- Warum sind Bremen und Danzig eine Städtepartnerschaft eingegangen?
- Woraus besteht die Partnerschaft?
- Wie viel Symbolik ist dabei, wie viel tatsächliche Verbindung und Solidarität?
- Welches Verhältnis haben Deutschland und Polen heute?
- Was sind Herausforderungen für die Partnerschaft angesichts der Anti-Deutschen Entwicklungen?
- Was macht Danzig als Stadt besonders?
- Was bedeutet die Städtepartnerschaft heute?
Brema i Gdansk, Bremen und Danzig. Ob deutsch oder polnisch, das ist egal, klar ist: Die Städte verbindet vieles. Zum Beispiel, dass sie Hafenstädte sind, Bremen im Norden Deutschlands und Danzig im Norden von Polen. Und so ist es unumgänglich, dass sie auch eine gewisse Optik gemeinsam haben, die Schiffe an der Promenade, die Backsteingebäude oder sogar einen identischen Brunnen – Bremen schenkte Danzig ein Abbild des Pferdebrunnens, der am Ende der Sögestraße steht.
Aber auch politisch haben Bremen und Danzig viele Gemeinsamkeiten: Sie sind offene und freiheitliche Orte, an denen liberale und demokratische Werte gelebt und von Bürgerinnen und Bürgern engagiert getragen werden. Seit 1976 pflegen die beiden Städte eine enge Partnerschaft, die intensivste aller Städtepartnerschaften Bremens, wie Birgitt Rambalski als Verantwortliche für Auswärtige Angelegenheiten im Bremer Rathaus sagt. Wie kam es überhaupt zu der Partnerschaft – und was macht sie heute noch bedeutsam, gerade, wenn Deutschland und Polen sich auf nationaler Ebene voneinander zu entfernen scheinen? Fragen und Antworten.
Warum sind Bremen und Danzig eine Städtepartnerschaft eingegangen?
Die Historie der Verbindung zwischen den beiden Hansestädten reicht weiter zurück als bis ins Jahr 1976, als die damaligen Stadtoberhäupter, Bürgermeister Hans Koschnick und Stadtpräsident Andrzej Kaznowski, die Rahmenvereinbarung unterschrieben. Schon vorher näherten sich Bremen und Danzig im Zuge der Entspannungspolitik zwischen Ost und West an, indem etwa Hans Koschnick und die kommunistische polnische Regierung Gespräche über eine Partnerschaft führten.
Der Rahmenvertrag zwischen den Städten war der erste, der nach dem Zweiten Weltkrieg zwischen einer Stadt der Bundesrepublik Deutschland und einer der Volksrepublik Polen geschlossen wurde. Er setzte sich die Aussöhnung zwischen den beiden Völkern zum Ziel, nachdem das Verhältnis durch den Einmarsch Deutschlands im Zweiten Weltkrieg brachlag. Die Partnerschaft sollte vor allem Begegnungen zwischen Menschen stiften und einen Austausch in sozialen und kulturellen Bereichen sowie in der Kommunalpolitik, Wirtschaft, Wissenschaft, Presse und Sport antreiben.
Woraus besteht die Partnerschaft?
Zum größten Teil sind es zivilgesellschaftliche Akteurinnen und Akteure aus Bremen und Danzig, die im Austausch miteinander stehen. Die politischen Repräsentantinnen und Repräsentanten halten bei gegenseitigen offiziellen Besuchen Reden, unterschreiben in goldenen Büchern und sprechen sich Solidarität zu.
Als eine zentrale Instanz für die gesellschaftlichen Bewegungen gilt die Deutsch-Polnische Gesellschaft in Bremen sowie ihr Pendant Towarzystwo Polska – Niemcy w Gdansku (TPN) (Gesellschaft Deutschland – Polen in Danzig). Sie veranstalten viele Projekte und initiieren Begegnungen zwischen Bremerinnen und Danzigern.
Ein Beispiel dafür ist eine kleine Kinderbibliothek mit Deutschen Büchern, die in Danzig eingerichtet wurde und für die Bremerinnen und Bremer etliche Bücher gesammelt haben. Jugend- und Bürgeraustausche werden immer wieder über verschiedene Verbände und Vereine wie die Awo organisiert; Clubs wie die Lions Clubs oder die Rotarier veranstalten eigene Fahrten in die polnische Stadt an der Ostsee und umgekehrt. Die Pfadfinder etwa bilden einen wichtigen Bestandteil der Partnerschaft, weil sie sich immer für einen Austausch eingesetzt haben, selbst, wenn er aus politischen Gründen nicht erwünscht war.
