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Gesundheit Ärztemangel mit Ansage

In der Theorie gibt es genug Ärzte in Achim und Umgebung. Dennoch nehmen viele Praxen keine neuen Patienten mehr auf. Eine Verbesserung der Lage ist nicht in Sicht – im Gegenteil.
03.05.2022, 08:00 Uhr
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Von Christine Glander

Im Prinzip gibt es mehr als genug Ärzte in Achim und Umgebung. So sieht es jedenfalls die Kassenärztliche Vereinigung. In der Praxis bekommen Kranke einen anderen Eindruck. Sie müssen lange auf einen Termin warten. Einige Praxen nehmen gar keine neuen Patienten mehr auf. Und wenn in einigen Jahren viele der alteingesessenen Ärzte in den Ruhestand gehen, dürfte sich die Situation noch verschlimmern.

"Zwei Minuten-Medizin nutzt ja auch nichts", sagt Hausärztin Dr. Karin Trotzki aus der Gemeinschaftspraxis Trotzki & Grünefeld in Achim-Uesen. "Deshalb können wir derzeit keine weiteren Patienten aufnehmen. Wir bitten alle, es einfach in ein paar Monaten noch einmal zu versuchen." Ähnlich klingen auch die Antworten auf Terminanfragen aus anderen Praxen. "Die Sprechstundenkapazitäten sind oberhalb der Belastungsgrenze", heißt es schon auf der Homepage der neuen Hautarztpraxis am Markt von Dr. Anette Baratay: "Bitte rufen Sie nicht aufgrund von Terminanfragen in der Praxis an." Lässt man sich davon nicht abschrecken, bekommt man die Auskunft: vier bis fünf Monate Wartezeit für einen Termin. Keine neuen Patienten nimmt die Praxis Dr. Brandt auf. "Wir schaffen es einfach nicht mehr", ist der Satz, der immer wieder fällt. Etwas besser sieht es beispielsweise in der Urologie bei Dr. Abu Bakr aus. "Sie würden bei uns einen Termin Mitte Mai bekommen", heißt es dort.

Geht es nach der Kassenärztlichen Vereinigung (KVN) in Verden, steht Achim ausgesprochen gut da. Zugrunde gelegt wird die Bedarfsplanung der niedersächsischen Zulassungsgebiete. Da gibt es viele Zahlen: 1637 Einwohner braucht es beispielsweise für die Zulassung eines Hausarztes, rund 46.000 für einen Urologen, 21.000 für einen Augenarzt und 41.800 für einen Hautarzt im Landkreis Verden. Eine einfache Rechnung am Beispiel der Hautärzte: Der Landkreis Verden hat 137.948 Einwohner, für eine 100-prozentige Versorgung zählen die eben genannten 41.800 Menschen und es gibt vier Hautärzte im Landkreis – das macht eine 121,3-prozentige Versorgung. Bei den Hausärzten sind es 95,3 Prozent. Und trotzdem ist in vielen Praxen kein Durchkommen.

Seit Jahren steigende Nachfrage

"In den vergangenen zwei Jahren haben unsere Ärzte eine erhebliche Zusatzleistung erbringen müssen", sagt Michael Schmitz von der Kassenärztlichen Vereinigung in Verden. "Die Regelversorgung hat unter Corona stark gelitten." Einen weiteren Aspekt für die starke Auslastung der Praxen führt Detlef Haffke von der KVN Hannover ins Feld: "Wir haben seit Jahren eine steigende Nachfrage in der Versorgung. Wo man sich früher auch mal mit einem Wadenwickel geholfen hat, geht man heute zum Arzt und lässt sich dort medizinisch beraten." Außerdem gäbe es andere Landkreise mit einer sehr viel schlechteren Versorgungslage und die Menschen dort müssten auch durchaus weitere Anfahrten in Kauf nehmen, um von einem Arzt behandelt zu werden.

