Es ist Antony Blinken zu gönnen, dass sein Chef, der noch wenige Tage Präsident der Vereinigten Staaten ist, endlich die Annäherung im Gazastreifen verkünden konnte. Unermüdlich jettete der amerikanische Außenminister in den vergangenen Monaten zwischen Washington, Kairo, Doha und Jerusalem hin und her ohne greifbaren Erfolg. Immer wieder hieß es, man sei einem Abkommen so nah wie noch nie. Doch nie wurde etwas draus. Eine Seite, entweder Israel oder die Hamas, blockierte letztendlich.
Jetzt, auf den letzten Metern seiner Amtszeit, könnte Blinken gelingen, was er vor über einem Jahr den Menschen in Israel versprochen hat: „We bring them home“ – wir bringen sie nach Hause. Gemeint sind die Geiseln, die nach 15 Monaten Krieg zwischen Israel und der Hamas immer noch im Gazastreifen sind und die bei all den anderen Turbulenzen im Nahen Osten fast vergessen schienen. Denn seit November 2023, gut einen Monat nachdem der Krieg im Gazastreifen begann und 105 von ihnen freikamen, ist es nicht mehr gelungen, weitere Geiseln zu befreien.
Sie aber leiden am meisten, nicht nur körperlich, sondern vor allem psychisch. Nicht nur, dass man die Kontrolle über seinen Körper verliert und sich gewahr sein muss, dass das Leben jeden Moment beendet sein kann. Es bleiben auch psychische Störungen, Traumata, posttraumatische Störungen und Panikattacken zurück, die nach der Freilassung meist den Rest des Lebens bestimmen.
Im Gazastreifen brach Jubel aus, als der katarische Ministerpräsident Mohammed bin Abdulrahman Al Thani den Deal in Doha in Aussicht stellte, denn die Palästinenser dort haben unbeschreibliches Leid erfahren. Die Mehrheit der fast zwei Millionen Einwohner des Küstenstreifens am Mittelmeer haben alles verloren, mehr als 40.000 sind getötet worden. Die Verletzten zählt niemand mehr. Die Versorgungslage ist katastrophal, das Leben dort, so berichten Mitglieder der wenigen Hilfsorganisationen, die in den Gazastreifen einreisen dürfen, könne man nicht mehr als Leben bezeichnen. Es sei ein Dahinvegetieren.
Internationale Journalisten sind für die Berichterstattung im Gazastreifen noch immer nicht zugelassen. Nur wenigen wurde bislang von der israelischen Militäradministration gestattet, in Begleitung von Presseoffizieren ausgesuchte Plätze zu besuchen. Doch auch den sogenannten eingebetteten Journalisten ist die ungeheure Zerstörung des Gazastreifens nicht verborgen geblieben. Mit Palästinensern sprechen durften sie allerdings nicht.
Wenn der Deal zustande kommt, sollen in den nächsten sechs Wochen 33 israelische Geiseln und bis zu 1600 palästinensische Gefangene aus israelischer Haft freikommen. Für jede zivile israelische Geisel sollen 30 Palästinenser freigelassen werden, für jede freigelassene israelische Soldatin 50 palästinensische Gefangene. Dieses Zahlendetail verdeutlicht die Komplexität der Verhandlungen. Die Gesamtzahl der freigelassenen palästinensischen Gefangenen soll also von der Zahl der freigelassenen israelischen Geiseln abhängen.
Der sogenannten ersten Phase des Abkommens sollen drei weitere folgen. Ob es dazu kommt, ist allerdings äußerst ungewiss. Doch es ist gut, dass überhaupt etwas auf dem Tisch liegt, das die Zustimmung sowohl Israels als auch der Hamas finden könnte, wenn es zur Klärung weiterer Details kommt. Es sei ein lange überfälliges Abkommen, sagt der Leiter der Diakonie Katastrophenhilfe, das am Sonntagnachmittag in Kraft treten soll. Martin Keßler ist zuversichtlich, dass seine Organisation bald die Hilfe für den Gazastreifen ausweiten und nicht nur Nahrungsmittel und Winterhilfe gewährleisten kann.
Dass jetzt in Washington darüber gestritten wird, ob ein Waffenstillstand in Nahost der endenden Joe-Biden-Administration oder dem am Montag ins Amt kommenden Donald-Trump-Team zugeschrieben werden soll, ist traurig genug. Dass die Drohung Trumps, die Hölle werde losbrechen, sollte die Hamas nicht einwilligen, allein ausschlaggebend war, glauben wohl nur Trump selbst und sein „spezieller Freund“ Benjamin Netanjahu.