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Asylpolitik Die Dublin-Verordnung ist längst tot

Während in Deutschland Politiker auf die Dublin-Regeln pochen, plant die EU eine massive Verschärfung des Migrationssystems. Die Asylpolitik steht vor großen Herausforderungen, meint Katrin Pribyl.
04.09.2024, 05:00 Uhr
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Die Dublin-Verordnung ist längst tot
Von Katrin Pribyl

Die aufgeregte Debatte über Asylpolitik, die seit dem tödlichen Solingen-Attentat in Deutschland läuft, bringt viele Dinge durcheinander, insbesondere wenn es um Europa geht. So haben einige Bundespolitiker offenbar ihre Liebe zu einem gescheiterten System wiederentdeckt: den Dublin-Regeln. Der syrische Angreifer Issa al-Hasan hätte zum Zeitpunkt seiner mutmaßlichen Tat eigentlich bereits in Bulgarien sein müssen, das zuständig für das Asylverfahren war, weil der Mann dort erstmals den Boden der EU betreten hatte.
Theoretisch ist das richtig. Praktisch aber ist die Dublin-Verordnung längst tot – und das aus gutem Grund. Die Regeln sind ungerecht für Länder wie Italien oder Griechenland, wo die meisten Menschen ankommen und dort ihren Asylantrag stellen müssten. Dass einige Regierungsvertreter und Oppositionspolitiker auf das System pochen, kann nur als Wahlkampfgetöse bewertet werden. Ernsthafter wäre es, auf das jahrelange Ringen um die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems zu verweisen.

Erst im April hatte sich die EU auf einen Pakt geeinigt, der eine massive Verschärfung des Migrationssystems darstellt. Zu den Kernelementen gehört, dass ankommende Asylbewerber sofort nach der Einreise geprüft werden und jene mit geringer Bleibe-Chance zügiger und direkt von der EU-Außengrenze abgeschoben werden sollen. Nur muss das System im Laufe der nächsten zwei Jahre erst einmal von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Wer jetzt Schnellschüsse fordert, wäre gut beraten, sich in die Details der Reform einzulesen. Sehr viel strenger kann eine europäische Asylpolitik, die auf Abschreckung und Abschottung setzt, kaum aussehen.

Ob der Pakt als Erfolg verbucht wird, hängt auch davon ab, ob sich ausreichend Staaten außerhalb der EU bereit erklären, abgelehnte Asylbewerber wieder aufzunehmen. Deshalb schließt die Gemeinschaft zunehmend Abkommen mit Herkunftsstaaten wie mit Drittländern, über die viele Geflüchtete nach Europa reisen. So vereinbarte die EU bereits Verträge mit Tunesien, Ägypten und dem Libanon, die Migranten von der Überfahrt nach Europa abhalten sollen. Im Gegenzug erhalten sie Milliarden an Wirtschaftshilfen. Man kann das verwerflich finden. Doch zur Wahrheit gehört, dass irreguläre Migration kurzfristig nur über Kooperationen mit sicheren Herkunfts- und Drittstaaten eingedämmt werden kann, auch wenn das oft moralisch schwierige Entscheidungen erfordert.

Wenn aus Deutschland Forderungen nach härteren Maßnahmen in Richtung Brüssel laut werden, reagieren die Partner auch deshalb verblüfft, weil die Bundesrepublik bislang auf EU-Ebene eher dafür bekannt war, Menschlichkeit in der Migrationspolitik bewahren zu wollen. Im Kreis der Gemeinschaft geben längst die Hardliner den Kurs vor.

Deshalb wird mittlerweile auch über Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan diskutiert. Es liege in der Verantwortung des syrischen Regimes, die Bedingungen im Land so zu gestalten, dass die Menschen in geordneter Form und in Würde in ihre Heimat zurückkehren können, sagte jüngst ein Sprecher. Bislang seien „die Bedingungen noch nicht erfüllt worden“.

Es ist eine Sache, dass Deutschland erstmals seit der Machtübernahme der Taliban Vergewaltiger, Schwerkriminelle und Islamisten nach Afghanistan abgeschoben hat. Eine andere ist es, im großen Stil Menschen zurückzuführen. Will Deutschland tatsächlich Menschen, die Opfer von Gewalt und Terror geworden sind, abschieben und die Taliban durch eine staatliche Zusammenarbeit legitimieren?

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n Europa gab es jüngst Vorstöße, die in diese Richtung gingen. Erst im Juli forderten acht Mitgliedstaaten, darunter Österreich, Griechenland und Italien, die Strategie der EU im Umgang mit Syrien zu überprüfen. Sie appellierten an die Partner, mit Machthaber Assad ins Gespräch zu kommen. Doch nicht nur sind Abschiebungen unvereinbar mit geltendem Völkerrecht. Es ist auch ein Trugschluss zu glauben, dass Damaskus Zugeständnisse machen würde. Vielmehr käme die Aufnahme von diplomatischen Beziehungen einer schleichenden Normalisierung des Assad-Regimes gleich. Leider ist es angesichts der Stimmungslage in der Union trotzdem nicht unwahrscheinlich, dass sich Europa in diese gefährliche Richtung entwickelt.

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