Du bist, was du isst. So abgedroschen das klingen mag – es ist was dran. Wie und was wir essen trägt nicht nur dazu bei, wie wir uns fühlen. Es ist auch ausschlaggebend dafür, ob wir gesund bleiben oder krank werden, ob wir schlank sind oder Übergewicht haben. Den meisten ist klar: Je ausgewogener das Essen, desto besser. Zucker ist ungesund, genauso wie Salz und Fett. Zumindest, wenn wir zu viel davon essen. Was aber, bitteschön, ist eigentlich zu viel? Welche Produkte sind wirklich gesund und welche nicht? Vielen Verbrauchern ist das gar nicht so klar. Sie wünschen sich von der Politik, das endlich zu ändern. Eine mögliche Lösung heißt Lebensmittelampel.
Viele kennen es: Der Tag war lang, acht bis zehn Stunden Büro-Alltag, viel Stress, wenig Pausen. Zwischendurch ein bis drei Schokoriegel, Bewegung eher Fehlanzeige. Am Abend mahnt dann das schlechte Gewissen: jetzt wenigstens ein gesundes Abendessen! Also ab in den Supermarkt. Hat man die erste Minikrise beim Anblick der langen Schlange an der Kasse überwunden, werden die Nerven spätestens vor dem Supermarktregal überstrapaziert. Vitalmüsli, Fitness-Frischkäse und Gesund-Plus-Drinks klingen erstmal so, als würde man hier nicht viel falsch machen. Doch zu erkennen, dass die gar nicht so vital und gesund sind, wie sie scheinen, fällt selbst interessierten Verbrauchern schwer.
Das Problem: Um die Nährwerttabelle auf der Rückseite der Produkte lesen zu können, braucht manch einer eine Lupe, für die Zutatenliste gar ein naturwissenschaftliches Studium. Was zum Beispiel ist Dinatriuminosinat? Oder Tocopherol? Sich mit den Produkten zu beschäftigen, sie zu googeln und die Angaben zu Kalorien, Fett und Zucker auf den eigenen Tagesbedarf anzurechnen, braucht Zeit. Die ist im Alltag eher knapp bemessen. Sich gesund zu ernähren ohne dafür stundenlang vor dem Supermarktregal zu stehen – das muss doch irgendwie gehen?
Luxusproblem, werden manche nun denken. Lebensmittelampel? Spielerei! Die Zahlen aber zeigen, wie dringend wir sie brauchen. Einer Studie des Robert-Koch-Instituts zufolge sind 67 Prozent der Männer und 53 Prozent der Frauen in Deutschland übergewichtig – jeweils ein Viertel davon wird als adipös, also stark übergewichtig eingestuft. Nach Angaben der Deutschen Diabetes-Hilfe sind rund 6,7 Millionen Menschen zuckerkrank. In den vergangenen Jahren ist die Zahl um 38 Prozent gestiegen. Die häufigste Ursache: falsche Ernährung.
Frankreich mit beispielhaftem Modell
Um das zu ändern, muss eine transparente und leicht verständliche Kennzeichnung her. Andere Länder, etwa Frankreich, haben längst vorgemacht, wie das aussehen kann. Das Modell heißt dort Nutriscore, das Prinzip ist denkbar einfach: fünf Abstufungen von Grün bis Rot, ergänzt um die Buchstaben A bis E. Eine Vergleichsstudie der Universität Paris-Nord hat kürzlich gezeigt, dass das Modell in Europa mit Abstand am besten angenommen wird. Menschen kauften damit vorwiegend grüne Artikel – und konsumierten deutlich weniger Kalorien, Zucker und gesättigte Fettsäuren, dafür mehr Ballaststoffe, Vitamine und Mineralstoffe.
Ein guter Grund, den Nutriscore auch in Deutschland einzuführen. Könnte man zumindest meinen. Doch Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) sieht das anders. Ohne das überzeugend begründen zu können, tritt sie bei der Lebensmittelampel weiter auf die Bremse – und wird deshalb auf Twitter mittlerweile schon als „Ministerin für Verbraucherschutz vor gesunden Lebensmitteln“ verspottet. Der Lebensmittellobby, die sich seit jeher gegen eine solche Beschriftung wehrt, spielt sie damit in die Karten. Die Wirtschaftliche Vereinigung Zucker etwa warnte jüngst, die Ampel sei eine „Verbraucherfalle“ und komme einer Bevormundung gleich.
Das ist scheinheilig. Die Wahrheit sieht anders aus: Die Lebensmittelbranche ist ein milliardenschweres Geschäft. Mit zuckergetränkten Kalorienbomben erwirtschaften Großkonzerne wie Nestlé und Mondelez Milliardengewinne. Die Angst, Produkte könnten sich mit einer Ampelkennzeichnung schlechter verkaufen, scheint groß. Es ist höchste Zeit, dass Klöckner sich von der Süßwaren- und Junkfood-Industrie emanzipiert und sich mit einer Lebensmittelampel auf die Seite der Verbraucher schlägt. Denn, das sollte klar sein: die Lebensmittelampel ist ein Angebot. Wer ungesund essen will, der tut das auch weiterhin – daran ändert auch ein grünes Etikett nichts. Allen anderen kann die Ampel bei einer bewussteren und gesünderen Ernährung helfen. Dass das funktioniert, ist wissenschaftlich erwiesen. Warum länger warten?