Sage und schreibe drei Tage Zeit nimmt sich die FDP für ihren Bundesparteitag an diesem Wochenende. Das sind viele Stunden, die die Delegierten vor ihren Bildschirmen verbringen müssen. „Unsere programmatische Arbeit ist halt megakrass basisdemokratisch“, sagt Christian Dürr. Der Volkswirt ist nicht nur FDP-Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Delmenhorst – Wesermarsch – Oldenburg Land und Mitglied des Bundespräsidiums. Dürr ist auch stellvertretender Vizefraktionschef und leitet den Arbeitskreis Haushalt und Finanzen. Und genau über diese Themen werden die Liberalen am Wochenende ausgiebig diskutieren.
Dürr sieht Titel des Wahlprogramms als Zeichen des Aufbruchs
Das Wahlprogramm der Liberalen trägt den Titel „Nie gab es mehr zu tun“. Dürr will das als Zeichen des Aufbruchs nach der Pandemie verstanden wissen. Die wirtschafts- und finanzpolitischen Vorhaben sind denn auch FDP pur. Die Partei will einen „Entfesselungspakt“ mit der Wirtschaft schließen, vor allem geht es hier um Bürokratieabbau. Die Partei spricht sich dafür aus, die steuerliche Belastung von Firmen zu senken und die Einkommensteuer so zu reformieren, dass der Spitzensteuersatz später greift. Zugleich dringen die Liberalen darauf, den Anteil der Sozialausgaben am Bundeshaushalt auf die Hälfte zu deckeln.
Um nach der Pandemie die Wirtschaft wieder anzukurbeln, sollen einige Regionen in Deutschland als „digitale Freiheitszonen zur Förderung digitaler und innovativer Geschäftsmodelle“ ausgewiesen werden. „Wir haben zu wenig Investitionen der Privatwirtschaft“, damit ein Unternehmen Geld zur Verfügung hat, das es in digitale Produkte investieren könne. Das Positionspapier der Bundestagsfraktion sieht Steuererleichterungen für die Wirtschaft von 60 Milliarden Euro im Jahr vor, um bei den Unternehmen zusätzliche Investitionen von 120 Milliarden Euro anzustoßen. „Das ist kein Voodoo, wir können das wissenschaftlich unterlegen“, ist Dürr überzeugt.
Um nach der Pandemie den Digitalisierungsstau in Bildung, Wirtschaft und Verwaltung zu überwinden, fordert die FDP ein Digitalministerium. „Wir müssen endlich an die Digitalisierung von Schulen ran“, sagt Dürr mit Blick auf seinen niedersächsischen Wahlkreis. Das Parlament habe zu Beginn der Wahlperiode das Grundgesetz so geändert, dass der Bund hier eingreifen könne. Am Ende jedoch seien von den fünf Milliarden Euro gerade mal zwei Prozent von den Ländern abgerufen worden, Grund seien einander widersprechende Verwaltungsauflagen. „Das Geld muss jetzt wirklich ankommen“, fordert der Finanzpolitiker.

Der Parteitag dient auch als Bühne für das FDP-Spitzenpersonal, angeführt vom Partei- und Fraktionsvorsitzenden Christian Lindner.
Der Parteitag soll natürlich zugleich als Schaulaufen des liberalen Spitzenpersonals vor der Bundestagswahl im September dienen. Partei- und Fraktionschef Christian Lindner wird sprechen, der Bundesvorstand wird neu gewählt, der Generalsekretär wiedergewählt. Aktuell liegt die FDP stabil bei zwölf Prozent in den Umfragen. Das ist insofern beachtlich, als sie nach ihrem abrupten Rückzieher von einer Ampelkoalition im Winter 2017 heftige Einbußen hatte hinnehmen müssen. Das Drückeberger-Image hing wie Blei an der Partei. Dann kam auch noch Thüringen, wo sich Anfang 2020 der FDP-Landeschef Thomas Kemmerich mit den Stimmen der Höcke-AfD zum Ministerpräsidenten wählen ließ. Der politische Tabubruch verpasste den Liberalen den Anstrich der machtbesessenen Umfallerpartei; die Umfragewerte sackten bedrohlich ab.
Dass die FDP im Wahlsommer 2021 gut dasteht, liegt nicht unerheblich an der Corona-krise. Statt als Oppositionsfraktion wahllos auf der Großen Koalition rumzuhacken, haben Lindner und seine Leute lieber praktische Vorschläge gemacht, wie das Land – und mit ihm die Wirtschaft - stufenweise aus der Pandemie kommen könnte. Auch beim Thema Bürgerrechte war es die FDP, die konstruktiv statt destruktiv agiert hat, ohne sich anzubiedern. Zwar ist sie gerade vor dem Bundesverfassungsgericht mit ihrer Klage gegen die Bundesnotbremse gescheitert, doch entscheidend ist, dass die Partei als lösungsorientiert wahrgenommen wird.
Im Wahlprogramm, über das am Wochenende abgestimmt werden soll, finden sich denn auch freiheits- und bürgerrechtliche Novitäten, die auch Wählerinnen und Wähler überzeugen könnten, die nicht zur FDP-Klientel gehören. Künftig soll ein Kind bis zu vier Elternteile haben können, auch Unverheiratete sollen Kinder adoptieren können. Neben der Ehe wollen die Liberalen die "Verantwortungsgemeinschaft" gesetzlich verankern, die zwei oder mehr Volljährige umfassen kann. Bundeskanzlerinnen und Bundeskanzler sollen künftig höchstens zwei Wahlperioden im Amt bleiben, die Legislatur soll von vier auf fünf Jahre verlängert werden.
Fragt sich nur, mit wem die FDP ihre Ziele durchsetzen kann und will. Christian Dürr „fehlt schlicht die Fantasie“ für eine Ampelkoalition aus Grünen, SPD und Liberalen. Interessanter fände er da schon jene Jamaikakoalition, die seine Fraktion hat platzen lassen. „Das wäre dann eine Modernisierungskoalition, die müsste aber auch liefern.“ Doch erst einmal heißt es, die FDP ohne größere Ausreißer nach unten durch den Wahlkampfsommer zu bringen.