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Die „Gorch Fock“ wird grundsaniert – obwohl das bis zu 75 Millionen Euro kosten könnte Sie darf weitersegeln

Elsfleth/Berlin. Wenn es um den Zustand der SSS „Gorch Fock“ geht und um die Frage, ob sich eine Reparatur in Millionenhöhe für das Aushängeschild der Marine überhaupt noch lohnt, dann müsste eigentlich die Elsflether Werft am besten Auskunft geben können – schließlich war das Segelschulschiff dort seit 2000 quasi Dauer-Reparatur-Gast. Seit einem Jahr ist das Schiff nun nicht mehr fahrbereit.
27.01.2017, 00:00 Uhr
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Sie darf weitersegeln
Von Peter Hanuschke

Elsfleth/Berlin. Wenn es um den Zustand der SSS „Gorch Fock“ geht und um die Frage, ob sich eine Reparatur in Millionenhöhe für das Aushängeschild der Marine überhaupt noch lohnt, dann müsste eigentlich die Elsflether Werft am besten Auskunft geben können – schließlich war das Segelschulschiff dort seit 2000 quasi Dauer-Reparatur-Gast. Seit einem Jahr ist das Schiff nun nicht mehr fahrbereit. Der Vorstand der Elsflether Werft wollte sich zum Zustand der „Gorch Fock“ aber nicht äußern und verwies lediglich an die Marine – das war allerdings bevor feststand, dass das Segelschulschiff für viel Geld wieder aufgemöbelt werden soll. Insgesamt soll das Sanierungsprojekt nun bis zu 75 Millionen Euro kosten – eine neue Dimension: Bisher war lediglich die Rede von 35 Millionen Euro.

Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen schaffte am Donnerstagnachmittag in Berlin Fakten, was die Zukunft der „Gorch Fock“ angeht: Das Segelschulschiff soll grundsaniert werden. Von einem möglichen späteren Neubau, der die „Gorch Fock“ in ein paar Jahren ersetzen könnte, war nicht mehr die Rede: Vielmehr soll der Stolz der Bundesmarine bis weit über das Jahr 2030 im Einsatz bleiben.

Im Bundesverteidigungsministerium war in den vergangenen Tagen und Wochen abgewogen worden, ob das Schiff überhaupt wieder fit für den Hochsee-Alltag gemacht werden soll. Wobei schon der zuletzt in der Öffentlichkeit diskutierte Betrag von 35 Millionen Euro das Dreifache der ursprünglich veranschlagten Kosten gewesen war. Zwölf Millionen Euro sollen bereits im vergangenen Jahr gezahlt worden sein.

„Ursprünglich ist man von einer siebzehnwöchigen Dauer der Maßnahme und damit verbundenen Kosten in Höhe von circa zehn Millionen Euro ausgegangen“, sagte am Donnerstag ein Sprecher des Verteidigungsministeriums dem WESER-KURIER rückblickend auf die vergangenen Monate. „Im Zuge der Arbeiten und der genauen Untersuchung wurden weitere – insbesondere bis dahin unentdeckte – Schäden gefunden.“ Sowohl die Dauer, als auch der Kostenrahmen hätten sich daraufhin erheblich ausgeweitet. „Schlussendlich wurde im Oktober ein vorläufiger Baustopp verhängt. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich Leistungen im Auftragsvolumen von etwa 35 Millionen Euro vertraglich vergeben.“

In der folgenden Wirtschaftlichkeitsbetrachtung sei es um mögliche Alternativen zum Erhalt der Fähigkeit zur seemännischen Basisausbildung des Führungsnachwuchses der Marine gegangen, so der Sprecher weiter.
Dabei sei sowohl ein Abbruch des Instandsetzungsvorhabens als auch die Einleitung des Prozesses für eine Nachfolgeplattform in Erwägung gezogen worden, was beides zur Deckung des Ausbildungsbedarfes die Miete eines anderen Segelschulschiffes zur Folge gehabt hätte. „Die Untersuchung ergab, dass nur durch den Weiterbetrieb der ,Gorch Fock' für die Marine nahezu bruchfrei ein Schiff zur Ausbildung des Nachwuchses zur Verfügung gestellt werden kann.“ Ein anderes Schiff hätte etwa das Arbeiten der Offizieranwärter in der Takelage nicht zugelassen, da nur die „Gorch Fock“ über die gesetzten Sicherheitsstandards verfüge.

