Wer geglaubt hat, dass der Machtwechsel nach den Assads in Syrien unblutig abgeht, der war naiv. Eine fast 50 Jahre währende Diktatur übelster Sorte streift man nicht so einfach ab. Auch nicht, wenn die neuen Machthaber mit Demokratie wenig am Hut haben und religiös fundamentalistisch sind.
Gut sieben Monate nach der Vertreibung des Schlächters von Damaskus, wie die Aufständischen Bashar al-Assad nannten, gibt es neue Schlächter. So sollen im Zuge der Kämpfe in der Stadt Suwaida, 92 Kilometer südlich der Hauptstadt Damaskus, brutale Misshandlungen, Tötungen und Hinrichtungen geschehen sein. Einwohner der Provinz gleichen Namens seien enthauptet, ihre Häuser in Brand gesteckt worden. Fotos und Videos verbrannter und verstümmelter Leichen verbreiten sich gerade in den sozialen Netzwerken.
Die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London spricht von Demütigungen, die wie Trophäen in den Netzwerken gehandelt würden. Es geht um Auseinandersetzungen zwischen drusischen Milizen und sunnitisch-muslimischen Beduinenstämmen. Mehr als 1000 Personen sollen schon getötet worden sein.
„Diese Gräueltaten unterscheiden sich nicht von denjenigen gegen die Alawiten", sagt der Leiter der Beobachtungsstelle, Rami Abdul Rahman. Er bezieht sich auf die Gewalt an der syrischen Küste im März, bei denen vor allem an Alawiten – einer religiösen Minderheit mit Wurzeln im schiitischen Islam – regelrechte Massaker angerichtet wurden. Der einzige Unterschied sei, dass die Drusen anders als die Alawiten bewaffnet seien. Außerdem sind die Drusen eine eigene Religionsgemeinschaft außerhalb des Islam.
Sicher hat es der neue Präsident Syriens, Ahmed al-Sharaa, nicht leicht, den Vielvölkerstaat zu einen und zusammenzuhalten. Zu viele wollen ein Stück vom Kuchen haben. Die Alawiten, die Drusen und die Beduinenstämme sind nur einige wenige davon.
Die Auseinandersetzungen werden weitergehen. Ein neues Syrien entsteht nicht über Nacht. Die Vergangenheit al-Sharaas ist hier auch nicht sehr hilfreich. Als berüchtigter Terrorist von Al Qaida und später Al Nusra erfährt er zumindest bei den Nachbarländern mehr Skepsis als Wohlwollen. Seinen Anhängern und ehemaligen Mitstreitern ist er zu gemäßigt, nicht radikal genug. Er fahre ein Wischi-Waschi-Kurs sagen andere, die ihn noch mit seinem Kampfnamen Abu Muhammad al-Julani bezeichnen. Da sei er eindeutiger gewesen, heißt es in der Szene. Heute wisse man nicht, wofür er stehe.
Im Moment versucht er zu beschwichtigen, schickt seine Truppen nach Suwaida, um die Kampfhähne auseinanderzuhalten. Das ist nicht so einfach, denn die Beduinenstämme sind seine Verbündeten. Mit ihrer Hilfe hat er das Assad Regime im Dezember 2024 gestürzt. Sie stießen aus dem Süden auf Damaskus vor, während al-Sharaa und seine Dschihadisten aus dem Norden kamen. Den Drusen wiederum kommt Israel zu Hilfe. Egal, was der Präsident in diesem Konflikt macht, es wird ihm zum Nachteil gereichen.
Es kommt jetzt darauf an, wie viel Unterstützung die neue Regierung erfährt und ob sie endlich Erfolge vorweisen kann, die die Menschen von ihr erwarten. Dass die Sanktionen des Westens aufgehoben wurden, ist erst der Anfang. Das Swift-System zum Finanztransfer läuft noch nicht, die Wirtschaft kommt nicht in Gang.
„Jetzt muss Europa sich überlegen, wie es richtig Politik machen kann in dem Land“, sagt Politikwissenschaftlerin Ansar Jasim. Ein wichtiger Aspekt sei die Stärkung der Zivilgesellschaft. Wenn man sich mit dem Übergangspräsidenten Ahmed al-Shaara treffe, müsse man auch Vertreter der Zivilgesellschaft sehen. Das sei bislang nur unzureichend passiert. „Schöne Fotos mit ein paar Aktivisten reichen nicht.“
Jasim kommt gerade von einem längeren Aufenthalt in Syrien nach Berlin zurück und blickt sorgenvoll auf die Geschehnisse dort. Die Zivilgesellschaft müsse den Versöhnungsprozess in Syrien gestalten. Die Regierung könne dies nicht leisten.