Am Kalanki Chowk, einer chaotischen Kreuzung, an der meisten Busse in Kathmandu abfahren, warten Massen von Menschen auf einen Platz in einem der hoffnungslos überfüllten Fahrzeuge. Die Preise haben sich versechsfacht. Selbst die Plätze auf dem Dach der klapperigen Busse sind begehrt. Tausende vom Erdbeben Betroffene wollen die Stadt so schnell wie möglich verlassen.
Es fehlt an allem: Trinkwasser, Toiletten, Essen, Benzin, Holz, Medikamenten. Die Menschen haben Angst vor weiteren Beben. „Ich will in mein Dorf, um in Sicherheit zu sein“, sagt Ishwor Chalise, ein 26-jähriger Student, der verzweifelt versucht, seine Heimat, etwa 400 Kilometer von Kathmandu, zu erreichen. Sein Dorf sei unzerstört, erzählt er Journalisten.
Chaotische Szenen spielten sich auch am Flughafen von Kathmandu ab, wo Hunderte Reisende schon seit Sonntag darauf warten, das Land endlich verlassen zu können. „Wir sind seit zwei Tagen hier, weil es hier sicherer ist als in anderen Teilen der Stadt, aber Wasser, Essen und Platz sind knapp“, berichtet Gwang Jung aus Korea, der in Nepal Urlaub machte. Der kleine Flughafen ist hoffnungslos überlastet. Viele Angestellte haben die Stadt verlassen, um auf dem Lande nach den Familien zu schauen. Die ankommenden Rettungsflüge haben Priorität vor den kommerziellen Flügen. Wer ausfliegen will, muss Geduld mitbringen.
Viele Menschen schlafen weiter im Freien. Unter ihnen selbst der Präsident des Landes, Ram Baran Yadav, dessen Residenz nach dem Beben beschädigt ist. Sintflutartiger Regen am Dienstag machte die Lage der vielen Obdachlosen in der 2,5 Millionen Metropole noch trostloser. Der Untergrund in Parks und anderen Freiflächen, wo viele ihre Zelte aufgespannt haben, verwandelte sich in Matsch. Und der Regen soll die kommenden anhalten.
Kein Wundern, dass bei vielen Überlebenden der Schock nun dem Ärger weicht: Denn trotz aller Bemühungen kommt die Hilfe nur schleppend voran. Dabei ist das Ausmaß der Katastrophe immer noch nicht voll abzusehen. Nepals Premierminister Sushil Koirala sagte, es könnten mehr als 10 000 Menschen umgekommen sein.
„Die Regierung tut alles, was sie kann, um Rettung und Hilfe zu bringen – unter Bedingungen wie in einem Krieg“, erklärte der Regierungschef. „Es ist eine Herausforderung und eine sehr schwere Stunde für Nepal“. Die Vereinten Nationen schätzen, dass insgesamt acht Millionen Menschen von dem Erdbeben betroffen sind, mehr als ein Viertel der Bevölkerung. Mindestens 1,4 Millionen Menschen sind laut dem UN-Welternährungsprogramm auf Lebensmittelhilfe angewiesen.
Am größten scheint die Not auf dem Lande. Bewohner in Barkobot, einem Dorf eineinhalb Stunden von Kathmandu entfernt, warten vergeblich auf Unterstützung. Alle Häuser sind dort entweder komplett oder teilweise zerstört. Die Einwohner haben Angst vor Dieben und Plünderern. Wie in so vielen ländlichen Gegenden Nepals leben vor allem Frauen, Kinder und Alte in Barkobot, während die Männer im erwerbstätigen Alter in Indien, in den Golf-Staaten oder anderswo arbeiten, um ihre Familien zu ernähren.
Im Gorkha-Distrikt, nahe dem Epizentrum des Bebens am Sonnabend, sind inzwischen erste Hilfskräfte eingetroffen. Das Gebiet, etwa 100 Kilometer von Kathmandu entfernt, hat um die 270.000 Einwohner – der Großteil verteilt auf um die 1000 kleine Dörfer.
Die erste Momentaufnahme der Situation ist düster. „Ich habe gehört, dass ganze Dörfer mit bis zu 1500 Menschen verschüttet wurden und bislang nicht zu erreichen sind“, berichtet Matt Darvas, ein Mitarbeiter der Hilfsorganisation „World Vision“. „In diesem Gebiet, wo die Dörfer komplett von der Außenwelt abgeschnitten sind, wird die Zahl der Toten noch erheblich steigen, wenn wir endlich Zugang bekommen haben und realisieren, wie schlimm die Situation hier ist.“
„Wenn man sich die Berichterstattung der Medien anhört, dann redet jeder über die ausländischen Bergsteiger am Mount Everest, aber ich muss betonen: die Zahl der Nepalesen, die in ihren Dörfern eingeschlossen sind, die schon sonst in extremer Armut leben, ist das größte Problem hier“, fügt Darvas hinzu.
