Cayla hat die gleichen Interessen wie viele kleine Mädchen. Sie mag Pferde, ihre Lieblingsfarbe ist Pink. Gleichzeitig weiß sie mehr als jedes Kind. Denn Cayla ist kein richtiges Mädchen – sie ist eine 45 Zentimeter große sprechende Puppe. Über das Internet steht ihr der ganze Wissensschatz der Welt zur Verfügung. Vernetztes Spielzeug wie „My friend Cayla“ erobert inzwischen auch deutsche Kinderzimmer. Seit 2014 wird die smarte Puppe in Deutschland verkauft. Im ersten Jahr gehörte sie zu den Top-10-Spielzeugen der Spielwarenhändler. Wenn man Cayla eine Frage stellt, zeichnet sie das gesprochene Wort auf und sendet es per Bluetooth an eine App auf dem Tablet oder Smartphone. Diese wandelt Sprache in Text um und sucht für die Frage im Internet über Google oder Wikipedia eine passende Antwort.
Immer mehr Spielzeuge lassen sich mit dem Internet verknüpfen und erweitern so das Spielerlebnis für Kinder. Da wären die Rennautos von „Anki Overdrive“ und der kleine Star-Wars-Roboter „Sphero BB-8“, die sich mit Apps fernsteuern lassen. Das Raumschiff „Space Hawk“ von Ravensburger, in das sich ein Smartphone einbauen lässt, mit dem das Kind dann eine virtuelle Realität erkunden kann. Oder die „Nexo Knights“ von Lego, deren Schilde mit einer App gescannt werden, um neue Superkräfte für das dazugehörige Videospiel freizuschalten.
Allein auf dem deutschen Spielwarenmarkt wurden nach Angaben von Statista im Jahr 2015 rund drei Milliarden Euro Umsatz gemacht. Ständig werden neue Produkte entwickelt; immer neue Ideen und Wow-Effekte für die Kinder müssen her. Was läge da näher, als mit der zunehmenden Digitalisierung der Gesellschaft die Spielzeugpalette in diese Richtung zu entwickeln?
Die meisten vernetzten Spielzeuge sind eher für ältere Kinder gedacht. Ab einem Alter von sieben oder acht Jahren gibt es bereits viele Spielzeuge und Apps, die darauf abzielen, dass das Kind ein eigenes Smartphone hat. Bei jüngeren Kindern sei das in Deutschland kaum der Fall, sagt Anne Esau, Sprecherin des Spielzeugkonzerns Mattel, der unter anderem Barbie und Fisher Price produziert. „Wir legen auch viel Wert auf das klassische Spiel“, sagt Esau. Es gebe viele Apps für Kleinkinder, die Eltern auf ihren Smartphones installieren, um es kurzzeitig dem Kind zu überlassen – beispielsweise, um es während der Wartezeit beim Arzt abzulenken. In den USA sei das allerdings eine ganz andere Geschichte: Dort hätten schon viel mehr kleine Kinder ein Smartphone, und entsprechend anders sei der Spielzeugmarkt aufgebaut.
Die interaktive Puppe „My friend Cayla“ wird für Kinder ab vier Jahren empfohlen. Es gibt sie in Deutschland unter anderem bei Karstadt zu kaufen. Entwickelt wurde sie von der US-Firma Toy-Quest. In den USA hat Cayla mit „Hello Barbie“ noch eine wesentlich populärere Schwester. Die sprechende Barbie ist in Deutschland nicht verfügbar. Wohl aufgrund ihrer Bekanntheit sorgte sie aber international für Protest bei Datenschützern und Eltern. Die Kritik ist dieselbe wie bei Cayla: Die Privatsphäre des Kindes und der ganzen Familie werde durch die Sprachaufzeichnung verletzt. Von der „Abhörpuppe“ und dem „Spion im Kinderzimmer“ war auch in deutschen Medien die Rede.
Vor allem die Tatsache, dass die Spielzeugfirmen Audio-Transkripte an Dritte weiterleiten, beunruhigt die Kritiker. Ähnliche Einwände gibt es auch für andere vernetzte Spielzeuge wie den App-gesteuerten Roboter „Sphero BB-8“. Er wurde von der Stiftung Warentest als „zu neugierig“ bezeichnet, da er Informationen abfragt, die für die Funktion der App eigentlich unwichtig sind – wie das Alter und die E-Mail-Adresse des Nutzers.
