Der Fahrplan in Europas grüne Zukunft ist ehrgeizig, keine Frage. Da werden knappe Fristen und enge Spielräume gesetzt. Die Europäische Kommission hat ein umfassendes Zahlenwerk vorgelegt. Beeindruckend ist es aber nicht. Zu viele Positionen sind wackelig oder stehen noch gar nicht fest. In weiten Teilen beschränkt sich die Behörde wieder einmal auf straffe Vorgaben, was richtig ist, weil man lange genug auf die Eigeninitiative der Wirtschaft gehofft hat. Aber die Kommission bleibt zu kleinteilig, um dem Einfallsreichtum der Unternehmen und der Kreativität der Forscher und Ingenieure Platz zu lassen.
Die Kritiker der Kommission haben recht, wenn sie sagen, zu wenig über die Auswirkungen der Transformation in eine klimaneutrale Zukunft für den Arbeitsmarkt zu hören. Schon jetzt müssen Arbeitnehmer beispielsweise in der Automobilindustrie erleben, dass ihre Stellen wegfallen, weil für die Herstellung von Elektro-Antrieben weniger Mitarbeiter gebraucht werden. Die grüne Wende Europas wird weitere Arbeitsplätze kosten. Die Frage, welche Konsequenzen dies für die Arbeits- und Beschäftigungsstruktur hat, ist keine Nebensächlichkeit.
Diese Situation wird noch dadurch verschärft, dass den Betrieben hohe Investitionen bevorstehen, um künftig klimaneutral produzieren zu können und damit gegenüber der Konkurrenz auf dem Weltmarkt Nachteile haben. Das weiß man in Brüssel, hat dazu auch mit der Ausgleichssteuer ein neues Instrument erfunden, von dem aber bisher noch niemand weiß, ob die Welthandelsorganisation es überhaupt akzeptiert. Was ist, wenn nicht? Dann stehen Europas Unternehmen im Regen, obwohl sie zwar grün produzieren, aber gegen die Billigkonkurrenz aus anderen Teilen der Welt hoffnungslos ins Hintertreffen geraten sind.
Man mag sich damit trösten, dass die Vorschläge noch Spielraum enthalten und auch schon Kompromisse eingepreist sind. Ob man das Aus für Benzin- und Diesel-Motoren für 2035 festschreibt oder erst für 2040, macht zwar klimapolitisch einen erheblichen Unterschied, dürfte aber dennoch als Mittelweg akzeptabel sein. Deshalb könnte die weitaus wichtigere Frage lauten: Schafft es dieses Programm, Verbrauchern und Konzernen klarzumachen, dass es zu einem klimaneutralen Europa keine Alternative gibt? Die Zweifel sind erheblich. Zu groß ist die Gefahr, dass die Bürger vor allem steigende Preise sehen. Das beginnt bei den Heizkosten, reicht über die Kraftstoffe und hört bei den Tickets für Flüge nicht auf. Ein E-Auto bleibt zwar ein wichtiger Beitrag, aber die Mobilität ist nur ein Bereich, für den die Menschen künftig tiefer in die Tasche greifen müssen.
Was Brüssel vorgelegt hat, geht weit über einen Umbau der Wirtschaft hinaus. Es kommt einer Neuorientierung unseres Lebens gleich, weil alles der Frage nach dem ökologischen Fußabdruck unterworfen wird. Das ist natürlich nicht falsch, aber es bleibt ein Schritt, der zumindest vielen bis heute nicht klar war. Mit diesem Fahrplan werden die Menschen bisherige Verhaltensweisen umstellen müssen.
Für die 27 Mitgliedstaaten beginnt nach der Sommerpause die Hauptarbeit. Dann werden sich die Ehrgeizigen, die die Klimaneutralität längst zu ihrem eigenen Anliegen gemacht haben, und die Bremser verständigen müssen. Dabei geht es um den üblichen Reflex einiger Länder, die zwar ihre Bereitschaft zum Mitmachen bekunden, aber von den wohlhabenderen Mitgliedern zusätzliche Finanzspritzen erwarten. Oder es werden einige Mitgliedstaaten versuchen, den Hauptteil der Verantwortung für das Erreichen des Klimaziels den starken Staaten in der Union zuzuschieben.
Das mag in Einzelfällen sogar hilfreich sein, um das Ziel für das Jahr 2050 nicht aus den Augen zu verlieren. Aber es würde die wirtschaftliche Kluft zwischen den EU-Ländern stark aus der Balance bringen. Die Klimaneutralität kann ein großes gemeinsames Projekt für Europa werden. Aber dafür wird ein Fahrplan gebraucht, der von allen im gleichen Maße unterstützt wird. Bis dahin dürfte der Weg noch sehr steinig sein.