In Polen werden LGBTIQ*-Menschen offen von der Regierung und weiten Teilen der Gesellschaft diskriminiert. In Danzig hat sich die queere Zivilgesellschaft über Jahrzehnte Akzeptanz und Freiräume erkämpft. Doch es ist ein Paradies mit Brüchen. Hier erzählen einige Menschen aus ihrer Lebensrealität.
Brücken bauen, wo Mauern entstehen So lebt die queere Community in Bremens Partnerstadt Danzig
In Polen werden LGBTIQ*-Menschen offen von der Regierung diskriminiert. In Danzig hat man sich Akzeptanz erkämpft, doch es ist ein Paradies mit Brüchen. Queere Menschen berichten.
Die rechtskonservative und populistische Partei PiS (dt. Recht und Gerechtigkeit) konzentrierte ihren Parlamentswahlkampf sowie den Präsidentschaftswahlkampf 2019 auf das das Thema Anti-LGBTIQ und gewann damit beide Wahlen. Polen steht im EU-Vergleich das Schlusslicht in Sachen Gleichberechtigung queerer Menschen. Früher sei Polen in dem Ranking noch geklettert, erinnert sich Arek Jemielniak, Mitglied des Danziger Vereins Tolerado. Immerhin sei in Danzig eine Art liberale Blase erkämpft worden, im polnischen Vergleich zumindest, so dass LGBTIQ-Personen hier relativ sicher leben können.

Auch wenn Danzig liberal regiert wird und eine progressive Zivilgesellschaft auf der Straße bringt, ist es nur eine gemütliche Blase mit Brüchen: Das nationale Recht verbietet auch hier die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare oder die Adoption von Kindern in Regenbogenfamilien. Auch hier muss geklagt werden gegen LGBT-feindliche Hassbotschaften kirchennaher Organsationen, auch hier belagert ein feindseliger Mob ein Treffen von Regenbogenfamilien mit Kindern.
Der jährliche Gleichstellungsmarsch, dessen Logo auf dem Button zu sehen ist, ist nach wie vor ein wichtiger Mobilisierungstermin der Danziger LGBTIQ-Community. Es geht zum einen darum, einen Tag lang offen, stolz und farbenfroh auf die Straße zu gehen, und zugleich geht es um den Kampf für basale Grundrechte, die in Deutschland bereits gesetzlich verbrieft wurden.

“Ich dachte jahrelang, ich sei krank und Gott würde mich bestrafen. Ich wollte sogar eine Konversiontherapie machen um hetero zu werden. Zum Glück hat Tolerado mich rechtzeitig aufgefangen.” Agnieszka Orlowska, 25 studiert Russistik und Psychologie und leitet eine der Jugendgruppen von Tolerado.

Kirche und Politik sind in Polen enger verwebt als in Deutschland. Die polnische katholische Kirche fährt einen harten Anti-LGBTIQ-Kurs. 2021 bekam Danzig einen neuen Erzbischof zugewiesen - ausgerechnet den Hardliner Tadeusz Wojda, der zuvor Erzbischof von Bialystok war. Dort wurde 2019 ein Gleichstellungsmarsch organisiert und gewalttätig von Rechtsextremen angegriffen, es gab Dutzende Verletzte auf Seiten des Demonstranten. Amnesty International verurteilte die fehlenden Schutzbemühungen der anwesenden Polizeikräfte. Erzbischof Wojda hatte im Vorfeld des Marsches ein "non possumus", ein entschiedenes Nein seiner Kirche proklamiert und den Gleichstellungsmarsch als Blasphemie bezeichnet.

“Politik und Tradition verhindern, dass LGBTIQ*-Menschen sich in Polen sicher fühlen können. Doch mit unserer Sportgruppe schaffen wir ein sicheren Ort für alle, jeder kommt wie er ist, kleidet sich wie er will und nennt sich wie er sich wohlfühlt - wir treiben gemeinsam Sport und tanken Selbstbewusstsein.” Andrzej Tokarski ist Gründer der Danziger Gruppe der queeren Sportinitiative Homokomando, die es auch in anderen polnischen Städten gibt.

Auch im liberalen Danzig gibt es gewalttätige Übergriffe, so zum Beispiel der Angriff auf das Training einer queere Sportgruppe vom Homokomando im Reagan-Park im März 2021. Tokarski spricht jedoch ungern über den Angriff, weil er ein ewiges Opfer-Narrativ über LGBTIQ*-Menschen bestärke. Viel wichtiger sei es, die Stärke und Widerstandskraft der Community zu betonen, um vorwärts zu schauen und sich auf empowernde Inhalte zu besinnen.

