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US-Wahlkampf USA: Wie eine Grenze spaltet

Die harte Realität an der Grenze zwischen Arizona und Mexiko: Freiwillige helfen Asylsuchenden, Schlepper und Kartelle beherrschen das Geschäft – und eine gespaltene US-Gesellschaft streitet.
24.10.2024, 05:00 Uhr
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USA: Wie eine Grenze spaltet
Von Thomas Spang

Der letzte Anstieg im Morgengrauen verlangt Randy Mayers volle Konzentration. Gekonnt steuert er seinen Geländewagen die bucklige Lehmpiste hinauf. Im Kofferraum klappert der Gaskocher, auf dem er später Tortillas und Bohnen aufwärmen will. Oben angekommen, fällt der Blick auf die Sonora-Wüste: „Da ist Mexiko.

Jeden Freitag legt Randy den beschwerlichen Weg durch entlegene Canyons von Sahuarita zurück, pünktlich zum Sonnenaufgang über der Pajarita Wilderness erreichen er und die Freiwilligen der „Green Valley Samaritans“ ihr Ziel: das abrupte Ende der zehn Meter hohen Grenzbarriere Donald Trumps, die keine Mauer, sondern ein Stahlzaun ist und nicht von Mexiko, sondern durch den US-Steuerzahlern finanziert wurde – für 34 Millionen Dollar die Meile.
Hier, an 31,38504 Grad nördlicher Breite und 111,23685 Grad westlicher Länge, auf halber Strecke zwischen den Grenzorten Nogales und Sasabe, warten seit 2 Uhr nachts mehr als 30 Asylsuchende auf die Border Patrol. Einige haben sich in Aluminiumdecken eingewickelt, die Randy und seine Freiwilligen in einem Zelt mit der Aufschrift „No More Deaths“ hinterlassen haben. Der Satz fasst den Grund für den humanitären Einsatz der Grenzsamariter zusammen: Die Durchquerung der Wüste endet jedes Jahr für Dutzende Migranten tödlich.
Von einer Anhöhe auf der anderen Seite der Grenze beobachten Späher des Sinaloa-Kartells das Geschehen. Sie kontrollieren, wer über die Grenze gehen darf und wer nicht. Mit jedem Meter neuem Zaun ließen sich die Kartelle ihre Dienste teurer bezahlen. Aktuell liegt der Tarif bei 6000 Dollar pro Kopf. Transport zur Grenze inklusive.



Dreimal am Tag bringen die Schlepper Menschen, die sie vorher abkassiert haben, an diese Stelle, um sie ihrem Schicksal zu überlassen. Die Frauen haben oft sexuelle Gewalt erfahren, andere sind traumatisiert oder einfach nur erschöpft. Wie Tony aus Kamerun, der mehr als zwei Monate unterwegs war, um hier zu landen. Über Brasilien und Kolumbien durch den Dschungel nach Panama und quer durch Mexiko. Oder Maria, die mit ihrem Kind von Kuba über Nicaragua den Weg zur Grenze fand.
„Sie haben Angst vor dem, was als Nächstes kommt“, weiß Randy, der im Hauptberuf Pastor einer evangelischen Gemeinde ist. Die Asylbewerber aus Lateinamerika werden ausnahmslos zurück nach Mexiko geschickt. Alle anderen landen in Auslieferungshaft.
Während Randy und eine Handvoll Helfer Burritos, Orangen, Kaffee, Wasser und Hygieneartikel ausgeben, erkundigen sie sich nach den Namen. Später erklärt Ran­dy den Flüchtlingen auf Englisch und Spanisch, dass die Border Patrol in einer halben Stunde auftauchen und sie zur Aufnahme der Personalien abtransportieren wird. „Bitten Sie nur um Asyl“, rät Randy den Menschen. „Sagen Sie nicht, dass Sie arbeiten wollen.“

Vor einem Jahr haben wir hier an manchen Tagen 200 bis 400 Personen gefunden.
Pastor Randy Mayer

