Es werden in Hongkong Demonstranten verprügelt, Bürgerrechtler inhaftiert und die Versammlungsfreiheit wird eingeschränkt. Die kommunistische Führung in Peking, die bei der Übergabe der ehemaligen britischen Kronkolonie 1997 an die Volksrepublik völkerrechtlich zugesichert hatte, sich für 50 Jahre nicht in die innenpolitischen Belange der Sonderverwaltungszone einzumischen, postiert an der Grenze zu Hongkong Militärfahrzeuge – zur Einschüchterung. Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam hat zumindest ein Stück weit eingelenkt und das umstrittene Auslieferungsgesetz formal zurückgenommen. Das war die Kernforderung der Demonstranten, denn es hätte ermöglicht, Straffällige nur auf Verdacht an die autoritäre Volksrepublik auszuliefern. Lam soll sogar bereit gewesen sein, die Verantwortung für die Krise in Hongkong zu übernehmen und zurückzutreten. Doch das hat Peking ihr nicht erlaubt.
Inmitten dieser politischen Turbulenzen besucht nun Bundeskanzlerin Merkel Peking. Und wie immer bei ihren inzwischen zwölf China-Reisen hat sie eine Wirtschaftsdelegation im Schlepptau. Sollte sie in Peking die Einhaltung des völkerrechtlichen Vertrags anmahnen? Wird sie die Ereignisse in Hongkong überhaupt ansprechen? Oder ist der Bundesregierung Hongkongs Demokratie dann doch nicht wichtig genug, die wirtschaftlichen Beziehungen aufs Spiel zu setzen? Schließlich ist China inzwischen Deutschlands wichtigster Handelspartner.
Die Frage ist jedoch, ob sich die kommunistische Führung von Merkel überhaupt noch etwas sagen lässt. Wahrscheinlich nicht. Noch vor wenigen Jahren standen die Menschenrechte regelmäßig auf der Agenda bei Treffen westlicher Regierungschefs mit ihren chinesischen Pendants. Das hat sich geändert. Die Zeiten, als China zum Westen aufschaute und insbesondere auch in Deutschland einen unverzichtbaren Partner sah, sind vorbei. Das einstige Reich der Mitte sieht sich als Weltmacht und verbittet sich Lektionen. „Wandel durch Handel“ lautete einst die Parole, mit der westliche Industriestaaten ihren Wirtschaftsinteressen eine missionarische Note verliehen – ein Trugschluss wie sich nicht zuletzt jetzt in Hongkong zeigt.
Trotzdem ist es Zeit, dass nicht nur die Bundesregierung, sondern auch die deutsche Wirtschaft umdenkt. China ist eben nicht mehr nur ein kauffreudiger, ansonsten aber harmloser Handelspartner, mit dem man wirtschaftlich bestens kooperiert, die politischen Fragen aber außen vor lässt. Die Volksrepublik verfolgt unter der Führung von Xi Jinping knallharte Machtinteressen. Und er hat sich unverhohlen ein Ziel gesetzt: China First – unter der Herrschaft der Kommunistischen Partei.
Kommunistische Führung ist bereit politischen Druck auszuüben
In Hongkong hat Peking bereits die Entlassung von Mitarbeitern der Hongkonger Fluggesellschaft Cathay Pacific veranlasst, weil diese mit den Demokratieprotesten sympathisierten. Die kommunistische Führung zeigt damit einmal mehr, dass sie jederzeit bereit ist, auch Unternehmen politisch unter Druck zu setzen. Und das hat sie auch schon in anderem Kontext häufiger getan. Warum sollte das nicht auch schon bald deutsche Unternehmen treffen?
Zwar haben viele europäische Unternehmen in den letzten drei Jahrzehnten kräftig am wirtschaftlichen Aufstieg der Volksrepublik profitiert. Unternehmen wie Volkswagen, BASF, Schindler, nicht zuletzt auch Volvo durch die Übernahme durch ein chinesisches Unternehmen, erwirtschaften den Großteil ihrer Absätze längst im Reich der Mitte. Viele deutsche Mittelständler würde es ohne ihre Geschäfte in China gar nicht mehr geben.
Doch entgegen der Versprechen der kommunistischen Führung in Peking sind ausländische Unternehmen in China auch weiter einer Reihe von Zwängen unterworfen. Sie müssen ihre Technologien Preis geben. Und sie sind verpflichtet, in den Betrieben Zellen der Kommunistischen Partei zu installieren, die bei Unternehmensentscheidungen mitreden dürfen. Nicht zuletzt die Einführung eines Sozialkreditsystems, mit dem das Verhalten eines jeden Bürgers in China gespeichert und bewerten werden soll, wird demnächst auch Unternehmen treffen. Die Volksrepublik beweist, dass wirtschaftlicher Aufschwung sehr wohl mit einem kommunistischen Überwachungsstaat einhergehen kann.
Es ist deshalb höchste Zeit, dass Merkel der chinesischen Führung klare Kante zeigt. Damit riskiert sie zwar, die Interessen der deutschen Geschäftswelt aufs Spiel zu setzen. Aber ein bisschen weniger Abhängigkeit von China könnte in heutigen Zeiten wirklich nicht schaden.