Herr Poddig, was soll der digitale Euro sein? Wird er eine Art Kryptowährung der Europäischen Zentralbank (EZB)?
Thorsten Poddig: Das müsste ich jetzt ziemlich umfassend erläutern. Der Punkt ist, dass in der Öffentlichkeit leider ein ziemliches Missverständnis über das Wesen und die Eigenschaften von Kryptowährungen herrscht. Wenn man verstanden hat, was eine Kryptowährung ist, versteht man auch, warum der digitale Euro das eben nicht sein wird.
Was ist denn eine Kryptowährung?
Wenn wir als Ökonom von einer Währung sprechen, dann meinen wir damit Dinge, die dem allgemeinen Zahlungsverkehr dienen, mit denen man allgemein Güter und Dienstleistungen erwerben und bezahlen kann. Gleichzeitig dient eine Währung als Wertaufbewahrungsmittel und ist ein gesetzliches Zahlungsmittel. Die Allgemeinheit versteht unter Kryptowährungen vermutlich letzten Endes alles, was als digitaler Vermögensgegenstand im Internet auf Blockchain oder auf der Blockchain Technologie basierend gehandelt wird.

Thorsten Poddig ist Professor für allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Finanzwirtschaft an der Universität Bremen.
Die Allgemeinheit liegt also falsch?
Dieses Verständnis ist unzutreffend. Denn: Die meisten dieser so verstandenen Kryptowährungen sind digitale Vermögenswerte, die Ihnen Zugang oder Berechtigung zu bestimmten Formen von Dienstleistungen oder Beteiligungen an Projekten gewähren. Also, dass Sie zum Beispiel Daten auf einem verteilten Computernetzwerk speichern können oder Zugang zu einer Spieleplattform haben. Diese digitalen Vermögenswerte sollte man besser Tokens nennen. Nur wenige Kryptowährungen sind Währungen im ökonomischen Sinn, wie zum Beispiel der Bitcoin. Damit kann man tatsächlich Waren und Dienstleistungen bezahlen und er dient auch als Wertaufbewahrungsmittel.
Wie unterscheidet sich der digitale Euro von diesen Kryptowährungen im engeren Sinn wie dem Bitcoin?
Der digitale Euro unterscheidet sich in drei essenziellen Punkten von dem, was wir Ökonomen als Kryptowährung im engeren Sinne bezeichnen. Zum einen wird er einer staatlich-institutionellen Kontrolle unterliegen, nämlich der der EZB. Kryptowährungen basieren auf privaten Peer-to-Peer-Netzwerken, also auf untereinander vernetzten Computern im Internet, die keiner institutionalisierten Kontrolle unterliegen. Außerdem sind Kryptowährungen durch nichts abgesichert. Sie sind nur deshalb etwas wert, weil Menschen Vertrauen in sie haben. Beim digitalen Euro ist das anders. Wie schon gesagt, wird der von der EZB ausgegeben – wie der analoge Euro auch. Das Geld der Zentralbanken ist durch Vermögenswerte unterlegt und damit abgesichert. Früher waren das vor allem Goldvorräte, heute auch Staatsanleihen.
Das waren jetzt zwei Unterschiede. Was ist der Dritte?
Der dritte Unterschied besteht darin, dass der Euro – ob digital oder nicht – ein gesetzliches Zahlungsmittel ist. Das bedeutet, dass Gläubiger dazu verpflichtet sind, den Euro zur Schuldentilgung anzunehmen. Möchte ich meine Schulden in Bitcoins begleichen, muss mein Gläubiger das aber nicht annehmen.
Wozu soll der digitale Euro gut sein? Es gibt ja mittlerweile auch andere Zahlungsdienstleister, mit denen man bequem im Internet zahlen kann…
Das ist genau der Punkt: Aus der Sicht der Verbraucher sind die Unterschiede, die wir gerade herausgearbeitet haben, gar nicht so relevant, solange das Bezahlen online funktioniert. Für Staaten ist es schwierig, wenn Kryptowährungen – die an den Zentralbanken vorbei agieren – immer mehr an Bedeutung im allgemeinen Zahlungsverkehr gewinnen. Das bietet Chancen und Möglichkeiten für kriminelle Machenschaften wie zum Beispiel Geldwäsche. Man möchte mit dem digitalen Euro also den Kontrollverlust über den Zahlungsverkehr entgegenwirken, kriminelle Machenschaften – wie Geldwäsche – eindämmen und sich vielleicht auch ein bisschen das Geschäft, das man bisher an amerikanische Zahlungsdienstleister verloren hat, zurückerobern.
Was bedeutet der digitale Euro für das Bargeld? Wird das in Zukunft verschwinden?
Ich glaube, das Bargeld wird sicherlich in 50 Jahren verschwunden sein, aber sicherlich nicht im Laufe der nächsten zehn Jahre. Ökonomisch gesehen ist es so: Bargeld ist ein Schein, den man in der Hand halten kann, den man zerreißen, knicken und verbrennen kann. Der digitale Euro ist dann ein Eintrag auf einem Speicherplatz. Aber für Ökonomen sind beide gleich. Letzten Endes handelt es sich um eine Schuld der Notenbank Ihnen gegenüber, die sich eben digital oder physisch manifestiert.
Es gibt aber auch immer noch viele Verbraucher, die am Bargeld hängen.
Ich glaube auch nicht, dass das mit der Einführung des digitalen Euros sofort passieren wird. Die Vertreter der EZB betonen ja immer wieder, dass das Bargeld nicht abgeschafft werden soll. Trotzdem: Ich glaube, dass die Zukunft nicht mehr dem Bargeld gehört, weil es dann von vielen Menschen auch gar nicht mehr gewollt werden wird. Das wird aber erst allmählich passieren – nicht über Nacht.