Nepals schwerstes Erdbeben seit 81 Jahren hatte auf dem höchsten Berg der Welt Schnee- und Gerölllawinen ausgelöst, und mindestens 17 Bergsteiger getötet. Um die 200 Kletterer, die über dem Basislager des Achttausenders von Schnee- und Eismassen eingeschlossen waren, sind inzwischen mit Hubschraubern gerettet worden.
Hundeführer aus Lemwerder sucht in Nepal nach Verschütteten
Lars Prößler ist Ortsbrandmeister und Rettungshundeführer aus Lemwerder. Gemeinsam mit sechs weiteren Helfern und zwei Hunden reiste er am Montag nach Nepal. Das Team gehört zu der ehrenamtlichen Hilfsorganisation „@fire Internationaler Katastrophenschutz Deutschland“. Die rund 200 Mitglieder setzen sich weltweit für eine schnelle Nothilfe nach Naturkatastrophen ein. Sie alle bringen Erfahrungen aus der Arbeit bei Berufsfeuerwehren, freiwilligen Feuerwehren oder Rettungsdiensten mit.
Lars Prößlers Lebensgefährtin Bettina Dogs ist ebenfalls Hundeführerin und weiß, wie ihr Freund und dessen dreijähriger belgischer Schäferhund Pollux auf solche Einsätze vorbereitet werden. „Hund und Mensch müssen fit und stressresistent sein“, erläutert sie. „Zum Training gehören sogenannte 36-Stunden-Übungen, wo entsprechende Szenerien nachgestellt werden.“ Innerhalb dieses Zeitraumes leben Hund und Hundeführer autark in Zelten und müssen nach vermeintlichen Opfern suchen. Auch Fähigkeiten wie das Abseilen werden hier erlernt.
Für Lars Prößler und Pollux ist es der erste Auslandseinsatz. Vor allem der Transport sei sehr anstrengend für die Hunde, weiß Dogs zu berichten. So etwas müsse das Tier verkraften können. „Das kann man nur bedingt antrainieren.“ Nachdem Prößler und sein Team Nepal am Montag erreicht hatten, bekamen sie ihr Basislager in der Nähe des Flughafens in Kathmandu zugewiesen. Am Dienstagmorgen erreichte sie der Rettungsauftrag der Vereinten Nationen.
Um 13.30 Uhr Ortszeit traf das Such- und Erkundungsteam dann an der Einsatzstelle nordöstlich von Kathmandu ein. Dort werden in den Trümmern eines Hotels noch Menschen vermutet. „Mit den beiden Hunden sowie technischen Ortungsgeräten suchen sie nach Verschütteten“, sagt Dogs. Zum Einsatz kommen eine Kamera, mit der in Trümmerlücken gefilmt werden kann, sowie ein Geofon, mit dem die Trümmer abgehorcht werden können.
„Vorher werden jedoch die Hunde eingesetzt“, erläutert Dogs. „Wenn sie anschlagen – und das tun sie nur bei lebenden Menschen – kommen die technischen Geräte zum Einsatz.“ Außerdem erkundet das Team den Zustand eines Wasserkraftwerkes vor Ort. Insgesamt soll der Einsatz nicht länger als zehn Tage dauern.
Die Qualifizierung für Rettungsarbeit im Ausland erreichen Hund und Hundeführer mit entsprechenden Schulungen und Prüfungen. „Das gesamte Team besteht aus erfahrenen Katastrophenschutzhelfern, die mit den körperlichen und seelischen Belastungen zurecht kommen“, betont Dogs imd fügt hinzu: „Wichtig ist, dass sie den Zustand der Trümmer einschätzen können – also eine gewisse statische Kenntnis haben. Sie müssen wissen, wie sie ihren Hund da durch schicken“, erklärt sie weiter. „Wenn sie das Opfer lokalisiert haben, müssen sie wissen, wie sie die Steine bewegen, ohne dem Menschen zu schaden. Es kann sein, dass jemand drei Meter unter Trümmern liegt.“
Bettina Dogs und die anderen Angehörigen werden regelmäßig vom deutschen Lagezentrum von „@fire“ über die aktuelle Situation vor Ort in dem Land informiert. „Man ist immer ein bisschen mit dabei.“ „@fire“ ist bei der International Search and Rescue Advisory Group (INSARAG) der Vereinten Nationen organisiert. Dort hatte die nepalesische Regierung Hilfe angefordert. Diese Anfrage wurde an „@fire“ weitergeleitet. Daraufhin wurde ein Alarm ausgelöst. Wer sich dann meldet, kommt ins Rettungsteam.