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Vorstellung: Sonderschutzfahrzeuge Die rollenden Bodyguards

Sie sind bei Gipfeltreffen immer dabei: schwer gepanzerte Limousinen wie „The Beast“ des US-Präsidenten oder der Mercedes S 680 Guard von Bundeskanzler Scholz. Doch wie werden sie eigentlich gebaut und geprüft?
12.02.2022, 06:00 Uhr
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Von Fabian Hoberg/dpa

Kugeln prallen auf die Karosserie. Beulen und Einschusslöcher verunstalten das Blech. Das Szenario im Beschussamt Ulm mutet wie das Set eines Actionsfilms an – und spielt als Test für gepanzerte Limousinen doch im echten Leben. Hier werden sogenannte Sonderschutzfahrzeuge darauf geprüft, ob sie Staatsleuten, Monarchen oder hochrangigen Managern als sicheres Transportmittel dienen können. Ex-Kanzlerin Angela Merkel etwa war oft in einem Audi A8L Security unterwegs. Ihrem Nachfolger Olaf Scholz steht nun die neue Mercedes S-Klasse Guard S 680 zur Verfügung. Doch was hat es mit diesen Autos auf sich – und welche Kriterien müssen sie erfüllen, um ihre Insassen vor den Folgen von Angriffen oder Anschlägen zu schützen?

In Deutschland prüfen drei Beschussämter zivile Fahrzeuge. Sie haben sich zur Vereinigung der Prüfstellen für angriffshemmende Materialien und Konstruktionen (VPAM) zusammengeschlossen. „Wir besichtigen die Konstruktion schon im Rohbau und sehen das Fahrzeug ohne Verkleidung. Daher können wir vermeintlich kritische Punkte vorher erkennen und sie gezielt prüfen“, erklärt Peter Häussler vom Beschussamt Ulm. So wichtig wie diese Schwachstellen-Analyse: Die separate Prüfung der im Fahrzeug verbauten Materialien auf Durchschusshemmung.

Gepanzerte Zivilfahrzeuge teilen sich je nach Stärke der Platten und des Glases in die Prüfstufen VR1 bis VR10 nach VPAM-BRV auf. Der zweite Teil der Abkürzung steht für Ballistic Resistance Vehicle und bezeichnet die Widerstandsfähigkeit des Fahrzeuges gegen Angriffe mit Geschossen. Bei der ballistischen Prüfung des Beschussamtes Ulm werden die Autos dafür bis zu 500 Mal beschossen. Dabei gilt: Je höher die VR-Ziffer, desto höher auch der Schutzfaktor. Hält die Hülle bei VR4-Fahrzeugen den Projektilen eines 44er Magnum-Revolvers stand, sind es bei VR7 schon die Geschosse eines Schnellfeuergewehres mit Nato-Munition – sie treffen mit einer Aufprallgeschwindigkeit von 3240 km/h auf das Fahrzeug. Bei VR10 wird ein Auto dann mit Hartkernmunition aus einem Sturmgewehr malträtiert.

Eine weitere Herausforderung: die Sprengprüfung, die es ebenfalls in verschiedenen Abstufungen gibt. Dabei zündet eine 12,5 Kilogramm schwere Sprengstoffmischung neben dem Fahrzeug, bei weiteren Versuchen detoniert eine Handgranate unter und auf dem Auto. Solche Versuchsszenarien klingen nach Hollywood-Machwerken, entstanden aber als Antwort auf tatsächliche Bedrohungen und Attentate – so wie in der Hochphase des RAF-Terrors mit der Entführung und Ermordung von Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer 1977 oder dem tödlichen Bombenanschlag auf Alfred Herrhausen, den Chef der Deutschen Bank, im Jahr 1989.

Hersteller wie Audi, Bentley, BMW, Citroën, Jaguar, Mercedes und Range Rover verkaufen Sonderschutzfahrzeuge direkt ab Werk. Die Abnehmer unterscheiden sich dabei je nach Weltregion deutlich: Während die fahrenden Festungen in Südamerika, Russland und Asien vor allem bei Unternehmern und Privatpersonen gefragt sind, handelt es sich bei europäischen Kunden zumeist um Regierungen, Behörden oder Königshäuser.