Rainer Nalazek hat sich als ehemaliger Leiter der Bremer Pfadfinder nicht nur einmal dafür rechtfertigen müssen "mit den Kommunisten gemeinsame Sache zu machen", wie er sich erinnert. In den 80er Jahren, als Polen das Kriegsrecht als Reaktion auf die Solidarnosc-Bewegung ausrief, stand Bremen den Danzigern zur Seite – schickte ihnen Versorgungspakete und hielt weiterhin Kontakt.
Außerdem wird die Partnerschaft durch wissenschaftlichen Austausch gestützt, etwa über die Forschungsstelle Osteuropa. So erschien zum Beispiel im Jahr 2020 ein Buch des Autors Rüdiger Ritter über das Bremer Solidarnosc-Büro und das Engagement Bremens in den 1980er-Jahren. Die Auflage in polnischer Sprache wird unter anderem aus dem Geld des Viadrina-Preises finanziert, den die Städtepartnerschaft 2021 erhielt.
Natürlich spielen auch wirtschaftliche Beziehungen eine Rolle: Nach der politischen Wende in Polen 1989 holte sich Danzig viele Ratschläge in Bremen ein, was die Umorganisation in marktwirtschaftliche Strukturen und Privatisierung staatlicher Betriebe anging. Vor allem aber ging es um Kontakte zu Bremer Firmen, es entstanden Kooperationen zwischen Wirtschaftsvertretern und Führungskräften aus beiden Städten, besonders auf den Gebieten der Hafenwirtschaft, Schifffahrt, Umwelt und Tourismus. 1990 eröffnete die Bremer Wirtschaftsförderungsgesellschaft das "Bremen Business Buareau" in Danzig, das sich bis 2003 mit der Kontaktaufnahme und Marktforschungsfragen befasste. Heute vernetzen sich Wirtschaftsunternehmen aus Bremen und Danzig aus den Bereichen der Luft- und Raumfahrt und Windenergie. Und, natürlich bestehen auch über die Häfen Beziehungen – der Landeshafenausschuss plant zum Beispiel bald eine Reise. Die Häfen Gdynias und Danzigs stehen inzwischen mit den bremischen Häfen im Wettbewerb.
Wie viel Symbolik ist dabei, wie viel tatsächliche Verbindung und Solidarität?
Geht es nach Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte, besteht die Partnerschaft aus beidem und braucht sie beides. "Wenn man die Freundinnen und Freunde aus Danzig trifft, ist es immer ein ganz wunderbares Miteinander, und da merkt man, das wird gar nicht nur von den Funktionärinnen und Repräsentanten getragen", sagt er.
Und doch beobachten manche Akteure, dass die Partnerschaft auf gewissen Ebenen zwischenzeitlich eingeschlafen sei. Die Bremer Sportjugend zum Beispiel hat lange Zeit Jugendaustausche oder Bildungsfahrten zwischen Sportvereinen in Bremen und Danzig organisiert. Marek Kepinski, der selbst aus Danzig stammt und in der Sportjugend viele Fahrten mitveranstaltet hat, erzählt, dass der Austausch seit 2016 nicht mehr stattfindet.

Der Neptunbrunnen vor Danziger Altstadtkulisse, im das rechtsstädtische Rathaus.
Dafür gebe es verschiedene Gründe, unter anderem liege das an einem Generationenwechsel in den Vereinen. Es fehle der Nachwuchs, der ehrenamtliche Arbeit leiste – in Polen seien Sportvereine anders organisiert, dort arbeiten viele Hauptamtliche in den Vereinen. Daher hätten sich auch schon immer Unterschiede zwischen den Jugendlichen gezeigt, während es den Polen stärker um Leistung gegangen sei, hätten die Deutschen mehr Wert auf Spaß und den kulturellen Austausch gelegt. Auch sei in Polen irgendwann das Interesse zurückgegangen – Kepinski führt das darauf zurück, dass die Polen immer mehr Möglichkeiten, auch mit anderen Ländern, wahrgenommen haben.
Durch die Corona-Pandemie waren viele Treffen nicht möglich, Jugendaustausche oder andere Projekte mussten ausfallen oder verschoben werden. Das soll sich in diesem Jahr wieder ändern.
"Mein Wunsch wäre von Anfang an gewesen, mit der Gründung der Städtepartnerschaft, dass man mehr Gewicht auf die Bevölkerung gelegt hätte. Städtepartnerschaften funktionieren nur über die Bürger", sagt Rainer Nalazek und kritisiert damit, dass zwischenzeitlich doch zu viel Gewicht auf die politische Symbolik gelegt wurde. Katarzyna Weichert, Vorsitzende der Deutsch-Polnischen Gesellschaft in Bremen, wünscht sich eine bessere Vernetzung unter den verschiedenen Akteurinnen und Akteuren in der Partnerschaft und hat sich dieses Ziel zusammen mit dem restlichen Vorstand auf die Fahne geschrieben.
