Emmanuel Macron hat es nicht geschafft. Der französische Präsident wollte bei seinem Staatsbesuch Mitte April in Ägypten ein Zeichen setzen und überredete seinen Amtskollegen Abdel Fattah al-Sisi, mit ihm auf den Sinai zu fahren, ganz nah an die Grenze zum Gazastreifen. Seine Präsenz dort, so hoffte der Franzose, werde die Israelis dazu bewegen, die seit Wochen bestehende Blockade der Hilfslieferungen in den Gazastreifen aufzuheben und zumindest Nahrungsmittel wieder zuzulassen.
Die beiden Präsidenten besuchten ein Krankenhaus in der Stadt Al Arish, die nur 30 Kilometer vom Grenzübergang Rafah entfernt liegt und wo schwerverletzte Palästinenser behandelt werden. Doch die Geste Macrons beeindruckte die Regierung in Israel kein bisschen. Im Gegenteil: Mit unverminderter Härte setzt die israelische Armee ihre Angriffe im Gazastreifen fort und die Schlange der Lkw mit Hilfslieferungen, die vergeblich auf Einlass in den Küstenstreifen warten, wird immer länger.
Das Sicherheitskabinett in Jerusalem hat verkündet, dass die Armee den kompletten Gazastreifen wieder einnehmen werde und mobilisiert dafür Zehntausende von Reservisten. 2005 hatte der damalige Premierminister Ariel Sharon den Gazastreifen räumen lassen, löste die 21 israelischen Siedlungen auf und stellte den dicht besiedelten Küstenstreifen unter palästinensische Verwaltung. Eine Zäsur für Israelis und Palästinenser damals. Jetzt hoffen radikale Siedler, dass das Rad zurückgedreht wird.
Es ist erbärmlich, dass in Deutschland noch immer nicht hinreichend zwischen Anti-Semitismus und Anti-Zionismus unterschieden werden kann. Weder in der Politik noch in den Medien. Abgesehen davon, dass Semiten nicht nur Juden sind, sondern auch Araber, Aramäer und Malteser, hat das, was im Gaza-Krieg gerade passiert, nichts mit dem Judentum zu tun. Es ist die Brutalität und Ruchlosigkeit eines Premierministers und seiner rechtsradikalen Kabinettsmitglieder, die einen schon lange gehegten Plan vorantreiben.
Der Politikwissenschaftler und Publizist Ludwig Watzal datiert den Anfang dieses Plans an die Wahl des national-konservativen israelischen Premiers Menachem Begin 1977. In seinem Buch „Feinde des Friedens, der endlose Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern“, zitiert Watzal aus Protokollen der Regierungserklärung Begins, dass es für ihn kein Palästina, sondern nur Eretz Israel gebe. „Es reicht vom Mittelmeer bis zum Jordan.“ Watzal wurden daraufhin antisemitische Tendenzen vorgeworfen.
Menachem Begin ging in die Geschichtsbücher als Friedensengel mit Ägypten ein, als er in Camp David 1979 den Friedensvertrag mit Anwar al-Sadat unterzeichnete. Doch die Aussagen Begins und später auch des jetzigen Premiers Benjamin Netanjahus können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die zionistische Bewegung schon lange ein Großisrael anstrebt. Um dies noch präziser zu fassen und den Verallgemeinerungen entgegenzuwirken, kursiert im Nahen Osten jetzt der Begriff „Israelismus“. Er bedeutet eine unkritische Liebe zum Staate Israel.
„Für das von der Hamas angerichtete Massaker und die hundertfache Geiselnahme gibt es keine Rechtfertigung“, sagt Volkhard Bir aus Bremen, der lange Zeit im israelischen Jaffa gelebt und gearbeitet hat. So etwas Entsetzliches sei mit nichts aus der heutigen Zeit vergleichbar. Zu der unendlichen Tragödie zwischen Palästinensern und Israelis gehöre aber auch der seit 1948 (seit Gründung des Staates Israel) von Israel legalisierte Land- und Immobilienraub der Palästinenser.
Bir erwähnt eine Schätzung, wonach seitdem bis zu 70 Prozent des Territoriums Israels Schritt für Schritt annektiert wurden. Dies setze sich heute fort. „Ich bin der tiefen Überzeugung, dass der Landraub über die Jahrzehnte so geläufig und zugegebenermaßen nicht so blutig ist wie kriegerische, tödliche Auseinandersetzungen.“ Er werde andererseits aber ein dauernder Stachel im Fleisch der Palästinenser bleiben, auch der israelischen Palästinenser.