Man hat sie bereits totgesagt oder zumindest als langfristig k. o. angesehen. Die französischen Volksparteien, so meinten viele Beobachter nach der Präsidentschaftswahl 2017, seien zu geschwächt, um nochmals auf die Beine zu kommen.
Erstmals hatten damals Republikaner wie Sozialisten die zweite Wahlrunde verfehlt. Die neuen Grenzlinien der französischen Parteienlandschaft, so hieß es, verliefen fortan nicht mehr zwischen links und rechts, sondern trennten grob gesagt die Globalisierungsgewinner von den Verlierern: hier die urbane, gut ausgebildete, pro-europäische Klientel von Emmanuel Macron, dort die Wählerschaft von Rechtspopulistin Marine Le Pen. Eine Klientel, die eher im ländlichen Raum lebt und über weniger Diplome, weniger Einkommen und auch weniger Optimismus verfügt. Macron fand die Formel „Fortschrittliche gegen Nationalisten“ und beanspruchte selbstverständlich für sich, zu Ersteren zu gehören.
Acht Monate vor der nächsten Präsidentschaftswahl deuten Umfragen auf ein erneutes Duell zwischen Le Pen und Macron hin, mit klaren Gewinnchancen für den amtierenden Präsidenten. Einer aktuellen Umfrage zufolge sagen wieder 41 Prozent der Franzosen, er mache einen guten Job. Denn im ersten Jahr der Corona-Pandemie stützte der Staat die besonders betroffenen Branchen, aber auch Familien, sozial Benachteiligte und Selbstständige so großzügig wie kaum ein anderes Land; inzwischen befindet sich die Arbeitslosigkeit wieder auf dem Vor-Krisen-Niveau von acht Prozent. Dass Macron weniger Reformen als versprochen durchgebracht und viele Linkswähler mit unternehmerfreundlichen Maßnahmen enttäuscht hat, schadet ihm stimmenmäßig kaum.
Dennoch wollen die Volksparteien zeigen, dass noch mit ihnen zu rechnen ist. Regional sind sie weit besser verankert als Macrons noch junge LREM-Partei oder Le Pens Rassemblement National. Ob die beiden Volksparteien zur Kandidatenbestimmung parteiinterne Vorwahlen organisieren, wie etwa die französischen Grünen für Ende September, ist noch ungewiss. Beim letzten Mal erwies sich das als nachteilig, da sich Bewerber durchsetzten, die zwar in der Partei gut ankamen, für die Gesamtwählerschaft aber zu links beziehungsweise zu rechts von der Mitte standen.
Bei den Sozialisten steht eine Kandidatur der Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo außer Zweifel, nur erklärt hat sie diesen Schritt noch nicht. Parteifreunde sind bereits in den Ring gestiegen oder tun es demnächst. Wie schon in der Vergangenheit dürften sich die Stimmen des linken Lagers auf Sozialisten, die radikale Linke „Widerspenstiges Frankreich“ und die Grünen aufteilen. Damit werden die Chancen auf einen Einzug in die Stichwahl minimal. Das wissen die betroffenen Parteien, doch zum jetzigen Zeitpunkt will niemand nachgeben.
Bei den Konservativen verweigert der frühere Gesundheits- und Arbeitsminister Xavier Bertrand eine Einigung mit der republikanischen Partei, aus der er ausgetreten ist. Er tourt durchs Land und will sich durch seine Volksnähe als „natürlicher Kandidat“ beweisen. Auch Ex-Haushaltsministerin Valérie Pécresse hat bereits ihre Kampagne gestartet. Von sich selbst sagt sie, sie sei eine Mischung aus „zwei Drittel Merkel, ein Drittel Thatcher“. Pécresse steht ihren eigenen Worten zufolge für Autorität und pocht auf Härte bei der Einwanderung: Die vor den Taliban fliehenden Afghanen, sagt sie, sollten besser in Nachbarländern Unterschlupf suchen als in Frankreich. Zu ihren Rivalen gehört der frühere Brexit-Chefunterhändler Michel Barnier.
Tatsächlich wird es darauf ankommen, ob die Anwärter auf das höchste Amt mehr unter Beweis stellen können als ihren Ehrgeiz – nämlich, ob sie eine Vision für das Land und ein Programm haben, das über ein paar schwammige Schlagworte – wie jenes der „Autorität“ von Pécresse – hinausgeht.
Vom K. o. im Jahr 2017 werden sich die Volksparteien nur erholen, wenn sie Inhalte liefern, mit denen sie sich von anderen Angeboten deutlich abgrenzen können. Nur die Regierung pauschal zu kritisieren, ohne glaubwürdige Alternativen aufzuzeigen, wird nicht reichen. Das macht bereits Marine Le Pen.