Oberflächlich betrachtet verfolgt US-Präsident Joe Biden ähnliche Ziele wie sein Vorgänger. Während Trumps „America First“ bloß das Gebot einer nationalistischen Außenpolitik war, als deren unmoralischer Kern sich nackter Egoismus entpuppte, verfolgt Biden eine Mission. Er sieht die USA in einem System-Wettbewerb mit autokratischen Regimen wie China und Russland, in dem die USA als Führungsmacht des Westens den Beweis antreten muss, dass Demokratien für ihre Bürger bessere Ergebnisse liefern.
Biden lehnt sich an die Einsicht des US-Diplomaten George Kennan nach dem Zweiten Weltkrieg an, wonach ein starkes Amerika daheim die Voraussetzung für eine starkes Amerika in der Welt ist. Kennan schrieb 1946 mit Blick auf die sich abzeichnende Auseinandersetzung mit der Sowjetunion, „jede mutige und durchgreifende Maßnahme, interne Probleme in unserer Gesellschaft zu lösen, ist ein Sieg über Moskau“.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts gibt es keine einzelne Macht wie die damalige Sowjetunion, die „den Westen“ ideologisch und militärisch herausfordert. Vielmehr sind es aus unterschiedlichen Quellen gespeiste Systeme, deren gemeinsame Stoßrichtung darin besteht, Demokratie als Form der Selbstregierung abzulehnen. Das vereint die Kommunisten in Peking mit den Nationalisten in Moskau und den Islamisten in Riad.
Biden hat verstanden, dass diese Regime sich nichts sehnlicher erhoffen als eine Verzettlung der Supermacht in endlose Konflikte wie den in Afghanistan. Der neue Präsident zieht daraus nach zwei Jahrzehnten Konsequenzen, weil er versteht, dass den Herausforderungen im Jahr 2021 nicht mit der strategischen Vision nach den Terroranschlägen 2001 begegnet werden kann.
Mittelklasse zahlt einen hohen Preis
Zumal die US-Mittelklasse dafür einen hohen Preis bezahlt hat. Während die Neocons unter George W. Bush ihre Fantasien von Nationenbildung in fernen Weltregionen auslebten und Billionen Dollar an Volksvermögen für den Sturz Saddam Husseins und die gescheiterte Demokratisierung des Mittleren Ostens verpulverten, fehlten daheim die Ressourcen, in Gesundheit, Bildung und Infrastruktur zu investieren.
Deshalb liegt Biden die wirtschaftliche Entwicklung von Kenosha mehr am Herzen als Nationenbildung in Kabul. Die reparaturbedürftigen Brücken über den Mississippi haben einen höheren Stellenwert als der Bau von Straßen durch den Hindukusch. So wichtig wie die Verteidigung von Frauenrechten in Afghanistan auch ist, so viel dringlicher scheint dem Präsidenten die Befreiung der eigenen Gesellschaft von der Geißel des Rassismus.
Die Einmischungsversuche Russlands und Chinas bei den US-Wahlen haben gezeigt, dass die Propagandisten dieser Regime längst in den inneren Widersprüchen der USA die Achillesferse der Supermacht erkannt haben. Trump hatte sich als williger Helfershelfer einspannen lassen und seine eigenen autokratischen Instinkte zu erkennen gegeben.
Joe Biden versucht, das Ruder herumzureißen. Die Leitidee dabei ist, die Demokratie zu stärken. Deshalb zelebriert er den Schulterschluss mit der Nato, schickt zusätzliche Truppen nach Deutschland, beendet Amerikas längsten Krieg in Afghanistan, setzt China Grenzen und zählt Russland mit harten Sanktionen an.
Biden will das Ruder herumreißen
Das mit 1,9 Billionen Dollar ausgestattete Covid-Hilfspaket versteht seine Regierung ebenso als Beitrag zur Stärkung der Demokratie im Inneren wie die angestrebten massiven Investitionen in die physische und soziale Infrastruktur des Landes. Bidens „Amerika-zuerst“-Ansatz bedeutet, dass die Veränderungen zu Hause beginnen müssen, um für andere attraktiv zu sein. Deshalb ist ein schneller Sieg über das Virus so wichtig wie spürbare Veränderungen im Leben der Menschen.
Unter Biden zeichnet sich in der Außenpolitik ein Paradigmenwechsel ab, der den System-Wettbewerb mit Autokratien bei der Lösung globaler Probleme ins Zentrum rückt. Und der den „Krieg gegen den Terrorismus“ beendet.