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Essay Viel Stoff zum Nachdenken – oder: Über Mode

Oberflächlich ist sie, die Mode. Sagen die einen. Die anderen hingegen beschäftigen sich am liebsten nur mit ihr. Doch Mode findet nicht nur zwischen diesen beiden Polen statt. Ein Essay.
21.01.2024, 05:00 Uhr
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Von Ute Hellwege

Mode. Für einige ist das ein Reizwort. Oberflächlich soll sie sein, die Mode. Eitel und nur dazu gemacht, leichtgläubigen Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen. Am anderen Ende der Skala stehen die vier Buchstaben dagegen für das Lieblingsthema schlechthin. Weite Hosen, enge Röcke, Farben, Muster, Accessoires und wie sie getragen werden – ja was gibt‘s denn in jeder Saison eigentlich Schöneres und Spannenderes?  Für die allermeisten Menschen  liegt die Bedeutung der Mode sicher irgendwo zwischen diesen Polen. Auf die eine oder andere Art aber kommen wir ausnahmslos alle mit ihr in Berührung. Grund genug eigentlich, mal etwas genauer hinzusehen... 

Mode ist ein Wirtschaftsfaktor in Deutschland

Nicht nur hier, aber auch in Deutschland ist Mode ein ausgesprochen wichtiger Wirtschaftsfaktor. Die Mode- und Textilindustrie beschäftigt laut ihrem Gesamtverband  knapp 125.000 Frauen und Männer allein im Inland. Gemeinsam erwirtschaften sie einen Jahresumsatz von stolzen 29 Milliarden Euro und stellen somit die zweitgrößte Konsumgüterbranche (Autos ausgenommen) des Landes. Übertroffen wird das nur noch von der Nahrungsmittelindustrie.

Zwar musste die Branche in den Achtziger und Neunziger Jahren durch die Globalisierung herbe Rückschläge verkraften, inzwischen aber hat sie wieder Fahrt aufgenommen. „Die Mode“ sorgt also bei uns durchaus für gute und stabile Einkommen und sollte entsprechend respektiert und nicht unterschätzt werden. Selbst Leuten, die ganz woanders arbeiten, hat sie in den letzten Jahren respektable Summen beschert. Mit Aktien von deutschen Modeunternehmen wie zum Beispiel Adidas und Hugo Boss ließ sich gut Geld verdienen. Müßig zu erwähnen, dass dies keine Anlageberatung darstellt.

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Es mag eine Phrase sein, stimmt aber trotzdem: Wo Licht ist, ist auch Schatten. Geschätzt zwischen acht und zehn Prozent der CO2-Emissionen weltweit werden derzeit von der Mode- und Textilindustrie verursacht. Allein zwischen 2000 und 2015 hat sich die Produktion von Kleidungsstücken verdoppelt. Ursache dafür war die Nachfrage nach immer neuen, immer billigeren Teilen. Die sogenannte Fast Fashion trat ihren Siegeszug an und führte in der Spitze sogar dazu, dass weniger gewaschen wurde. Stattdessen wurden am Freitag ein paar Teilchen super billig eingekauft, am Wochenende getragen und am Montag fortgeworfen. In der Woche drauf dann das gleiche Spielchen. Die Sachen kosteten ja schließlich kaum was, oder? Natürlich kosten sie was, aber gezahlt wurde und wird der Preis woanders.

In Entwicklungsländern etwa, in denen man für Hungerlöhne zuschneidet und näht und keinerlei Arbeitnehmerrechte hat. Doch weit über diesen ganz direkten Zusammenhang hinaus fordert der Modewahn „Fast Fashion“ in der ganzen Welt Tribut. Denn die permanente Produktion im Niedrigpreissegment führt beispielsweise zu einem enormen Verbrauch an Ackerflächen, an Chemikalien und an Wasser. Für die Herstellung eines simplen T-Shirts werden schätzungsweise 2700 Liter benötigt. Die enormen Wassermengen fehlen anderswo, führen zu Missernten und Krankheiten. Ein Karussell, das sich immer schneller dreht und bei dem einem wirklich übel werden kann.

Umdenken zu mehr Nachhaltigkeit

So weit die schlechten Nachrichten. Die gute Nachricht: Es hat ein Umdenken eingesetzt. Und: Jede(r) einzelne kann tatsächlich und ganz konkret etwas tun, damit die Lage besser wird. Zum Beispiel einfach weniger Kleidungsstücke kaufen. Zum Beispiel darauf achten, dass die Artikel aus Naturstoffen sind (bei der Herstellung von Kunstfasern wird nämlich sehr viel Öl verwendet). Und ja, auch auf Umwelt-Zertifikate achten, die eine nachhaltige Produktion ausweisen.

