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Gerhard Schröder Ein Mann der Zumutungen

Demokrat sein wollen, aber sich vom Aggressor Putin bezahlen lassen – kann man nichts gegen Gerhard Schröder unternehmen? Man kann, meint Hauptstadt-Korrespondentin Anja Maier.
01.03.2022, 18:07 Uhr
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Ein Mann der Zumutungen
Von Anja Maier

Wenn man früher ein zu Gerhard Schröder passendes Adjektiv finden wollte, fiel häufig das Wort „hemdsärmelig“. Heute fällt einem eher „gewissenlos“ ein. Der Niedersachse war zwischen 1998 und 2005 Kanzler der Bundesrepublik Deutschland. Er hat dem Land mit der Agenda 2010 wirtschafts- und sozialpolitisch viel zugemutet und mit seinem Nein zum Irakkrieg außenpolitisch manches erspart. Dass dieser Mann hernach Probleme mit dem eigenen Macht- und Bedeutungsverlust haben würde, war bereits am Tag seiner Wahlniederlage zu beobachten. Angesichts des am Abend dieses 18. September möglichen Siegs seiner Herausforderin Angela Merkel tönte Schröder in der Berliner Runde: „Wir müssen die Kirche doch mal im Dorf lassen.“ Der Ausgang der Geschichte ist bekannt.

In diesen Tagen, da Russlands Präsident Wladimir Putin einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt, richten sich viele Augen auf den einstigen Weltpolitiker. Zwar hat Schröder am zurückliegenden Wochenende gefordert, Putin möge den Ukraine-Krieg beenden. Doch persönliche Konsequenzen? Fehlanzeige. Der 77-Jährige ist Aufsichtsratschef beim staatlichen russischen Energiekonzern Rosneft und hat auch Führungspositionen bei den Pipeline-Projekten Nord Stream und Nord Stream 2 inne. Er ist zudem ein langjähriger Freund Wladimir Putins. Die Verbindung ist so privat, dass die Familie Schröder Anfang vor einigen Jahren ihre Pläne zur Adoption zweier Kinder aus Russland mit Putin abgestimmt haben soll. Das war etwa um die gleiche Zeit, in der der SPD-Mann den russischen Präsidenten als „lupenreinen Demokraten“ bezeichnet hat.

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Man könnte abwinken und sagen: Lass doch den Schröder. Er ist ja nicht der erste Politiker, der nach Dienstschluss seine politischen Kontakte in persönliche Vorteile ummünzt. Erinnert sei in diesem Zusammenhang etwa an den aktuellen CDU-Partei- und Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz, der bis 2020 Aufsichtsratsvorsitzender des Finanzdienstleisters Blackrock gewesen ist. Aber Merz hat sich von seinen Auftraggebern verabschiedet, um seiner Partei nicht zu schaden. Und Schröder? Der ehemalige SPD-Vorsitzende und Kanzler lässt sich weiter bezahlen von einem Verbrecher. Kann man dagegen gar nichts tun?

Das Signal kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Man kann. Gerade wurde bekannt, dass andere durchaus bereit sind, Konsequenzen zu ziehen. Vier Mitarbeiter aus Gerhard Schröders Büro haben um Versetzung gebeten, unter ihnen ist auch ein langjähriger Vertrauter des früheren Bundeskanzlers. Angeblich habe es schwere Differenzen gegeben über Putins Angriffskrieg, berichtet das Nachrichtenportal "The Pioneer".

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Das Signal, das von dieser Personal-Revolte ausgeht, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Mag sein, dass es angesichts von Toten, Verletzten und einer großen Fluchtbewegung in Europa nebensächlich wirkt, ob ein Politiker sich neue Mitarbeiter suchen muss. Wichtig ist die Geste dieser Menschen dennoch, die sich nach langen Jahren der Zusammenarbeit von einem Chef trennen, der im persönlichen Umgang zwar gesellig sein dürfte. Aber wenn gerade einem Weltpolitiker und Sozialdemokraten wie ihm piepegal ist, wer ihn bezahlt, ist es Zeit, sich zu trennen.

Die Wut ist verständlich.

Es gab in der Vergangenheit immer mal wieder die Forderungen, Gerhard Schröder Wohltaten wie sein Büro in Berlin zu entziehen. Allein 2021 sind den Steuerzahlern dadurch Kosten von 407.000 Euro entstanden. Und aus der Niedersachsen-SPD werden Rufe nach einem Parteiausschluss laut. Die Wut ist verständlich. Aber Schröder ist ja nicht der erste Vorsitzende und Ex-Kanzler, dem seine Partei fremd geworden ist. Und er ihr. Auch Helmut Kohl hatte zeit seines Lebens in Berlin ein gut ausgestattetes Büro mit Blick aufs Brandenburger Tor. Dass er wegen des CDU-Spendenskandals umstrittene Politiker noch auf das Regierungshandeln Einfluss genommen hätte, ist nicht bekannt.

Die Nachsicht mit Altvorderen ist eine Frage des Respekts. Dass er genau diesen Respekt nicht länger verdient, müsste dem Putin-Freund Gerhard Schröder eigentlich längst selbst aufgegangen sein. Seine Mitarbeiter haben ihm erfreulicherweise zu letzter Gewissheit verholfen.

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