Die Sicherheit an Bord des Segelschiffs war in den vergangenen Jahren nach zwei tödlichen Unfällen von Kadetten verbessert worden. Eine Kadettin war bei der Ausbildung aus der Takelage aufs Deck gestürzt. Eine andere Kadettin schob nachts Wache und verschwand von Bord. Ihre Leiche wurde später im Meer gefunden – was passierte, wurde nie restlos aufgeklärt. In der Öffentlichkeit flammte die Diskussion auf, ob ein Segelschulschiff überhaupt noch zeitgemäß ist. Gegner argumentierten, im Computerzeitalter sei die Fähigkeit, Segel setzen zu können, nicht mehr notwendig. Die Befürworter betonten die besonderen Erfahrungen auf einem Segler als nicht ersetzbar. Die Marine reagierte und beschloss ein neues Ausbildungskonzept. In die Takelage wurden Sicherungen eingebaut und das Gelände der Marineschule Mürwik in Flensburg erhielt einen Übungsmast.

„Ich habe heute entschieden, dass die ,Gorch Fock' weiter segeln soll“, sagte von der Leyen. Diese Entscheidung sei nicht leicht gefallen. Mit der „Gorch Fock“ sei es so wie mit einem alten denkmalgeschützen Haus. „Wir wollten erst nur wenig reparieren, dann haben wir hinter die Planken geguckt und festgestellt, dass sie grundsaniert werden muss.“ Bis auf den Kiel müsse fast alles ersetzt werden. „Wir haben uns dazu entschlossen, weil die ,Gorch Fock' weit mehr als nur ein Segelschiff symbolisiert: Sie ist das Segelschulschiff der Marine, sie ist unverzichtbar in der seemännischen Tradition, sie hat eine lange Ausbildungsgeschichte hinter sich.“ Sie sei vor allem für Deutschland die Botschafterin auf den Weltmeeren. Bisher hatten in den vergangenen Jahren circa 15 000 Männer und Frauen der Marine – darunter praktisch alle Offiziersanwärter – ihre seemännische Basisausbildung auf der Bark absolviert.

Zum aufgelaufenen Millionenaufwand sagte die Verteidigungsministerin: „Wir haben sehr genau die Kosten und den Zeitaufwand abgewogen.“ Entscheidend sei, „dass wir jetzt zügig an die Grundsanierung der Gorch Fock rangehen. Dann wir wissen wir aber, dass wir einen prachtvolles Segelschulschiff ,Gorch Fock' bis weit über 2030 haben werden.“ Wann das Schiff wieder in See stechen könne, sei allerdings noch nicht absehbar, sagte der Sprecher. Es gebe zu diesem Zeitpunkt noch keinen Zeitplan. Und ob die jetzt anstehenden Arbeiten als Folgeauftrag zu sehen ist und dadurch eventuell automatisch die Elsflether Werft den Auftrag weiter ausführen darf oder ob wegen der explodierten Kosten neu ausgeschrieben werden muss, wollte er zum jetzigen Zeitpunkt nicht kommentieren. Der Werftvorstand selber war am Donnerstag nicht erreichbar.

„Gorch Fock“-Kommandant Nils Brandt sagte zu der Nachricht aus Berlin: „Die Entscheidung, die ,Gorch Fock' zu erhalten, hat bei meiner Besatzung und mir große Erleichterung ausgelöst.“ Nach langer Zeit der Flaute sei wieder Wind zu spüren, und das tue gut, denn die „Gorch Fock“ erfülle einen ganz wesentlichen Auftrag zur Ausbildung unseres Nachwuchses.

Seit einem Jahr liegt die „Gorch Fock“ bereits im von der Elsflether Werft angemieteten Schwimmdock der Bredo-Werft in Bremerhaven. Und je länger die Sanierungsarbeiten an der Takelage, am Rumpf, an den Hygieneeinrichtungen und im Unterwasserbereich stattfanden, desto länger wurde die Liste der bis dahin unbekannten Schäden: Zunächst stellte sich im Juni heraus, dass die drei bis zu 45 Meter hohen Segelmasten wegen Rostschäden saniert werden müssen. Anschließend wurde im Oktober klar, dass auch das Oberdeck aus Teakholz marode ist. Die Beplankung des knapp 90 Meter langen und zwölf Meter breiten Schiffes – rund 900 Quadratmeter – muss erneuert, die stählerne Unterkonstruktion aufwendig überholt werden. Die Marine zog daraufhin die Reißleine und stoppte alle weiteren Reparaturarbeiten bis auf Weiteres. Gerade Teakholz zu besorgen, könne viel Zeit in Anspruch nehmen, hatte Fregattenkapitän Achim Winkler, Sprecher der Einsatzflottille 1, gegenüber NDR 1 Welle Nord im Oktober formuliert: „Das dauert. Diese Planken aus tropischem Teakholz liegen nicht irgendwo im Regal und warten darauf, dass man sie abruft und auf dem Schiff verbaut.“

