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Neuer OB in Frankfurt (Oder) "Hoffnung ist die Antwort"

Linken-Politiker René Wilke ist neuer Oberbürgermeister von Frankfurt (Oder). Im Interview erklärt er, warum er mit der SPD und den Grünen ein Bündnis geschmiedet hat.
07.04.2018, 19:29 Uhr
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Von Markus Decker

Herr Wilke, Sie haben einen furiosen Sieg gelandet. Was kann die Linke von Ihnen lernen?

Was wir in Frankfurt gemacht haben, ist nicht eins zu eins zu übertragen. Aber es hat viel damit zu tun, was wir in den Jahren zuvor gemacht haben. Ich hatte nie den Plan, Oberbürgermeister zu werden. Ich habe vielmehr versucht, als Kommunal- und Landespolitiker eine sehr aktive und transparente Arbeit zu leisten, auch in den sozialen Medien. Im Übrigen waren wir nicht erst vor der Wahl präsent, sondern immer. Mit Veranstaltungen, Zeitungsanzeigen, Aktionen und Infoständen. Unsere Themen waren bürgernah: Öffentlicher Personennahverkehr, Schulinfrastruktur, Sicherung von Kultureinrichtungen, überhaupt die Finanzierung der Stadt. Hier haben wir für ganz konkrete Lösungen und Verbesserungen gesorgt. Dabei war hilfreich, dass wir als Linke in der Landesregierung sitzen und ich haushaltspolitischer Sprecher war.

Außerdem haben Sie im Vorfeld der Wahl mit anderen Parteien zusammen gearbeitet.

Ja, wir haben ein Bündnis mit der SPD und den Grünen geschmiedet und auch mit der CDU geredet. Die Idee war, sich nicht als Dagegen-Partei zu profilieren. Wir haben versucht, zu gestalten – etwa indem wir die Kita-Gebühren auf das uns mögliche Mindestmaß gesenkt haben. Ich glaube, viele Wähler erwarten einen konkreten Mehrwert von ihrer Wahlentscheidung. Ich habe jedenfalls konsequent auf positive Botschaften gesetzt, auf Anschlussfähigkeit statt Abgrenzung – und neue Ideen und Gestaltungsansätze in den Mittelpunkt unseres Wahlprogramms gestellt.

Ein Bündnis mit SPD und Grünen – ist das eine Art Sammlungsbewegung nach dem Vorbild von Sahra Wagenknecht?

Nein. Es sind auch viele Bürger außerhalb von Parteien dabei. Oft sind das auch Menschen, die sich nicht als links verstehen. Insofern ist es auch keine linke Bewegung, sondern eine bürgerschaftliche, an der Sache orientiert. Ich empfehle grundsätzlich, Anschlussfähigkeit zur Gesellschaft herzustellen, statt sich zu isolieren. Auch andere Gedanken als unsere Gedanken haben ihre Berechtigung.

Klingt nicht so, als würden Sie Frau Wagenknecht folgen wollen.

Es geht mir um etwas Prinzipielleres. Wenn Politiker von uns jenen der Regierung absprechen, gute Absichten zu verfolgen, und die Gegenseite spricht uns das ebenfalls ab, dann stellt sich schon die Frage: Wie sollen die Leute einen besseren Eindruck von „der Politik“ haben, als wir ihn selbst zeichnen? Da tragen Politiker in den Parlamentsdebatten oft selbst zu ihrer eigenen De-Legitimation bei – ohne es zu merken und für einen kurzen Applaus. Das schadet langfristig allen. Und dabei mache ich nicht mit.

Was setzen Sie dem entgegen?

Man kann unterschiedliche Auffassungen und Lösungsansätze haben und trotzdem respektvoll miteinander umgehen. Manche in der Linken arbeiten mit Wut und Empörung über die da oben oder die Regierenden. Kurzfristig mag das funktionieren. Langfristig hat man damit Wut gesät. Und diese Wut ist am Ende austauschbar. Sie kann dann auch von der AfD bedient werden. Ich glaube deshalb, dass Wut für die Linke nicht die Antwort sein kann. Hoffnung ist die Antwort. Realistische Visionen und Hoffnung.

Apropos AfD: In den letzten Jahren schien es, als habe die Linke in Ostdeutschland gegen sie keine Chance mehr. Jetzt haben Sie da gewonnen, wo Alexander Gauland für den Bundestag kandidiert hat.

Die AfD hat auch bei uns versucht, die Stimmung gegen die da oben aufzugreifen. Ich habe dem einen kritischen, aber respektvollen Umgang mit den Verantwortlichen entgegengesetzt. Sie hat versucht, Sorgen zu artikulieren, von denen Menschen glauben, sie nicht artikulieren zu dürfen. Bei mir dürfen sie das, ohne gleich abgestempelt zu werden – aber sachbezogen. Denn im Gegensatz zur AfD reden wir dann über Lösungsansätze zu konkreten Problemen und nicht über Ausgrenzung oder Abschottung.

In der Linken ist strittig, ob sie sich eher um die sozial Schwachen oder eher um die progressiven Großstadtmilieus kümmern soll. Was wäre Ihre Antwort?

Ich glaube nicht, dass das eine das andere ausschließt. Man kann durchaus beide Seiten erreichen – wenn wir als Linke begreifen, dass die Erwartungen an uns höchst unterschiedlich sind. Dass es beide Strömungen braucht und auch Personen, die beides repräsentieren, in Ergänzung zueinander, nicht in Konkurrenz. Weil ein Ansatz nie all den Aufgaben einer heutigen Linken gerecht werden kann. Wenn eine Seite über die andere obsiegt, wird die Linke als Ganze verlieren.

Frankfurt (Oder) hat große finanzielle Probleme. Der letzte Haushalt wurde nicht genehmigt. Fürchten Sie nicht, viele Hoffnungen zu enttäuschen?

Klar, die Sorge begleitet mich. Sie hat mich auch im Landtag begleitet. Sie treibt mich aber auch an, jeden Tag mein Bestes zu geben. Ich habe im Wahlkampf keine falschen Versprechungen gemacht, sondern auch gesagt, was nicht geht. Auch das wurde honoriert. Was mir Mut macht, ist, dass wir eine bürgerschaftliche Bewegung geweckt haben. So lange das so bleibt, bin ich optimistisch, dass die Leute am Ende sagen, es war eine gute Entscheidung, den Wilke zu wählen.

Das Gespräch führte Markus Decker.

Zur Person

Zur Person

René Wilke ist kürzlich zum neuen Oberbürgermeister von Frankfurt (Oder) gewählt worden. Der 33-Jährige ist der erste Oberbürgermeister, den die Brandenburger Linke in einer kreisfreien Stadt stellt. Bei der Stichwahl erhielt er 62,5 Prozent der Stimmen. Der Linken-Politiker wurde auch von den Grünen und der Frankfurter Bürger-Initiative unterstützt, einem Bündnis, das sich Anfang des Jahres gegründet hat und sich offen für einen Neustart in Politik und Verwaltung der Oderstadt stark macht.

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