In Besnaya und Darkush im Nordwesten Syriens sieht es aus wie nach einem Flächenbombardement in einem Krieg. Ganze Straßenzüge liegen in Schutt und Asche. Manche Häuser sind zur Hälfte zusammengebrochen, viele ganz und gar. Die Menschen laufen verzweifelt herum, um nach Angehörigen oder Habseligkeiten zu suchen. Es sind Bilder von kompletter Zerstörung. Doch es ist nicht der mittlerweile zwölf Jahre andauernde Bürgerkrieg, der diese Verwüstungen verursacht hat. Gewaltige Erdstöße haben die ganze Region heimgesucht. Besnaya und Darkush sind zwei Beispiele von vielen. Und doch sind sie erwähnenswert, weil sie in der Provinz Idlib liegen.

Wo die Erde am stärksten bebte.
Mehr als 1600 Menschen sollen in Syrien durch das Beben ums Leben gekommen sein. Die Todeszahlen werden steigen, die Bergungsarbeiten haben gerade erst begonnen. In der Türkei sind sie relativ schnell angelaufen, sofort waren Tausende von Rettungskolonnen im Einsatz, internationale Organisationen hatten ihre Mitarbeiter teilweise schon vor Ort und konnten sie sofort einsetzen. Die Lage in Syrien ist eine völlig andere. Dort arbeiten nur wenige Hilfsorganisationen, und die meisten haben keine Permanenz in dem vom Krieg zersplitterten Land. So ist es bis jetzt äußerst schwierig, verlässliche Informationen zu bekommen.
Die genannten Todeszahlen kommen aus Damaskus und beziehen sich auf die von der Regierung kontrollierten Gebiete – Aleppo, Hama und Latakia. Baschar al-Assad, der sonst eher zurückhaltend ist, was ausländische Hilfe anbelangt – besonders wenn sie aus dem Westen kommt – hat am Dienstag die internationale Gemeinschaft um Hilfe gebeten. Wie sich die Zusammenarbeit mit dem syrischen Diktator gestalten wird, muss man sehen. Dass Erdbeben keine Grenzen kennen, wird nun zum Lackmustest für die Krisenbewältigung. Ob aus Feinden Freunde in der Not werden, bleibt abzuwarten.
Gnadenlos fielen nicht nur Menschen und Häuser in der Türkei und Syrien dem Beben zum Opfer, sondern auch antike historische Monumente. Bei der Zitadelle von Aleppo, die schon durch die Bombardements der russischen Luftwaffe beschädigt wurde, brachen beim Beben ganze Teile in sich zusammen. Bilder zeigen, dass das Minarett der Moschee im Inneren der Zitadelle einstürzte, der Eingang zum Mamluken Turm zerstört wurde und das Tor zu dem 800 Jahre alten Monument schwer beschädigt wurde.
In Darkush, Besnaya und der Provinz Idlib stellt sich die Lage am schlimmsten dar, weil das Epizentrum des Bebens nicht weit entfernt lag. Die Provinz wird von den Rebellen gegen das Assad-Regime kontrolliert und ist vom Rest Syriens abgeriegelt. Der einzige Zugang zu Idlib ist ein Grenzübergang zur Türkei, um den es in den vergangenen Jahren immer wieder Streit gab. Assad möchte die schwer umkämpfte Provinz aushungern, um sie wieder in seinen Machtbereich eingliedern zu können. Nur durch Druck auf Russland haben es die Uno, einige westliche Länder und vor allem Hilfsorganisationen geschafft, dass Moskau immer wieder einer Verlängerung der Öffnung des Übergangs zugestimmt hat – zuletzt vor sechs Wochen.

Eingestürzte Gebäude: Wie hier in Azmarin in der Provinz Idlib im Norden Syriens sind Menschen auf der Suche nach Überlebenden.
Dieser Übergang wird nun zum Nadelöhr bei der Hilfe für Erdbebenopfer. Wie ein Mitarbeiter der kanadisch-amerikanischen Hilfsorganisation Mercy Corps, Arnaud Quemin, gegenüber dem katarischen Nachrichtensender Al Jazeera sagte, werden Mitglieder der Organisation, die im türkischen Gaziantep stationiert sind, unverzüglich in die Provinz Idlib reisen, um dort zu helfen. Allerdings, gibt Quemin zu bedenken, dass derzeit einige Flughäfen in der Türkei wegen Beschädigungen geschlossen seien. Deshalb werden Hilfsgüter nur mit einiger Verzögerung ankommen. In der katarischen Hauptstadt Doha stehen Flugzeuge bereit, um Hilfsgüter nach Idlib zu liefern. Vor allem Telefone und Smartphones will das Golfemirat dort verteilen, damit die Koordinierung besser funktioniert. Taiwan schickt Suchhunde und medizinisches Personal.
„Es war schon immer schwierig, schon vor dem Erdbeben, im Norden Syriens zu arbeiten“, sagt Elias Abu Ata vom International Rescue Committee der BBC. In der ganzen Provinz Idlib liege die Infrastruktur durch die langen Jahre des Bürgerkriegs am Boden. Jetzt dürfte es noch schwieriger werden. Für die kommenden Tage sind Schnee, eisige Kälte und heftiger Regen angesagt.