Schon in der Vergangenheit war die Erhaltung der „Gorch Fock“ nicht ganz billig gewesen: Nach Angaben des Bundesamtes für Ausrüstung der Bundeswehr wurden allein seit 2010 etwa 22 Millionen Euro für Wartung, Reparatur und Instandhaltung des über 50 Jahre alten Schiffes ausgegeben. Entsprechend lang ist die Liste auf der Internetseite der Elsflether Werft, wo die diversen Aufenthalte des deutschen Segelschulschiffs und die erforderlichen Arbeiten sogar seit 2000 aufgeführt sind. Und diese Aufzählung von Umbau- und Instandsetzungsarbeiten vom Rohrleitungssystem, der Elektrizitätsanlage, Takelage über die gesamte Inneneinrichtung und Konservierung bis hin zur Decksbelag-Erneuerung liest sich wie ein Puzzle, das zusammengesetzt ein neues Schiff ergeben würde.

Interessante Zahlen rund um die „Gorch Fock“ hat Autor Roland Wildberg auch schon 2008 in seinem Bildband „50 Jahre Schulschiff Gorch Fock“ aufgeführt: Danach betrug der Anschaffungswert des Schiffes 1958 etwa 8,5 Millionen Deutsche Mark; nach 50 Jahren Betrieb und Reinvestitionen wurden die Kosten der Bark im Jubiläumsjahr insgesamt auf etwa 50 Millionen Euro geschätzt.

Ursprünglich sollte der in Hamburg bei Blohm & Voss gebaute Stolz der Marine – der Stapellauf war im August 1958 – im März dieses Jahres wieder in Fahrt kommen und dann im Frühjahr und Sommer für Ausbildungsfahrten der aktuellen Offizierslehrgänge in See stechen. Diese Fahrten wurden bereits im Oktober abgesagt. Gleiches gilt für die Teilnahme am Hamburger Hafengeburtstag im Mai.

Der Bund der Steuerzahler hatte das Reparatur-Projekt schon im Herbst als reine Geldverschwendung bezeichnet. Ein Neubau wäre günstiger, heißt es im Schwarzbuch 2016/17. Und diese Aussage bezog sich allein auf die 35 Millionen Euro, von denen bislang die Rede war. Zwar sei das Segelschulschiff der Bundesmarine der Stolz der Flotte, aber auch ein Dauergast im Schwarzbuch. Der Steuerzahler-Bund verweist auf ein vorheriges Reparaturereignis aus dem Jahr 2010: Damals sei das Schiff in Elsfleth für eine Weltumrundung generalüberholt worden. Nach der Rückkehr sei Ende 2011 eigentlich nur eine Instandsetzung des Unterwasserbodens vorgesehen gewesen. „Doch dabei wurden massive Rostschäden entdeckt. Wieder bekam die Werft in Elsfleth den Zuschlag für Reparaturarbeiten von geplant einer Million Euro. Die Reparatur dauerte bis 2014.“ Nach der Schlussrechnung hatten sich laut Bund der Steuerzahler die Kosten auf etwa zehn Millionen Euro summiert.

Aktuell fragt die Organisation danach, wie viel Geld noch in das alte Schiff gesteckt werden soll und führt als Vergleich den 2011 in Bremen erfolgten Neubau des mit 65 Metern Länge kleineren privaten Segelschulschiffs „Alexander von Humboldt II“ auf, der nach Angaben des Steuerzahlerbunds 15 Millionen Euro gekostet hat.

Allerdings lässt das Schwarzbuch offen, inwieweit ein erhöhtes Reparaturaufkommen auf die Dauerbelastungen eines Segelschulschiffs zurückzuführen ist. Immerhin hat die „Gorch Fock“ seit 1958 mehr als 750 000 Seemeilen zurückgelegt. Das entspricht etwa 35 Erdumrundungen.

„Die ,Gorch Fock‘ ist unverzichtbar.“ Ursula von der Leyen
„Es wurden weitere unentdeckte Schäden gefunden.“ Sprecher Verteidigungsministerium
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