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Dotzauer über Corona-Maßnahmen "Als Virologe muss man schon frustriert sein"

Andreas Dotzauer sieht in der Kombination aus wegfallenden Schutzmaßnahmen und ansteckenderen Corona-Virusvarianten eine fatale Kombination. Er empfiehlt auch draußen FFP2-Masken, wenn es eng wird.
11.07.2022, 05:00 Uhr
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Von Timo Thalmann

Die Zahl der Corona-Infektionen steigt. Wie sind die zahlreichen großen Freiluftveranstaltungen einzuschätzen? Diese Woche beginnt die Breminale, es gibt die Seebühne im Bremer Westen, am 20. Juli werden 35.000 Besucher zum ausverkauften Iron-Maiden-Konzert auf der Bürgerweide erwartet.

Andreas Dotzauer: Darüber muss man sich schon Sorgen machen. Wir gehen auf einem hohen Infektionsniveau in den Herbst, auch weil wir aktuell nahezu vollständig auf Schutzmaßnahmen verzichten. Dieser Verzicht und die aktuell deutlich ansteckenderen Virusvarianten sind eine fatale Kombination. Die Erfahrung aus der ersten Phase der Pandemie, dass Ansteckungen im Sommer unter freiem Himmel eher unwahrscheinlich sind, stimmt einfach nicht mehr. Die ansteckenderen Varianten heben das tendenziell geringere Risiko von Aktivitäten unter freiem Himmel auf.

Also besser keine Festivals besuchen?

Das muss derzeit jeder selbst wissen. Es ist ja möglich, sich mit einer FFP2-Maske zu schützen. Als Virologe wäre es meine pragmatische Empfehlung, die Maske stets dabei zu haben und aufzusetzen, wenn es eng wird, auch unter freiem Himmel. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, die flüchtige Begegnung im Vorbeigehen im Supermarkt ist unterm Strich weniger risikoreich, als der längere Aufenthalt in einer größeren Versammlung draußen. Ich selbst vermeide solche Veranstaltungen derzeit eher. Ich fühl mich dabei nicht sonderlich wohl.

Aber können Sie es Menschen verdenken, nach zwei Jahren Pandemie wieder so etwas wie soziales Leben haben zu wollen?

Nein, natürlich nicht, aber die Pandemie ist einfach noch nicht vorbei, auch wenn fast alle amtlichen Maßnahmen aufgehoben wurden. Das heißt jetzt nur, das Risiko einer Ansteckung muss individuell abgewogen werden. Und die verbreitete Erzählung, dass die Infektionen der aktuellen Varianten weniger gefährlich seien, kann im Einzelfall schlicht falsch sein. Jede Infektion bedeutet das Risiko auch langfristiger Folgeschäden. Ich kann deshalb nur dazu raten, die Ansteckung möglichst zu vermeiden. Sie ist für den Körper im Vergleich zur Impfung der steinigere Weg zu einer zumindest teilweisen Immunität.

Das klingt so, als ob sie mit der aktuellen Corona-Politik etwas hadern.

Als Virologe muss man schon frustriert sein. Seit zwei Jahren versuchen wir, die Folgen deutlich zu machen und warnen davor, Schutzmaßnahmen zu früh aufzuheben, aber es kümmert aktuell kaum noch jemanden. Die Konsequenzen sind abzusehen: Abgesehen von den derzeitigen individuellen Risiken steigt auch das systemische Risiko. Je mehr Infektionen es gibt, desto häufiger kann sich das Virus vermehren, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass immer wieder neue Mutationen entstehen. Niemand kann ausschließen, dass dabei Varianten auftauchen, die vermehrt für extrem schwere Verläufe sorgen.

Das Gespräch führte Timo Thalmann.

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Zur Person

Andreas Dotzauer

ist Virologe und Leiter des Laboratoriums für Virusforschung an der Universität Bremen.

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