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Ermittlungen gegen tschechischen Premier Viel Arbeit für die neuen EU-Ankläger

Die neue Europäische Staatsanwaltschaft soll ihre Arbeit im Juni aufnehmen. Der erste Auftrag könnten Ermittlungen gegen den tschechischen Premier Babis wegen Subventionen für das eigene Unternehmen sein.
19.05.2021, 15:20 Uhr
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Viel Arbeit für die neuen EU-Ankläger
Von Detlef Drewes

Auf dem Luxemburger Kirchberg laufen noch die letzten Vorbereitungen für eines der größten Projekte der EU: Am 1. Juni soll dort, unweit des Europäischen Gerichtshofes, die neue Europäische Staatsanwaltschaft ihre Arbeit aufnehmen. Zum ersten Mal hat dann eine EU-Behörde mit 140 Anklägern auch Ermittlungsbefugnisse, wenn es um Straftaten zulasten des EU-Haushaltes geht.

Schon das erste Verfahren dürfte es in sich haben: Denn das Europäische Parlament hat am Mittwoch darauf gedrängt, dass zügig gegen einen aktiven Regierungschef Ermittlungen eröffnet werden. Es geht um Andrej Babis (66), den Ministerpräsidenten der Tschechischen Republik. „Es ist absolut inakzeptabel, wie stark sich in Tschechien oligarchische Strukturen ausgebreitet und verfestigt haben, die mit großer Dreistigkeit alles unternehmen, um sich an europäischen und nationalen Fördergeldern zu bereichern“, sagte die CSU-Europa-Abgeordnete Monika Hohlmeier am Mittwoch im Plenum.

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Hohlmeier gehört dem Haushaltskontrollausschuss an und gilt als konsequente Kämpferin gegen die Zustände in unserem Nachbarland. „Der tschechische Ministerpräsident darf nicht über Gelder verhandeln, von denen er persönlich profitieren könnte“, betonte auch Viola von Cramon aus der Grünen-Fraktion. Der Chef der deutschen Sozialdemokraten im EU-Parlament, Jens Geier, sagte: „Da hätten seit Jahren keine Fördergelder mehr fließen dürfen.“

Der Skandal schlägt hohe Wellen. Babis hat als Unternehmer den Landwirtschaftskonzern Agrofert aufgebaut, den er zu einer Holding umbaute, die etliche hundert Agrarunternehmen sowie Medienkonzerne und Lebensmittelbetriebe vor allem im Osten der Gemeinschaft vereint. Zwar strukturierte er den Vorstand inzwischen so um, dass die Arbeit nicht mehr von ihm selbst erledigt werden muss. Pikanterweise übertrug er die Aufgaben aber Familienmitgliedern und sorgte gleichzeitig dafür, dass sein Einfluss erhalten blieb und er auch jederzeit an die Spitze der Holding zurückkehren könnte. Babis gilt als Multimilliardär, der Vorwurf, dass etliche Millionen an EU-Fördergeldern im Land versickert seien, hält sich seit Jahren. Erst vor wenigen Monaten tauchten neue Anschuldigungen auf, die eine mögliche Agententätigkeit für die frühere Staatssicherheit belegen sollen.

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Es sei „befremdlich“, sagte Hohlmeier, „dass die Mitgliedstaaten tolerieren, dass Regierungsmitglieder, die einem Interessenkonflikt unterliegen, im Rat unter anderem die Art und Weise der Verteilung der gemeinsamen Agrar- und Kohäsionsgelder mit aushandeln und dabei potenziell vorrangig ihre eigenen Interessen oder die ihrer Familie und Freunde im Blick haben“. Außerdem warf sie dem tschechischen Premier „Vertuschungsversuche“ vor, weil kritisierte Projekte aus der EU-Förderung herausgenommen und Rechnungen zurückgezogen wurden, um Einwänden zu entgehen.

Olaf, die Anti-Betrugsbehörde der EU, hat die Situation ebenso mehrfach kritisiert wie der Europäische Rechnungshof. Und sogar die Brüsseler Kommission stellte sich in einem Prüfbericht hinter die Kritik – brauchte allerdings über eineinhalb Jahre, um eine Position zu formulieren. Auf die Stellungnahme zur Verwendung der Agrarmittel in Tschechien warten die Abgeordneten immer noch. Das Parlament will mit einer Resolution nun Bewegung in den Konflikt bringen. Das ist für Babis politisch brisant, denn im Herbst finden in dem Land Neuwahlen statt. Ob die neue Anklagebehörde der Europäischen Union nach ihrem Start schnell Ergebnisse vorlegen kann, ist zweifelhaft. Allzu großes Interesse dürfte die Prager Führung nicht haben, dass die EU-Staatsanwälte ihre Ermittlungen noch vor Gang zur Wahl aufnehme.

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