Im Jahr 2021 beschloss die Bürgerschaft einen Antrag von SPD, CDU, Grünen, Linken und FDP, der festlegt, dass die Städtepartnerschaft noch mehr als bisher der Begegnung von Bürgerinnen und Bürgern dienen soll. Darin fordern die Fraktionen etwa die Unterstützung von Jugendaustauschen durch Erasmus oder eine intensivere Zusammenarbeit, auch zwischen Sportvereinen.
Welches Verhältnis haben Deutschland und Polen heute?
Die internationalen Beziehungen zwischen Deutschland und Polen waren in den vergangenen Jahren eher von Tiefs als Hochs geprägt. Auch wenn sich Polen und Deutschland gemeinsam mit Frankreich als "Weimarer Dreieck" in der Ukraine-Krise zusammengetan haben, bröckelt das Verhältnis zwischen Deutschland und Polen – insbesondere seit die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) 2015 in Polen zur Regierungspartei gewählt wurde.
Immer wieder schießen Funktionäre der PiS gegen Deutschland, in den regierungsfreundlichen Medien werden Anti-Deutsche Ressentiments verbreitet. Immer wieder gibt es Streit um die Erinnerungskultur an den Zweiten Weltkrieg und Forderungen von Reparationszahlungen. Die polnische Regierung behauptete zwischenzeitlich, Polen hätte nicht einen Groschen an Entschädigungszahlungen von Deutschland erhalten.
Eine regierungsnahe Stiftung finanzierte ein Projekt mit, bei dem in diesem Zusammenhang in Warschau Poster von Ex-Kanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier neben Adolf Hitler und NS-Propagandaminister Joseph Goebbels aufgehängt wurden.
Auch im Zuge der Auseinandersetzungen zwischen Polen und der EU um die Rechtsstaatlichkeit wetterten PiS-Anhänger gegen Deutschland: Sie ließen die Unabhängigkeit des Bundesgerichtshofs prüfen, während die EU und Deutschland die polnische Regierung wegen der politischen Abhängigkeit ihres Justizsystems kritisierten.
Die Nationalkonservativen setzen zudem die deutsche Minderheit in Polen unter Druck: So kürzte das polnische Parlament die Mittel für den Sprachunterricht der Minderheit, zu der nach eigenen Angaben etwa 300.000 Menschen gehören. Die Begründung: Schülerinnen und Schüler polnischer Abstammung würden in Deutschland nicht ausreichend gefördert.
Hinzu kommt der Konflikt um die umstrittene Ostsee-Pipeline Nordstream 2, gegen die sich Polen klar positioniert, während Deutschland sich für die Inbetriebnahme ausspricht. Der Vorwurf von polnischer Seite, der allerdings auch von der Oppositionspartei PO getragen wird: Deutschland habe sich bei der Gaspipeline über die polnischen Köpfe hinweggesetzt.
Jüngst unterstellten führende PiS-Vertreter außerdem der neuen Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP, sie wolle aus der EU ein „Viertes Reich“ machen. Es gibt also zahlreiche Beispiele dafür, dass die Beziehungen auch heute noch schwierig sind. Die PiS-Partei meldete sich auf eine Anfrage des WESER-KURIER im Übrigen nicht zurück.
Was sind Herausforderungen für die Partnerschaft angesichts der Anti-Deutschen Entwicklungen?
"Frau Dulkiewicz muss sich Vorwürfen gegenüber verteidigen. Ihr wird vielfach vorgeworfen, sie sei eine Deutsche, sie wurde sogar schon als Nazi-Deutsche bezeichnet. Sie hält das aber durch, so wie ihr Vorgänger Pawel Adamowicz" berichtet Birgitt Rambalski über Danzigs Stadtpräsidentin.
Auch erlebte Bürgerschaftspräsident Frank Imhoff nach einer Rede zum 45-jährigen Bestehen der Städtepartnerschaft einen Shitstorm von nationalistischen Lokalpolitikern und Bürgerinnen: Er hatte unter anderem den hohen Wert der europäischen Integration und der rechtsstaatlichen Prinzipien der EU hervorgehoben, was ausreichte, um vor allem in sozialen Netzwerken wüst beschimpft zu werden. Die Polinnen und Polen empfanden seine Rede als zu belehrend.