Auch spezialisierte Unternehmen wie Trasco in Bremen, Alpha Armouring, Brabus, Welp Group, AB Luxury oder Stoof International bauen Limousinen und Geländewagen nach Kundenwunsch zu Sicherheitsfahrzeugen um. Immer aber gilt: Panzerung ist nicht gleich Panzerung. Einfach nur ein bisschen Sicherheitsglas und ein paar Stahlplatten zusätzlich zu montieren – das reicht nicht. Vielmehr werden besonders gute gepanzerte Fahrzeuge schon im Rohbau konstruiert. Passagiere sitzen dann in einer gepanzerten Fahrzeugzelle, Motor- und Kofferraum werden quasi nur angeschraubt.

„Beim S 680 Guard setzen wir erstmals auf einen eigenen, in sich geschlossenen Schutzraum inklusive neuer Sicherheitssysteme“, sagt Thomas Bentel, Guard-Entwicklungsingenieur bei Mercedes. Anders formuliert: Panzerte Mercedes zuvor die S-Klasse, wird nun ein zuvor gepanzertes Fahrzeug optisch zu einer S-Klasse verkleidet.

Der Kanzler-Limousine sollen Kugeln aus Präzisions- und Maschinengewehren nichts anhaben können, ebenso wenig wie Sprengstoff am oder unter dem Gefährt. Zum Einsatz kommen dafür spezielle Stähle am Heck und der Stirnwand, Splitterschutzmatten im Dach sowie Aramidplatten. Derart ausgerüstet wiegt eine Tür rund 200, die Seitenscheiben 40 und die Frontscheibe 120 Kilogramm. Massive Platten im Unterboden schützen die Insassen vor Detonationen; Feuer von außen bekämpft eine integrierte Löschanlage mit zehn Düsen unter dem Auto und im Motorraum. Selbst vor einem Gasangriff sind die Fahrgäste geschützt: Sauerstoff presst mit leichtem Überdruck Luft aus dem Inneren, sodass kein Gas eindringen kann.

Das alles bringt reichlich Gewicht mit sich – rund 4,5  Tonnen ist der S 680 Guard nach der höchsten Schutzklasse VR10 schwer. Das wiederum erfordert einen mächtigen Motor, denn „wichtig ist, dass die Insassen schnell aus der Gefahrenzone kommen und sich dann in Sicherheit bringen“, erläutert Mercedes-Ingenieur Bentel. Dafür steckt im Motorraum ein V12 mit 450 kW (612  PS) Leistung, der das gepanzerte Schwergewicht dennoch in 8,3 Sekunden auf Tempo 100 und maximal 190 km/h bringt. Rund 457.000 Euro plus Mehrwertsteuer müssen Kunden dafür mindestens bezahlen.

Auch BMW mischt im Geschäft mit der Sicherheit schon lange mit. Der erste gepanzerte Wagen, ein 733i High Security, konnte ab Ende der 1970er Jahre bestellt werden. Zurzeit bauen die Bayern jährlich ein paar Hundert Fahrzeuge, so den gepanzerten X5 in der Klasse VR6. Die nächste 7er-Generation wird es zudem wieder als Hochsicherheitsfahrzeug geben, wahrscheinlich in den Klassen VR9 oder VR10. „Hochgeschützte Fahrzeuge werden vom Grundkonzept komplett neu aufgebaut, weil sie eine geänderte Struktur besitzen. Das erfordert viel Handarbeit“, sagt Florian Biersack als Leiter Sicherheitsfahrzeuge bei BMW.

Genauere Angaben verkneift sich der Hersteller aber ebenso wie Aussagen zur Technik – das Geschäft lebt stark von der Diskretion. Außerdem widerspreche es dem Sicherheitsgedanken des Fahrzeugs, sagt Biersack. „Ziel ist es, den größtmöglichen Schutz in der höchsten Qualität zu bieten, dabei aber möglichst anonym zu bleiben.“

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