Wie bestellt taucht der erste Grenzer um 7.30 Uhr auf. Er zählt die Flüchtlinge und fordert weitere Fahrzeuge an. Eine Stunde später sind die Menschen auf dem Weg zur Erfassungsstelle. Zeit für das Kartell, die nächste Gruppe zur Haltestelle im Nirgendwo zu schicken.
„Vor einem Jahr haben wir hier an manchen Tagen 200 bis 400 Personen gefunden, jetzt sind es zwischen 40 und 60“, erzählt Mayer, was sich seit dem Höhepunkt der Migrationskrise im vergangenen Dezember geändert hat. Diese Zahlen seien mit denen unter Donald Trump vergleichbar. Nachdem Joe Biden die harschen Maßnahmen Trumps adaptiert hat, müssen die Menschen wieder in Mexiko auf ihre Asylverfahren warten. „Mit Bidens Asylverbot kann eigentlich niemand mehr Asyl beantragen.“
Deshalb gibt es eine zweite Gruppe von Migranten, die Mayer „Reisende“ nennt. Sie nehmen den gefährlichen Weg durch die Wüste. Vorbei an Sensoren, virtuellen Zäunen und der Border Patrol. Und immer auf der Hut vor Klapperschlangen, Skorpionen und den Stacheln der Kakteen. Das größte Problem ist Dehydrierung, weshalb die Samariter strategisch Wassertanks in der Wüste aufstellen.
Für Trump sind diese Migranten alle Kriminelle. „Sie bringen Drogen. Sie bringen Kriminalität.“ Auf seinen Kundgebungen hat er den Ton verschärft. Die Einwanderer „vergiften das Blut der Nation“ und „bringen schlechte Gene ins Land“. Neuerdings verspricht er die „Befreiung“ Arizonas und der USA von der Invasion durch „die größte Massendeportation in der Geschichte“. Er setzt auf die Ahnungslosigkeit der Amerikaner, die nicht wissen, was an der Grenze passiert.

Am 31,38504 Grad nördlicher Breite und 111,23685 Grad westlicher Länge ist es offensichtlich, wie Trumps Ausbau der Grenzsicherung das Geschäft für Schleuser und Drogenschmuggler lukrativer gemacht hat. „Er hat eine ganze Industrie für das organisierte Verbrechen geschaffen“, meint Randy, der den Grenzzaun für eine „unglaubliche Geldverschwendung“ hält.
Das Kartell braucht 20 Minuten, einen Stahlpfeiler aufzuschweißen. Es müssen nur ein oder zwei Elemente entnommen werden, um eine Gruppe in wenigen Minuten durchzuschleusen. Anschließend werden sie wieder eingesetzt. „Das lässt sich kaum entdecken“, weiß Randy. „Beide Parteien nutzen die Grenze und die Einwanderung nur als politisches Instrument“. Solange dies so sei, werde sich nichts ändern.

Die Republikaner wollen billige Arbeitskräfte, die Demokraten wollen billige Wählerstimmen und die Amerikaner billige Tomaten.
Rancher John Ladd



Rancher John Ladd könnte an diesem Punkt nicht mehr einer Meinung sein. „Die Republikaner wollen billige Arbeitskräfte, die Demokraten wollen billige Wählerstimmen und die Amerikaner billige Tomaten“, erklärt er hinter dem Steuer seines roten Pickup-Trucks, warum der Kongress die Probleme an der Grenze nicht angeht.
In der vierten Generation besitzt Ladd nahe der früheren Kupferminen-Stadt Bisbee Weideland, das über 10,5 Meilen (17 Kilometer) an Mexiko grenzt. Er schätzt, dass in den vergangenen zehn Jahren eine halbe Million Einwanderer über seine Ranch in die USA gekommen sind. Einbrüche und Diebstahl seien an der Tagesordnung. „Ich hatte mehrmals eine Waffe auf mich gerichtet.“
Aber es ist auch gefährlich für die Migranten, von denen 17 auf seinem Land ums Leben kamen. Einmal entdeckte sein Enkel den Körper eines verdursteten Einwanderers. Die Border Patrol holte den Leichnam ab. Über Ladds Ranch kommen nicht Asylsuchende ins Land, sondern Einwanderer etwa aus Mexiko, die Arbeit suchen, oder Personen, die schon einmal abgeschoben wurden.



