Es kann gut sein, dass die Chemie zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesfinanzminister Christian Lindner von Anfang an nicht gestimmt hat. Auf der einen Seite Lindner, der 2017 die Verhandlungen um eine mögliche Jamaika-Regierung verlassen hat. Begründung: „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.“ Lindner, der sich auf Wahlplakaten wie ein Fotomodell inszenieren ließ, der als „passionierter Porschefahrer“ (so die „Welt“) eine Rennfahrerlizenz besitzen soll und mit seiner aufwendigen Hochzeit auf Sylt bewusst für Aufmerksamkeit sorgte. Ein Leben auf der Überholspur, ohne Tempolimit.
Auf der anderen Seite der „Scholzomat“, eine Bezeichnung, die Scholz selbst einst als „sehr treffend“ bezeichnet hat – zurückhaltend, eher uneitel, wie es scheint, und bodenständig: „Ich kann Politiker, die darüber heulen, dass das Leben so schwer ist, nicht ausstehen.“ Scholz, der mit seinem Amt zuweilen überfordert schien, der eher durchgehalten als durchgestaltet hat. Dass er auch anders sein kann als staatsmännisch und gelassen, hat er im Cum-Ex-Untersuchungsausschuss der Hamburger Bürgerschaft gezeigt: „Überheblich, arrogant, verachtend gegenüber Abgeordneten und dem Parlament“, so ein „Stern“-Reporter.
In der täglichen Arbeit sind unterschiedliche Temperamente nicht entscheidend, sofern die Sachebene nicht verlassen wird. Als Politprofi muss man damit umgehen können, selbst bei Streitigkeiten, die an die Öffentlichkeit gelangen. Umso ungewöhnlicher, ja unerhörter ist die „brutale Abrechnung“, wie Medien sie bezeichneten, von Scholz mit Lindner nach dem Bruch der Koalition.
Zur Erinnerung: Er wolle Lindners Verhalten „unserem Land nicht länger zumuten“, sagte der Kanzler am Mittwochabend. „Zu oft wurden die nötigen Kompromisse übertönt durch öffentlich inszenierten Streit und laute ideologische Forderungen“. Und: „Zu oft hat er kleinkariert parteipolitisch taktiert. Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen.“ Wer Regierungsverantwortung in einer Koalition trage, „muss zu Kompromissen im Interesse aller Bürgerinnen und Bürger bereit sein. Darum aber geht es Christian Lindner gerade nicht. Ihm geht es um die eigene Klientel. Ihm geht es um das kurzfristige Überleben der eigenen Partei.“
Die Rede hat für Erstaunen, auch für Empörung gesorgt. Der sonst so gefasste, wohltemperierte Scholz teilt aus, wird persönlich, tritt nach. Der Chefredakteur des „Spiegel“, Dirk Kurbjuweit, analysiert: Olaf Scholz habe seine Worte „hart und genau“ gesetzt. Und weiter: „Wut in Eisbeutel verpackt. Hier sprach der strenge Amtsträger, nicht der Mensch, der gerade in seinem Amt gescheitert ist.“ Kishor Sridhar, Experte für Führungsfragen, stellt im „Focus“ fest: „In meinen 18 Jahren Beratung von Unternehmen in Veränderungsprozessen habe ich selten ein derart unprofessionelles Verhalten gesehen, obwohl in turbulenten Zeiten Emotionen hochkochen können, sollte eine Führungskraft stets Besonnenheit zeigen.“
Dass ein Regierungsbündnis platzt, weil die Gemeinsamkeiten aufgebraucht zu sein scheinen und in wichtigen Punkten keine Kompromisse zu finden sind, ist ein Sonderfall. Das kann der aus der Rolle gefallene Kanzler für sich in Anspruch nehmen. Seine Rede wird als der Situation geschuldet bald abgehakt sein, ein Eintrag in den Geschichtsbüchern. Es sei denn, der Ton ist maßgeblich für die nächsten Wochen. Vom Rosenkrieg in den Wahlkampf, das sind nicht die besten Voraussetzungen.
CSU-Chef Markus Söder hat angekündigt, er habe kein Interesse an einer „Schlammschlacht“. Die „Süddeutsche Zeitung“ titelte an diesem Wochenende allerdings: „Der Grünen-Fresser ist zurück“. Söder hat die Landesversammlung der Jungen Union in Nürnberg für seine erste Wahlkampf-Rede genutzt und gegen die Grünen gewettert.
Man kann davon ausgehen, dass sich viele Bürgerinnen und Bürger – gerade nach den schier endlosen Ampel-Streitigkeiten und dem Bruch samt Nachspiel – nach versöhnlichen Tönen in der Politik sehnen. Sie werden noch warten müssen.