Auf zivilgesellschaftlicher Ebene haben die Entwicklungen jedoch keine oder kaum Auswirkungen. Jolanta Murawska, Vorsitzende des Vereins TPN in Danzig, bestätigt das. In der Gesellschaft seien zum Teil sogar PiS-gewandte Menschen engagiert. PiS-Anhängerinnen und Anhänger immer mit Deutschlandfeinden gleichzusetzen, wäre also zu einfach. Dennoch musste auch Murawskas Verein sich schon Vorurteile anhören, TPN habe sicherlich viel Geld, wenn er mit Deutschen zusammenarbeite – was natürlich nicht stimme, wie sie betont.
Marek Kepinski, der sowohl mit der Bremer Sportjugend als auch mit dem Jugendtreff Blockdiek häufig an Austauschen beteiligt war, habe nie politische Auswirkungen bemerkt – selbst als die Beziehungen im Vergleich mit heute noch deutlich kühler waren. Bürgermeister Bovenschulte hebt ebenfalls hervor: "Die grundsätzliche Tendenz und Strategie der Aussöhnung wird nicht durch tagesaktuelle Entwicklungen und dadurch, wer gerade in der Regierung sitzt, infrage gestellt."
Eine Studie des Deutsch-Polnischen Instituts zu Partnerschaften zwischen polnischen und deutschen Städten untermauert das: Sie fand heraus, dass die gegenwärtigen politischen Entwicklungen keinen bedeutenden Einfluss auf die partnerschaftlichen Beziehungen auf kommunaler Ebene haben. Demografische Entwicklungen, wie der Nachwuchsmangel, hingegen schon. Auch wird Politik demnach in vielen Partnerschaftsvereinen als Thema gemieden – eine Tendenz, die sich auch in Gesprächen mit den Vereinen in Bremen und Danzig zeigt.
Was macht Danzig als Stadt besonders?
Inmitten all der nationalkonservativen Entwicklungen im Land ist Danzig als Stadt bekannt, die weltoffen und liberal ist. "Danzig geht seinen eigenen Weg, wir zeigen Solidarität und sind da bei großen Ereignissen", sagt Birgitt Rambalski. Schon der ehemalige Stadtpräsident Pawel Adamowicz setzte sich für diese Werte ein – auch wenn er selbst bekennender Katholik und als Konservativer bekannt war.
Nichtsdestotrotz unterstützte er Geflüchtete oder die LGBTIQ-Gemeinschaft, was vielen PiS-Anhängern ein Dorn im Auge war. Gründe, warum regierungsnahe Medien immer wieder gegen ihn hetzten. Auch tauschte die PiS den Direktor des Museums des Zweiten Weltkriegs aus, weil sie der Auffassung war, die Ausstellung sei nicht patriotisch genug. 2019 wurde der Bürgermeister auf offener Bühne von einem Attentäter erstochen. Ob es ein politischer Mord war, ist bis heute nicht geklärt. Kritiker und Angehörige des ehemaligen Stadtpräsidenten machen die Propaganda der PiS dafür verantwortlich.
Als Nachfolgerin wurde Aleksandra Dulkiewicz mit 82,2 Prozent der Stimmen zur Stadtpräsidentin gewählt. Sie ist die erste Frau, die Oberhaupt dieser Stadt wurde. Sie trat für die Wählervereinigung „Alles für Danzig“ an, wird aber auch von der Bürgerplattform PO und Ex-EU-Ratspräsident Donald Tusk unterstützt. Auch verfolgt sie weiterhin die Linie von Adamowicz, was für sie angesichts der nationalen Entwicklungen nicht immer leicht ist.
Was bedeutet die Städtepartnerschaft heute?
Während Polen und Deutschland sich auf nationaler Ebene in vielen Punkten und Wertvorstellungen voneinander entfernen, halten Danzig und Bremen weiter aneinander fest. Sie bilden eine Brücke, während durch die unterschiedlichen Ansichten zur Rechtsstaatlichkeit, Flüchtlingspolitik, sexuellen Orientierungen oder Demokratie im Allgemeinen die Mauern wachsen. Im Jahr 2022 sind wieder mehrere Begegnungen geplant, TPN nimmt etwa am Hafengeburtstag teil, Stadtpräsidentin Aleksandra Dulkiewicz kommt im Frühjahr zu Besuch und die Lions Clubs planen eine Reise. Zahlreiche weitere Projekte stehen an.
Quellen: Birgitt Rambalski: Bilderbogen Bremen – Gdansk; Danuta Riechel: Begegnungen, Geschichte(n) einer Städtepartnerschaft; Rüdiger Ritter: Solidarität mit Schwierigkeiten