Dem amerikanischen Whistleblower Edward Snowden wird vorgeworfen, das Leben von britischen und US-amerikanischen Spionen gefährdet zu haben. Russland und China, so meldeten am Sonntag übereinstimmend die „Sunday Times“ und die BBC, hätten Geheimdokumente hacken können, die Snowden als ehemaliger Mitarbeiter des amerikanischen Abhördienstes NSA gestohlen habe. Als Konsequenz daraus hätten die britischen und amerikanischen Geheimdienste Agenten in Russland und China abziehen müssen. Snowden habe „einen unermesslichen Schaden“ angerichtet, wird ein Mitarbeiter des britischen Auslandsdienstes MI6 zitiert.
Vor zwei Jahren hatte Snowden als technische Fachkraft und Systemadministrator des amerikanischen Geheimdienstes NSA rund 1,7 Millionen Geheimdokumente kopieren können und war außer Landes geflohen. Snowden veröffentlichte in der Folge eine Reihe von Dossiers, die die Massenüberwachung von Privatbürgern durch den NSA und andere Abhördienste enthüllten, und löste damit eine breite und kontrovers geführte Debatte über die Rolle von Geheimdiensten in westlichen Gesellschaften aus.
Klage über Kollateralschaden
Jetzt beklagen seine britischen Gegner den Kollateralschaden: Indem Snowden die Geheimdokumente in die Hände von „feindlichen Ländern“ habe fallen lassen, hätte er die Sicherheit des Königreichs gefährdet und die Arbeit der Geheimdienste sabotiert. „Wir wissen“, zitierte die „Sunday Times“ einen anonym bleibenden Spion, „dass Russland und China jetzt Zugang zum Snowden-Material haben und es auf Jahre hinaus studieren werden, um Hinweise zu bekommen zur Identifizierung von möglichen Zielen“. Sprich: Aufgrund der Snowden-Enthüllungen ist es jetzt nicht mehr so einfach, in diesen Ländern zu spionieren.
Die Berichte berufen sich zwar auf anonyme Quellen, aber ihre Glaubwürdigkeit wird dadurch gestützt, dass es sich um eine Reihe von Stimmen aus Geheimdienstkreisen, dem Innenministerium und dem Büro des Premierministers handelt. Der ehemalige Chef des britischen Abhördienstes GCHQ Sir David Ormand sprach von einem „großen strategischen Rückschlag“, der Großbritannien, den USA und den NATO-Alliierten schaden würde.
Der Snowden-Vertraute und Enthüllungsjournalist Glenn Greenwald wies die Darstellung zurück. Der Bericht in der „Sunday Times“ sei gespickt mit vielen nachweislich falschen Fakten und ein Beispiel für schlimmsten Journalismus. Wer Behauptungen glaube, die anonym im eigenen Interesse von Regierungen vorgetragen würden, sei dumm, schrieb Greenwald im Kurzmitteilungsdienst Twitter. In einem Beitrag für das Nachrichtenportal „The Intercept“ erklärte Greenwald, für keine Behauptung der anonymen Quellen gebe es auch nur einen Beleg. Aufrührerische Beschuldigungen würden gegen jeden Whistleblower vorgebracht.
Snowden selbst hatte wiederholt versichert, dass sein Geheimmaterial geschützt sei. Gegenüber der „New York Times“ hatte er im Oktober 2013 erklärt: „Die Wahrscheinlichkeit, dass Russen oder Chinesen irgendwelche Dokumente bekommen haben, liegt bei null Prozent“. Auch in einer E-Mail an einen amerikanischen Senator bekräftigte er, dass „kein Geheimdienst die Geheimnisse nutzen kann, die ich weiterhin schütze“, da er „in Techniken geschult sei, solche Informationen zu chiffrieren“.