Ganz andere Gründe sieht Karin Trotzki: "In den vergangenen Jahren haben in Achim mit Frau Dr. Heimrath-Haase, Frau Dr. Döbbling, Dr. Goldblüth, Dr. Neumann und Dr. Hammer fünf allgemeine Praxen ohne Nachfolger aufgegeben, diese Patienten müssen ja irgendwohin. Aber das ist es nicht allein: Die Menschen werden immer älter und damit haben wir auch mehr chronisch kranke Patienten, die häufiger in die Praxis kommen. Außerdem gibt es einen Zuzug nach Achim. Allein die Ansiedlung von Amazon beschert uns viele neue Patienten."

Trend zu Gemeinschaftspraxen

Bei der Suche nach neuen Ärzten wird die Kassenärztliche Vereinigung aktiv: "Unsere Aufgabe ist es, potenzielle Praxisinhaber zu beraten, wir bieten Existenzgründer-Seminare und schreiben die offenen Stellen aus. Aber es gibt einfach zu wenig Nachwuchs, und die meisten jungen Ärzte wollen nicht in ländlichen Regionen arbeiten. Der Trend geht zu großen Gemeinschaftspraxen", sagt Haffke. Dort seien das finanzielle Risiko und die Arbeitsbelastung auf mehrere Schultern verteilt.

Erstrebenswert sei so etwas auch in Achim, fordert auch Michael Schmitz. Es gebe großen Praxen, die durchaus noch einen weiteren Arzt aufnehmen könnten.  Dem widerspricht Dr. Trotzki: "Wir waren mit Dr. Hammer früher auch zu dritt. Aber nun haben wir uns in unserer Gemeinschaftspraxis neu gefunden und die Räume neu und sinnvoll aufgeteilt – es ist einfach kein Platz für einen weiteren Arzt." Auch der Bau einer größeren Praxis komme nicht in Frage. "Ich habe mich erkundigt – bei einem mir genannten Quadratmeterpreis von 3700 Euro würden wir bei einer Investition von über einer Million liegen. Das ist mir einfach zu riskant." Vielleicht, so ihre Hoffnung, könne sich die Stadt Achim engagieren. Die Räumlichkeiten müssten bezahlbar sein, dann gäbe es sicherlich auch einige Ärzte, die expandieren oder sich in großen Ärztezentren zusammenschließen würden.

Einen Ausweg sieht also zunächst weder die Kassenärztliche Vereinigung noch die Ärzteschaft, denn Abhilfe wird es auch in naher Zukunft nicht geben: "Es gibt leider nicht mehr Studienplätze, und die brauchen wir bei dem demografischen Wandel. Das ist auch langfristig ein Problem, denn die Ausbildung zum Mediziner dauert in der Regel zehn Jahre", sagt Michael Schmidt von der KVN. Trotz allem sei Achim im Vergleich zu anderen Kreisen sehr gut aufgestellt.

Patienten nehmen weite Wege in Kauf

In Walsrode zum Beispiel liegt die hausärztliche Versorgung – zieht man die Hausärzte über 63 Jahre ab – künftig möglicherweise bei nur 60,3 Prozent. Auch in Nienburg gibt es keinen Anlass zur Freude: Hier wird zum Beispiel ein Hautarzt altersbedingt seine Praxis ausgeben und ein Nachfolger ist nicht in Sicht. Dies belastet natürlich auch die Praxen in der Umgebung. In der Achimer Hautarztpraxis Dr. Brandt beobachtet man durchaus einen Patiententourismus, die Menschen nehmen weite Wege in Kauf, um zu einem Facharzt zu kommen. Wenn man keinen Termin direkt bei Arzt bekomme, könne man sich an den Terminservice der KVN unter der Telefonnummer 116117 wenden – hier würden nach einer Überweisung vom Hausarzt Termine zugewiesen, erklärt Michael Schmitz. Allerdings müsse man bis zu 50 Kilometer Anfahrt in Kauf nehmen.

Die KVN in Verden geht trotz allem von einer Entspannung der aktuellen Lage aus: Wenn Corona die Menschen nicht mehr so im Griff habe, komme es auch zu wieder zu einer besseren Regelversorgung. Und grundsätzlich sei es ja so, dass für eine Notversorgung immer gesorgt sei: "Notfälle müssen immer behandelt werden, auch wenn keine neuen Patienten mehr aufgenommen werden", sagt Schmitz.

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