Ladd spricht von „Illegalen“. Auf seinem Handy zeigt er Bilder von jungen Männern in Tarnkleidung und mit Rucksäcken, die auf allen Vieren durch die Wüste krabbeln, um Kameras, Sensoren und Radar der Grenzschützer zu entkommen. Darunter seien Drogenschmuggler und Schleuser, die von den Kartellen geschickt werden.
Obwohl Ladd kein Freund der harschen Rhetorik Trumps ist, „werde ich ihn zu 100 Prozent wählen“. Die Amtszeit des Ex-Präsidenten sei „die beste Zeit gewesen, die es je an der Grenze gab“, meint der Rancher, der kürzlich Vizepräsidentschaftskandidat J.D. Vance am Grenzzaun zu Gast hatte. „Wenn Trump Vances Persönlichkeit hätte, würde er mit Leichtigkeit gewinnen“. So erwartet Ladd ein Rennen, dessen Ausgang keineswegs sicher sei.
Frustriert ist Ladd über den Stopp der Bauarbeiten an der Grenze, den Joe Biden nach seiner Amtsübernahme angeordnet hatte. „Der Zaun ist nur bis zur Hälfte des Berges gebaut worden“, zeigt er auf eine weit offene Stelle in der Wüste. Dabei räumt er ein, dass der Wall selbst das Problem nicht löst. Er zeigt eine Stelle im Zaun: Anfang des Jahres wurde sie sechsmal aufgeschweißt. Vor allem aber gebe es nicht genügend Bor­der Patrol. „Was hilft eine Mauer, wenn Sie niemanden haben, der die Illegalen aufgreift?“
Kamala Harris geht an diesem Punkt im Wahlkampf in die Offensive. Bei ihrem Besuch des Grenzorts Douglas in Arizona Ende September kritisierte sie Trumps Blockade eines überparteilich ausgehandelten Gesetzes zur Grenzsicherung im Kongress. Dieses sah unter anderem 1500 zusätzliche Border-Patrol-Beamte vor. „Er zieht es vor, mit einem Problem Wahlkampf zu machen, anstatt ein Problem zu lösen“, kritisiert sie. Grenzsicherheit und humaner Umgang an der Grenze schließe sich nicht aus, erklärte Harris. „Wir können und müssen beides tun.“
Der republikanische Bürgermeister von Douglas, Donald Huish, der Harris in der Grenzstadt willkommen hieß und im Nachbarort Sierra Vista Trump die Hand schüttelte, hofft auf mehr Augenmaß in der Grenzdebatte. „Die extremen Äußerungen zum Thema Einwanderung sind wenig hilfreich.“ Huish wünscht sich „eine sachliche Debatte und Lösungsvorschläge von beiden Seiten“. Denn seine Gemeinde braucht legale Einwanderung, um als Import-Export-Umschlagplatz zu florieren.

Die extremen Äußerungen zum Thema Einwanderung sind wenig hilfreich.
Bürgermeister Donald Huish



Obwohl Pastor Mayer, Rancher Ladd und Bürgermeister Huish dieselbe Realität an der Grenze beobachten, ist die Stimmung so aufgeheizt, dass Kompromisse nicht möglich scheinen. So wie es auch keine Rolle spielt, dass die Zahl der illegalen Grenzübertritte so niedrig ist wie seit Jahren nicht mehr. Gegenüber dem Höhepunkt im Dezember 2023 sanken die Zahlen um 77 Prozent auf US-weit rund 50.000 im Monat.
Im Swing State Arizona lässt sich im Wahlkampf der tiefere Grund erspüren. Von der Abtreibung über die Verteidigung der Demokratie bis zur Integrität der Wahlen stehen sich die Trump- und die Harris-Anhänger unversöhnlich gegenüber. Der Streit um die Grenze zu Mexiko gerät zum Symbol, das die tiefen Gräben innerhalb der eigenen Gesellschaft spiegelt.

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