Bei „My friend Cayla“ sorgt eine Liste mit unangemessenen Worten dafür, dass Kinder mit der Puppe jugendfrei im Internet unterwegs sind. Fragt man Cayla nach einem gesperrten Begriff, gibt sie keine Auskunft. Allerdings werden durch die Nutzung der Puppe viele Daten übertragen. Der Hersteller ToyQuest beteuert auf Nachfrage, es würden keine persönlichen Daten der Kinder übertragen.
Unstrittig ist jedoch, dass Caylas Sprachaufzeichnungen und die sogenannten Log Files, in denen beispielsweise Uhrzeiten und IP-Adressen gespeichert sind, weitergeleitet werden. Sie gehen an zwei Firmen, deren Software die Puppe nutzt: Nuance Communications in den USA (für iOS-Handys) und die Amazon-Tochterfirma Ivona in Polen (für Android). Das diene der Verbesserung des Produktes, teilt die Vertriebsfirma Vivid Deutschland in ihrer Datenschutzerklärung mit. Auch Kontakte aus dem Adressbuch des Geräts würden gegebenenfalls verarbeitet. Zu der Dauer der Datenspeicherung macht das Unternehmen keine genaueren Angaben. Für mehr Informationen verweist Vivid lediglich auf die Webseiten von Nuance und Ivona, die auf Englisch verfasst sind. Dort schreibt Nuance beispielsweise, es dürfe gesammelte Informationen grundsätzlich auch für Marketingzwecke nutzen.
Paradox ist zudem, dass das US-Unternehmen ausdrücklich formuliert, seine Produkte seien nicht für Kinder unter 18 Jahren gedacht. Nuance versichert, es werde Daten von Kindern unter 13 Jahren sofort löschen, wenn es davon Kenntnis erhält. Toy-Quest und Vivid Deutschland gaben dazu auf Nachfrage keine Stellungnahme ab.
Das Misstrauen gegenüber vernetzten Spielzeugen bezieht sich vor allem auf die Tatsache, dass niemand kontrollieren kann, wo die gesammelten Daten am Ende landen. So zeigt ein Hackerangriff im November 2015 auf die Lernspielzeugfirma V-Tech, dass die Daten von Kindern und Familien eine wertvolle Ressource sind. Bei dem Angriff wurden auch Informationen von rund 900 000 Profilen von Eltern und Kindern aus Deutschland gestohlen. V-Tech sprach anschließend von einem „kriminellen und gut geplanten Akt“.
Auch die Bundestagsfraktion der Grünen hat zu diesem Thema im März eine Anfrage an die Bundesregierung gestellt. Deren Antwort bestätigt jedoch nur das Problem: Kinder seien besonders schutzbedürftige Verbraucher, heißt es darin. Vernetztes Spielzeug gefährde das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Für den europäischen Markt müssten die Anbieter sicherstellen, dass persönliche Daten und die Privatsphäre der Nutzer geschützt werden.
Die Bundesregierung engagiert sich vor allem in Sachen Aufklärung – mit dem Info-Portal „Marktwächter Digitale Welt“, der Initiative „Deutschland sicher im Netz“ oder dem Erziehungsratgeber „Schau hin! Was Dein Kind mit Medien macht“.
Zu überwachen, ob die Datenschutzgesetze eingehalten werden, ist Aufgabe der Datenschutzbeauftragten der Länder. In Bremen kommt diese Aufgabe Imke Sommer zu. Bei ihr hätten sich allerdings noch keine Verbraucher wegen smarter Kinderspielzeuge beschwert, sagt sie. Grundsätzlich halte sie dieses Spielzeug aber für rechtlich extrem fragwürdig: „Ich sehe kaum eine Möglichkeit, mit welchem legitimen Interesse man eine solche Datenübertragung rechtfertigen könnte.“
Fest steht: Formal verwendet kein vernetztes Spielzeug Daten ohne die Einwilligung der Eltern. Diese ist nach dem Gesetz zwingend notwendig. Bei „My friend Cayla“ muss für die Einwilligung bei der Installation der App ein Kästchen in der Datenschutzerklärung angeklickt werden – damit ist der Anbieter rechtlich gut abgesichert. Er kann beweisen, dass er seine Kunden informiert hat. Eltern haben es also in der Hand, die Datenschutzerklärungen zu lesen und zu entscheiden, ob ihr Kind ein solches Spielzeug nutzen soll. Cayla ist nach Angaben von Vivid Deutschland inzwischen übrigens ein auslaufendes Produkt. Der Spielzeugmarkt verändere sich einfach sehr schnell, sagte eine Sprecherin.
Die nächste Generation der smarten Spielzeuge steht schon bereit.