Denn nicht nur die Kundschaft denkt um und fragt zunehmend  sauber produzierte Kleidung nach, auch die Unternehmen stellen sich ihrer Verantwortung. Natürlich kann und muss noch viel mehr geschehen. Aber ein Anfang ist immerhin gemacht. Wer sich heute nachhaltig kleiden möchte, der kann das auch. Das Angebot wird zunehmend größer, und zwar in allen Preisklassen. Das fängt beim selbst gestrickten Schal an und führt bis weit in die internationalen Luxusmarken hinein. Ein Kaschmirpullover „made in Italy“ ist zweifelsohne teuer, aber eben auch nachhaltig.

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Mode ist mehr als nur die individuelle Art, den eigenen Körper zu bekleiden. Sie ist immer auch Ausdruck einer Epoche, einer Region und ihrer jeweiligen Gesellschaft. Mode spiegelt ebenso Moralvorstellungen und Ehrenkodexe wider wie technische Möglichkeiten. Unvorstellbar etwa für eine Dame der Oberschicht im frühen viktorianischen England, Bein zu zeigen. How scandalous! Selbstverständlich waren die Kleider der Ladys auch aus deutlich feineren Stoffen als die der Mägde und Dienstmädchen gefertigt.  In der Bel Etage trug man damals knisternde Seide, in den Gesindekammern mussten derbe Wolle und grobes Leinen reichen. Wie viel Haut gezeigt werden durfte, welche Körperpartien betont werden sollten, das alles unterliegt bis heute dem Zeitgeschmack, der fast immer mit politischen und oft auch künstlerischen sowie technischen Entwicklungen gekoppelt ist.

Mode wandelt sich langsam – und manchmal schnell

Neue Materialien und  Werkzeuge erlauben neue Schnittführungen, fließende Stoffe lösen steife ab und ermöglichen damit veränderte Silhouetten und letztlich Betrachtungsweisen des Körpers. All das sind relativ langsame Entwicklungen, die sich oft in subtilen Schritten entfalten. Manchmal kommt ein großer Modewandel allerdings auch Knall auf Fall. So geschehen etwa 1932 , als Marlene Dietrich zu einer Filmpremiere eine Hose trug. Eine Hose! Als Frau! So etwas hatte die Welt bis dahin noch nicht gesehen. Die weichen, aus lässigem Wollstoff und streng an Männerhosen orientierten „Beinkleider“ der Dietrich machten sofort Furore und offenbarten damit ein tiefes Bedürfnis von Frauen, sich praktischer und geschlechtsneutraler kleiden zu können. Bis heute tragen Damenhosen, die ähnlich weit geschnitten sind, den Namen „Marlenehosen“. Übrigens, doch das wirklich nur am Rande, Marlenehosen haben derzeit gerade wieder modisch Hochsaison.  

So sehr Mode Spiegel der Gesellschaft und damit in gewissem Rahmen „gleichmacherisch“ ist, so sehr bietet sie gleichzeitig die Möglichkeit zur individuellen Abgrenzung. Zurück zu unseren viktorianischen Ladys:  Sie mussten sich alle in Korsetts quälen und selbst bei größter Hitze hochgeschlossene Kleider tragen, da biss keine Maus den Faden ab, Doch ob die Kleider nun hellgelb oder tiefdunkellila waren, bestickt oder mit Rüschen besetzt (oder beides), welchen Schmuck und welche Schuhe sie dazu trugen (von den Hüten ganz zu schweigen), all das unterschied die Damen letztlich doch gehörig. Dieses Prinzip hat es zu allen Zeiten in der Mode gegeben und es wird weiterleben. Wir können unsere Individualität mit der Bekleidung unseres Körpers unterstreichen, wir können sie aber auch verstecken. Mode macht beides möglich.

Vom missverständlichen Gebrauch des Wortes "Mode"

Egal, in welchen Medien davon die Rede ist, der Begriff „Mode“ wird nicht selten missverständlich benutzt. Wenn etwa die kommende Frühjahrsmode präsentiert wird, dann sind vielmehr die Trends für die neue Saison gemeint. Trends sind das, was an der Mode Spaß macht, was sich relativ schnell verändert, was sich Stimmungen und Meinungen flott anpasst. Verglichen damit ist die „Mode“ viel umfassender, ernster und vielschichtiger, auch langsamer und behäbiger in ihrer Entwicklung und Veränderung. So wie Dingis und Dickschiffe haben beide ihre Berechtigung.

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