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Kommentar über Frankreich Wütende Franzosen bremsen Macron aus

Frankreich wird von einer gewaltigen Protestwelle erschüttert. Doch durch schwere politische Fehler und seine royalen Allüren hat Präsident Macron selbst zur Krise beigetragen, meint Birgit Holzer.
04.12.2018, 21:52 Uhr
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Von Birgit Holzer

Er hatte eigentlich eisern durchhalten und nicht nachgeben wollen. Emmanuel Macron war es immer wichtig, sein Image als mutiger Reformer zu pflegen und die Fehler seines Vorgängers François Hollande zu vermeiden, der 2013 bei starkem Widerstand von der Straße gegen eine Ökosteuer eingeknickt war. Deshalb versicherte Macron bis jetzt stets, dass eine Erhöhung der Benzin- und Dieselsteuern trotz des Widerstands der „Gelbwesten“ aufgrund der Sorge für die Umwelt und bei allem Verständnis für die soziale Not vieler Franzosen unumgänglich sei.

Doch angesichts der teils gewalttätigen Proteste an den vergangenen Wochenenden und einer drohenden weiteren Eskalation an den kommenden musste der Präsident erstmals einlenken. Dabei erscheint nicht einmal sicher, ob die am Dienstag von Premierminister Édouard Philippe angekündigte Aussetzung von geplanten Steuererhöhungen ausreicht, um die Gemüter noch zu beruhigen. Zu erhitzt sind die „Gelbwesten“ längst, auch angesichts ihrer neuen Machtposition durch die breite Unterstützung der Bevölkerung und das drohende Chaos im Land. Die Randalierer, die ihre Bewegung zu unterwandern drohten, nutzen ihnen.

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Das Angebot der Regierung ist ein überfälliges Eingeständnis dafür, dass der Präsident nicht über sein Volk hinweg regieren kann, auch wenn Macron einmal darüber philosophierte, dass die Franzosen nostalgisch einem Monarchen nachtrauerten. Er, der sein politisches Manifest vor der Wahl „Revolution“ genannt hatte, wollte diese vermeintliche Leerstelle besetzen, indem er sich royale Allüren zulegte – und droht nun selbst von einer Art Volksrevolution überrollt zu werden. Offenbaren die jüngsten Entwicklungen, dass Frankreich nicht reformierbar ist?

Zumindest zeigt sich, dass Macrons Hauruck-Methode dafür nicht eignet ist. Er selbst verweist darauf, dass er demokratisch gewählt worden sei. Doch die Enthaltung und Abgabe weißer Stimmzettel erreichten bei der Präsidentschaftswahl einen Rekord. Auch stimmten viele Bürger nur aus Enttäuschung über die traditionellen Volksparteien – und um die Rechtsextreme Marine Le Pen zu verhindern – für den Newcomer. Anstatt auch sie von sich zu überzeugen, schritt Macron mit seinem Modernisierungskurs voran und unterschätzte dabei die Widerstandskraft der „störrischen Gallier“, als die er seine Landsleute bei einem Besuch in Kopenhagen verspottet hatte.

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So liegt die wachsende Ablehnung des Präsidenten, die wie schon bei Macrons Vorgängern teilweise in Hass umschlägt, in großem Maße in seinem Stil und Auftreten begründet. Von diesem Vertreter einer abgehobenen Elite fühlen sich die meisten Menschen nicht verstanden.

Aber Macron beging auch kapitale politische Fehler, etwa die Abschaffung der Reichensteuer als eine seiner ersten Maßnahmen, während er das Wohngeld für die Ärmsten senkte und die Rentner stärker belastete. Nun entstand das Gefühl, die Ärmsten, die oft billige Dieselautos fahren, auf die sie in den abgelegenen Regionen angewiesen sind, sollten auch für den Klimaschutz aufkommen. Anders als die wohlhabenden Schichten können sie sich trotz staatlicher Subvention keine emissionsfreien Elektroautos leisten.

Zugleich steht Macron nicht nur im eigenen Land unter Druck. Um gegenüber seinen europäischen Partnern und in erster Linie Deutschland Verlässlichkeit zu beweisen, hat er sich dazu verpflichtet, Frankreichs Neuverschuldung zu senken. Das am Dienstag angekündigte Moratorium auf Steuererhöhungen verkompliziert diese Aufgabe. Dem Staat entgehen ersten Schätzungen zufolge zwei Milliarden Euro entgehen, welche bereits im Budget eingeplant waren.

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Die Wurzeln für viele Übel, die zu dieser aktuellen Krise führen, liegen weit zurück. Seit Jahrzehnten leidet Frankreich unter Massenarbeitslosigkeit und unter der Deindustrialisierung, mit der eine Verarmung der Menschen in den betroffenen Regionen einhergeht. Gleichzeitig wächst in der französischen Gesellschaft die Spaltung zwischen Globalisierungsgewinnern und Globalisierungsverlierern.

Auf die schwere Wirtschaftskrise von 2008 fanden die Politiker bis jetzt immer noch keine effiziente Antwort. Macron hatte diese versprochen und gab dabei der Liberalisierung der Wirtschaft den Vorrang. Er darf aber nicht die Menschen vergessen, ihre berechtigten Forderungen nach mehr Perspektiven und einer umsichtigeren Erklärung seiner Politik. Der Auftritt von Premierminister Édouard Philippe erscheint als ein erster Schritt in diese Richtung.

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