihre deutsch-türkischen Verwandten, die in Deutschland Demokratie und Wohlstand genießen, im Herkunftsland aber Diktatur und wirtschaftliches Chaos wählen, ohne selbst dort zu leben oder Steuern zu bezahlen.“

Beim Referendum über die neue Präsidialverfassung im Frühjahr 2017, die Erdogan mehr Macht verlieh, hatten rund 63 Prozent der türkisch-stämmigen Wähler in Deutschland für die Reform gestimmt. Auf den zweiten Blick relativierte sich das Resultat indes. Denn von den 3,5 Millionen türkisch-stämmigen Einwohnern in Deutschland sind lediglich 1,4 Millionen türkische Staatsbürger und damit wahlberechtigt. Von diesen 1,4 Millionen haben 700.000 an der Abstimmung teilgenommen.

450.000 votierten für die Präsidialverfassung. Das bedeutet unter dem Strich: 450.000 von 3,5 Millionen Deutsch-Türken stärkten Erdogan den Rücken. Ungeachtet dessen hat er es in den vergangenen Jahren immer wieder vermocht, seinen Einfluss in Deutschland zu sichern – so etwa über den türkischen Geheimdienst Mit oder über den türkisch-islamischen Religionsverband Ditib, den verlängerten Arm der türkischen Religionsbehörde Diyanet.

Am Donnerstag hatte die Regierung in Ankara für Aufsehen gesorgt, weil sie zwei Wahlbeobachtern aus Deutschland und Schweden die Einreise verweigerte. Dem Linken-Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko wurde kurz vor seinem Abflug von Wien nach Ankara über die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) mitgeteilt, dass ihm die Teilnahme an der OSZE-Beobachtermission nicht gestattet werde. Auch der schwedische Parlamentarier Amin Jabar hatte keine Einreiseerlaubnis erhalten. Es hagelte Proteste.

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Hunko war bereits beim Verfassungsreferendum im April 2017 als Wahlbeobachter in der Türkei gewesen. Er hatte damals „die undemokratischen und unfairen Bedingungen“ bei der Abstimmung kritisiert. Die türkische Regierung warf ihm Sympathien für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK vor und zweifelte seine Objektivität an.

Tatsächlich ist Hunko selbst umstritten – unter anderem wegen seiner Aktivitäten in der Ukraine. 2016 verhängte die ukrainische Regierung ein Einreiseverbot, weil er 2015 zweimal in die Separatistengebiete im Osten des Landes gereist war. Dabei reiste er von Russland aus ein; dies betrachtete die Regierung als illegalen Grenzübertritt.

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