"Konservative Propaganda verbindet Homosexualität mit Pädophilie. Mein Wunsch ist, geoutet in jedem Beruf arbeiten zu können, ohne kriminalisiert zu werden. Ich möchte Kinderpsychologin werden." Elisaveta Nikitsina, 20 und studiert Medizin. Sie ist erst seit wenigen Wochen Mitglied der Jugendgruppe. Dort hat sie erstmals das Gefühl, in ihrer Gänze akzeptiert zu werden. Den Mut zum Coming-out fand sie erst durch den Rückhalt der Gruppe.

Elisaveta ist aus Belarus immigriert, wo die Situation für LGBTIQ noch schlimmer ist als in Polen. Sie möchte nicht noch einmal in ein anderes Land ziehen müssen um in mehr Freiheit zu leben. Sie wünscht sich, dass in Polen die Ehe für Alle erkämpft wird und einem Kind mit zwei Müttern oder Vätern kein Mobbing droht. Sie zeigt ein Handybild vom Tatoo auf ihrem Rücken, dort steht in Regenbogenbuchstaben "I matter", auf Deutsch etwa "Ich bin wertvoll".

“LGBTIQ-Feindlichkeit muss in Polen dringend kriminalisiert werden. Wenn wir physisch oder verbal angegriffen werden, bietet uns das polnisches Recht keinen Schutz", sagt Piotr Jankowski, Vorstand im Verein Tolerado und Mitglied des Danziger Gleichstellungsrates.

Der Eingang zum Vereinssitz von Tolerado ist aus Sorge vor feindseligen Besuchern bewusst unscheinbar gehalten, kein buntes Türschild deutet auf die Menschenrechtsarbeit im zweiten Stock hin. Hier treffen sich regelmäßig Gruppen, z.B. für queere Jugendliche oder Transpersonen, einen Kunstzirkel, Austauschrunden für Eltern oder Angehörige queerer Menschen sowie auch psychotherapeutische Angebote.

Nikodem Mrozek ist eines der Gründungsmitglieder des Tolerado-Vereins. Er erinnert sich gut an den zähen Kampf, aber auch errungene Erfolge: die Politik habe ihnen nie etwas geschenkt, doch jahrelange Aufklärungsarbeit zahlreicher LGBTIQ-Aktivisten und Aktivistinnen konnten Danzig tatsächlich politisch verändern. 2004 hatte der ehemalige Bürgermeister Pawel Adamowicz den Danziger Gleichstellungsmarsch noch verboten - und gestand 2017 in einer Entschuldigung bei der LGBTIQ-Community ein, dass dies verfassungswidrig gewesen war. Adamowicz nahm 2017 als erster Bürgermeister Polens offiziell an einem Gleichstellungsmarsch teil, was landesweit für Aufsehen - aber auch Nachahmer sorgte.

"Hier ist eine Zone frei von LGBT-freien Zonen". Das Wandbild in einer Danziger Altstadkneipe ist ein Statement, das eine queer-feindliche Botschaft ins Gegenteil verkehrt: Seit 2019 haben sich vor allem im Südosten Polens etliche Kommunen als "LGBT-ideologiefreie Zonen" deklariert und damit queere Menschen stigmatisiert und für unwillkommen erklärt. Die katholische Kirche als auch die Regierungspartei PiS begrüßten diese Bewegung. Die Bewegung wurde international hingegen u.a. vom EU-Parlament mit großer Mehrheit verurteilt.

“Präsident Duda sagte öffentlich, LGBTIQ* Personen seien keine Menschen, sondern eine Ideologie, die schlimmer sei als der Kommunismus. Queer in Polen zu sein bedeutet, sich ständig gegen Hassrede wehren zu müssen. Das raubt Kräfte, die wir dringend für den Kampf um unsere Grundrechte bräuchen, z.B. die Ehe für Alle.” Madga Czupryniak, 25, ist Psychologie-Studentin und Leiterin einer queeren Jugendgruppe.

Die Community zu finden sei das Wichtigste für einen queeren Menschen in Polen, egal welchen Alters. Denn die meisten wachsen mit konservativen Geschlechterrollen und Familienbildern auf, die mit LGBTIQ-feindlichen Haltungen einhergehen. Das erschwere, seinen Platz in der Welt zu finden. Die Selbstmordrate unter queeren Menschen, insbesondere Jugendlichen, sei besorgniserregend hoch.