Drei Besuche, zwei Abfuhren und ein Eklat. Der lautstarke Streit vor laufenden Kamera im Oval Office zwischen dem Präsidenten der USA und seinem Gast aus der Ukraine illustriert, wie dramatisch die Situation ist. Auf die ehemalige Führungsmacht der freien Welt ist kein Verlass mehr, wenn es um die Sicherheit der Ukraine und im weiteren Sinne Europas geht.
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Statt dem mutigen Präsidenten des überfallenen Landes den Rücken zu stärken, haben sich Donald Trump und J.D. Vance als Verbündete Wladimir Putins geoutet. Weil Wolodymyr Selenskyj sich wagte, auf die Unglaubwürdigkeit des brutalen Kriegsherren aus dem Kreml hinzuweisen, hielten sie dem Gast Undankbarkeit und Respektlosigkeit vor.
Die Szene ließ alle Zeugen sprachlos zurück. So etwas hatte sich im Oval Office noch nie zugetragen. Je öfter sie in der Endlosschleife der Nachrichtenkanäle zu sehen war, desto mehr drängte sich der Verdacht auf, dass dies ein geplanter Hinterhalt war.
Das Motiv dafür liegt auf der Hand. Trump will sich der Ukraine entledigen, um die Beziehungen zu Russland auf eine neue Grundlage zu stellen.
Bereits im Vorfeld hatte sich bei den Besuchen der beiden wichtigsten europäischen Unterstützer neben Deutschland im Weißen Haus abgezeichnet, dass es schwer werden dürfte. Weder die Charme-Offensive des Franzosen Macron noch die durch den Briten Starmer überreichte Einladung eines echten Königs hatten Trump dazu bewegt, einen wie auch immer gearteten Friedensplan für das von Russland überfallene Land militärisch abzusichern. Dem US-Präsidenten reicht dafür „das Wort“ Wladimir Putins, den er zum Opfer stilisiert.
Ein Abkommen als Reparation
In Trumps Erzählung ist die Ukraine für den Überfall ihres Landes selbst verantwortlich. Er liefert damit ein Musterbeispiel für das, was George Orwell in 1984 als „Neusprech“ bezeichnet hatte: die systematische Umdeutung von Sprache, die vergessen machen soll, was tatsächlich geschehen ist.
In dieser Perspektive werden keine Sicherheitsgarantien benötigt. Warum auch, ist doch sein Freund Wladimir der eigentlich Leidtragende. Das Abnötigen des Abkommens über die Ausbeutung kostbarer Rohstoffe und seltener Erden in der Ukraine stellt Trump konsequent als Entschädigung amerikanischer Leistungen dar. Eine Art Reparation.
Selenskyj hat die Erpressung zurückgewiesen und sich der Verhöhnung der echten Opfer entgegengestellt. Damit hat er der freien Welt einen Gefallen erwiesen. Die weiß nun endgültig, woran sie mit dieser US-Regierung ist.
Die Europäer dürften sich jetzt keine Illusionen machen, mit wem sie es zu tun haben. Der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz hatte es nach seiner Wahl deutlich ausgesprochen. Der Kontinent muss sich unabhängig von den USA machen, weil er keine andere Wahl hat. Mit entsprechendem Nachdruck muss nun aber auch gehandelt werden.
Das kleinliche Gezerre in Deutschland über die Frage, ob Noch-Bundeskanzler Olaf Scholz seinen wahrscheinlichen Nachfolger Merz am Sonntag mit zum Krisengipfel nach London nehmen sollte, zeigt, dass der Ernst der Lage bei einigen immer noch nicht angekommen ist.
Europa muss sich rüsten
Um es deutlich zu sagen: Dies ist eine gefährliche Situation für den Kontinent, die keinen Aufschub erlaubt. Europa muss militärisch die Lücke schließen, die Amerika hinterlässt. Das verlangt eine enorme Kraftanstrengung, für die dreistellige Milliardenbeträge mobilisiert werden müssen. Das Geld wird benötigt, die Ukraine mit Waffen und Munition zu versorgen – aber auch, um eine glaubwürdige europäische Verteidigungsmacht im Rahmen der Nato aufzubauen, inklusive eines Nuklearschirms.
Da die linken und rechten Ränder im neuen Bundestag bereits signalisiert haben, den Beschluss eines neuen Sondervermögens für die Bundeswehr oder die Abschaffung der Schuldenbremse blockieren zu wollen, sollte der alte Bundestag handeln. Die Frage, ob das guter Stil ist, muss hinter der Dringlichkeit zurückstehen.
Töricht allerdings wäre es, unter diesen Umständen einen von Trump und Putin ausgeheckten „Friedensplan“ absichern zu wollen. Denn auf dieses Amerika wird kein Verlass sein.