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Übernahme durch Musk Wie ein Medienexperte die Twitter-Entwicklung beurteilt

Seit Elon Musk Twitter übernommen hat, hagelt es Negativschlagzeilen. Top-Manager wurden gefeuert, darunter Menschen, die Hatespeech bekämpften. Medienexperte Cornelius Puschmann bewertet die Entwicklung
10.11.2022, 05:00 Uhr
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Von Sophia Allenstein

Herr Puschmann, ist es problematisch für den öffentlichen Diskurs, wenn ein Milliardär sich ein eigenes Social-Media-Unternehmen kauft?

Cornelius Puschmann: Dass Elon Musk ein Autobauer gehört, ist eine Sache. Aber dass ihm jetzt ein Unternehmen, was für den öffentlichen Diskurs wichtig ist, gehört, birgt Gefahren. So ein Unternehmen sollte wahrscheinlich nicht einfach einer einzelnen Person gehören.

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Nutzer und Politiker machen sich Sorgen, dass Twitter lauter und gefährlicher werden könnte. Elon Musk kündigte bereits an, das gesperrte Konto von Donald Trump wieder freizugegeben. Ist die Angst vor extremen Inhalten berechtigt?

Das ist eine absolut berechtigte Sorge. Es ist schwer abzuschätzen, was Elon Musk jetzt macht. Und er kann jetzt Entscheidungen im Alleingang treffen. Auf der anderen Seite: Twitter ist kein unregulierter Raum mehr. Wenn Musk beschließt, Hatespeech nicht mehr zu verfolgen, wird er von der EU überzogen von Strafen. Das Zeitalter, wo man alles erlauben konnte unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit, das ist vorbei. Das können sich nur noch kleine Plattformen erlauben.

Der Übernahme-Tweet von Musk war provokant. "Der Vogel ist frei": Das klang, als wollte Musk der Welt mitteilen, dass auf Twitter jetzt alles nach seinen Regeln läuft.

Vielleicht will er die App auch verbessern, neue Funktionen einfügen, Twitter ökonomisch erfolgreicher machen. Es gibt die Idee, aus Twitter eine Super-App nach asiatischem Vorbild zu machen – wie Wechat.

Welche neuen Funktionen wären denkbar?

Apps wie WeChat sind nicht nur Messenger, sondern haben auch eine Bezahlfunktion. Und Twitter könnte mehr auf Video setzen. Es gab ja mal Vine, eine Kurzvideoapplikation von Twitter, die an TikTok angelehnt war. Ich könnte mir vorstellen, dass man den Versuch unternimmt, Twitter von diesem relativ unveränderten Format, das es schon immer war, neu aufzustellen. Musk wird Twitter wegen der Nutzerbasis gekauft haben. Nicht, weil er die App so toll findet.

Twitter ist unter den sozialen Netzwerken eine besondere Plattform. Viele Journalisten und Politiker sind dort unterwegs, die Nutzer haben einen vergleichsweisen hohen Bildungsstand. War Twitter auch deswegen interessant für eine Übernahme?

Ich weiß nicht, ob das so ist – oder ob diese spezielle Zielgruppe von Twitter auch das Wachstum hemmt. Twitter ist eben keine Plattform, die stark wächst, sich an jüngere Zielgruppen richtet oder einfach nur unterhaltsam ist. Es gibt Plattformen, wo man sagen kann: Ein werbefinanziertes Geschäftsmodell und das, was auf der Plattform passiert, ist kompatibel miteinander. Vielleicht ist beides bei Twitter weniger kompatibel.

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Manche Soziologen sagen, Social Media sei mittlerweile eine Art fünfte Staatsgewalt, bei all dem Einfluss, die die Plattformen besitzen. Brauchen wir mehr Reglementierung, wer so einen Konzern kaufen darf?

Ich bin kein Experte für Wettbewerb, aber ich glaube, dass in der EU eine solche Übernahme nicht möglich gewesen wäre. Die Frage ist: Wie reguliert man soziale Medien, was erlaubt und verbietet man? Und uns fehlt ein alternatives Modell. Wir haben noch nichts anderes entwickelt, was diesem Silicon-Valley-Modell wirklich gegenübersteht. Wir können und wollen uns Twitter nicht als etwas Öffentlich-rechtliches vorstellen. Aber eine Art von Modell, das Hatespeech vom Diskurs fernhält und trotzdem nicht profitorientiert ist, wäre wünschenswert. Wir wollen den Diskurs als Gesellschaft, aber es ist Quark, dass dieser auf einer Social Media Plattform stattfindet, die auf zweistellige Wachstumszahlen setzt und der es egal ist, wie sehr sie den öffentlichen Diskurs unterstützt.

Mit den ganzen Veränderungen, die jetzt gerade passieren, was wäre Ihre Empfehlung: Sollte man auf Twitter bleiben?

Ich habe Twitter noch nicht gelöscht und würde anderen raten, abzuwarten. Im Moment gibt es nur Prognosen. Wenn man das Gefühl hat, es hat sich etwas verändert, und das zum Negativen, sollte man sich überlegen, ob man auf der Plattform bleibt.

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Angenommen, man kehrt Twitter den Rücken zu. Welche Alternativen existieren?

Momentan wird viel über Mastodon geredet. Ich habe keine Erfahrung aus erster Hand. Aber das Modell ist dezentralisiert aufgebaut, und dadurch möglicherweise weniger anfällig für Desinformation und Hatespeech.

Das Gespräch führte Sophia Allenstein.

Zur Person

Cornelius Puschmann lehrt an der Universität Bremen als Professor der Medien- und Kommunikationswissenschaften mit dem Schwerpunkt "Digitale Kommunikation". 2014 war er an der Herausgabe eines Buches über Twitter beteiligt und forscht unter anderem über Hatespeech, Algorithmen und digitaler Mediennutzung.

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