Allein mit der Wahl des Veranstaltungsorts sandten die Nato-Außenminister eine symbolträchtige Botschaft in Richtung Moskau wie auch Kiew. Im Parlamentspalast in der rumänischen Hauptstadt Bukarest hatten die Bündnispartner bei ihrem Gipfel 2008 der Ukraine eine Mitgliedschaft in ferner Zukunft in Aussicht gestellt. Ein Aktionsplan zur Vorbereitung eines Beitritts wurde jedoch vor allem wegen der Skepsis Deutschlands und Frankreichs nicht beschlossen. Kanzlerin Angela Merkel und Präsident Nicolas Sarkozy wollten Russland nicht zu sehr provozieren.
Nun kamen an diesem Dienstag die Chefdiplomaten der Nato-Staaten zu ihrem zweitägigen Treffen abermals in dem riesigen Pomp-Bau zusammen. Die Hauptstadt des südosteuropäischen Landes präsentierte sich dementsprechend ganz im Zeichen der Allianz, an jeder Ecke wehten die Flaggen mit der weißen Kompassrose auf marineblauem Feld. Ein beschleunigter Beitritt, wie ihn sich die Regierung in Kiew wünscht, gilt angesichts des Kriegs derzeit zwar als ausgeschlossen – das Bündnis will unbedingt verhindern, selbst zur Kriegspartei zu werden. Doch die westlichen Partner planen, ihre Unterstützung zu verstärken, um der Ukraine durch den bevorstehenden Winter zu helfen.
Attacken auf Infrastruktur
Die Not in dem von Russland attackierten Staat nimmt von Tag zu Tag zu, seit Moskau sich auf Angriffe auf die Energie-Infrastruktur verlegt hat. Präsident Wladimir Putin setze die kalte Jahreszeit „als Kriegswaffe“ ein, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Dienstag. Der Norweger appellierte deshalb an die Mitglieder, mehr zu tun. „250 Kilometer von hier beginnt der russische Terror“, sagte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock. „Kälte als Kriegswaffe“, dies sei „ein brutaler Bruch nicht nur mit dem Völkerrecht, sondern mit unserer Zivilisation“, so die Grünen-Politikerin. Der Begriff „Zivilisationsbruch“ ist vor allem als Beschreibung des Völkermords an den Juden in der NS-Zeit gebräuchlich, also ein Kennwort für den Holocaust. Baerbock schob nach, die Bombardierung von Infrastruktur bedeute, dass Familien mit kleinen Kindern bei Minus-Temperaturen ohne Strom, Wasser und Wärme leben müssten.
Dementsprechend stand während der Beratungen die Frage im Fokus, was die Staaten in den nächsten Wochen liefern können: warme Kleidung für die ukrainischen Soldaten, Treibstoff, medizinisches Material, Generatoren für das Stromnetz sowie Gelder für die Reparatur der zerstörten Infrastruktur.
Um die Wiederherstellung der Strom- und Gasversorgung in der Ukraine ging es auch beim Krisentreffen der sieben großen Industriestaaten (G7), das gemeinsam mit Partnerländern am Rande der Nato-Tagung unter der Führung Deutschlands stattfand. Laut Baerbock werde derzeit geprüft, ob man Generatoren aus Eisenbahnloks ausbauen und dann mit Lastwagen oder Zügen in die Ukraine transportieren könne. Das Land brauche große Generatoren, um die Leistung der zerbombten Kraftwerke zu ersetzen.
Debatte über Flugabwehrsysteme
Stoltenberg warb zudem für die Lieferung weiterer Flugabwehrsysteme sowie Munition. Weil Russland keine Geländegewinne mehr mache und verhindern wolle, dass die Ukraine weitere Gebiete befreie, greife es jetzt zivile Ziele und Städte an, so der Norweger. Der slowakische Außenminister Rastislav Kacer bezeichnete die kommenden Monate als „großen Test“ – „für die Ukraine ist er existenziell, für uns moralisch“.
Entsprechend der Erwartung Stoltenbergs, mehr Luftverteidigungssysteme zur Verfügung zu stellen, wurde damit gerechnet, dass der Vorschlag aus Deutschland auf der Agenda in Bukarest stehen werde, Patriot-Flugabwehrsysteme der Bundeswehr nach Polen zu liefern. Dort waren vor zwei Wochen beim Einschlag eines mutmaßlichen Raketenirrläufers aus der Ukraine zwei Menschen ums Leben gekommen. Doch Warschau lehnte das Angebot bislang ab, forderte stattdessen, dass Deutschland das System an die Ukraine weitergibt. Baerbock reagierte zurückhaltend. Die Nato müsse angesichts der vielen militärischen Hilfen sicherstellen, was sie „in ihrem eigenen Bündnisgebiet an Materialien“ habe.
Neben den 30 Mitgliedstaaten nahmen bei dem Treffen auch die Außenminister aus Schweden und Finnland teil. Die beiden Länder wollen der Nato beitreten, doch noch immer steht die Zustimmung aus Ungarn und der Türkei für die Ratifizierung aus. Zwar hat Budapest mittlerweile angekündigt, den Prozess Anfang nächsten Jahres zu billigen. Aber Ankara blockiert weiterhin. Die Regierung unter Staatschef Recep Tayyip Erdogan verlangt, insbesondere von Schweden, die Auslieferung angeblicher „Terror“-Verdächtiger.