Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu zehn Prozent aller Menschen nach einer Corona-Infektion drei Monate nach ihrer Erkrankung unter einem Post-Covid-Syndrom leiden. Weit verbreitet sind eine starke Müdigkeit und Erschöpfung in Form einer Fatique, kognitive Störungen, Kurzatmigkeit, Konzentrationsprobleme und Gelenkschmerzen. Sie beeinträchtigen die Leistungsfähigkeit und erschweren die Rückkehr in den Beruf. Auf dem Deutschen Kongress für Rehabilitationsforschung in Hannover diskutierten Experten in dieser Woche über die genauen Probleme der Patienten und bisherige Erfahrungen mit Therapien.
Das Reha-Zentrum Seehof der Deutschen Rentenversicherung im brandenburgischen Teltow hat bisher 200 Patienten betreut. Laut ärztlichem Direktor Volker Köllner treten bei ihnen häufig mehrere und ganz unterschiedliche Symptome wie Brustschmerzen, Herzrasen, Atemnot, Schlafstörungen, Kopfschmerzen und Riech- und Geruchsstörungen auf, die mit verschiedenen Ansätzen unter anderem aus den Bereichen der Atemtherapie, Psychotherapie sowie Sport- und Bewegungstherapie behandelt werden. Während der Rehabilitation verbesserte sich die körperliche Leistungsfähigkeit, so konnte zum Beispiel die in einer bestimmten Zeit zurückzulegende Gehstrecke deutlich gesteigert werden. Auch die Müdigkeit ließ nach. Allerdings wurde etwa die Hälfte der Patienten aus der Reha als arbeitsunfähig entlassen, vor allem wegen kognitiver Defizite. Dazu zählen schlechte Merkfähigkeit, Konzentrationsstörungen, Wortfindungsstörungen und das Gefühl der ständigen Reizüberflutung. „Das ist ein Riesenproblem. Wir brauchen mehr spezifische Nachsorge und mehr ambulante Programme“, sagt Köllner.
Mängel in der Nachsorge
Mercedes Rutsch, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie an der Uni Lübeck, hat die Daten von 215 Post-Covid-Patienten aus Reha-Kliniken in Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt untersucht. Sie waren im Durchschnitt 53 Jahre alt, 68 Prozent waren Frauen, die Reha dauerte vier Wochen. 13 Prozent aller Patienten schafften es nicht, innerhalb von einem Jahr nach ihrer Erkrankung in den Beruf zurückzukehren. Davon sind viele Menschen betroffen, die ihren Beruf als psychisch belastend erleben. Rutsch sieht Mängel bei der Nachsorge. „Oft gibt es nur ein Rezept für ein Symptom und andere Defizite werden vernachlässigt“, sagt Rutsch. Weniger als zwei Drittel der Befragten nahmen nach dem Reha-Aufenthalt Nachsorge in Anspruch, vor allem Reha-Sport, gefolgt von Physiotherapie und psychologischer Betreuung. Der langfristige Reha-Erfolg wird der Studie von Rutsch zufolge jeweils von rund einem Drittel der Befragten als sehr gut, gut, beziehungsweise zufriedenstellend beurteilt.
Laut einer Studie, an der die Jacobs University Bremen beteiligt war, vergeht zu viel Zeit, bevor Reha-Anträge eingereicht und genehmigt werden. Zudem würden Patienten oft nicht bedarfsgerecht versorgt, weil die Rehakliniken auf einen Schwerpunkt – Kardiologie, Pneumologie, Neurologie, Neuropsychologie – ausgerichtet seien und es an der Kombination der verschiedenen Fachtherapien fehle.
Jeder Fall ist anders
Noch kritischer blickt Claudia Ellert auf die bisherigen Erfahrungen bei der Behandlung von Post-Covid. Die Fachärztin für Allgemein- und Gefäßchirurgie und Autorin von „Long Covid – Wege zu neuer Stärke“ hat selber unter langanhaltenden Folgen ihrer Covid-19-Erkrankung zu leiden und engagiert sich bei Long Covid Deutschland. Diese Selbsthilfevereinigung hat gerade eine Umfrage unter 1500 Post-Covid-Patienten durchgeführt, die an einer Reha-Maßnahme teilgenommen haben. Ergebnis: 60 Prozent würden sie nicht wiederholen. Vier Wochen nach der Reha hat sich bei der Mehrheit nach eigener Einschätzung der Zustand verschlechtert. „Es gibt nicht den typischen Post-Covid-Patienten, sondern sehr unterschiedliche Subgruppen. Jeder Einzelfall muss genauer betrachtet werden, denn bei Patienten mit Belastungsintoleranz können körperliche Aktivitäten und Sport den Zustand verschlechtern“, sagt Ellert und fügt hinzu: „Nicht das Training am Gerät sollte zentraler Reha-Bestandteil sein, sondern es muss um das Selbstmanagement gehen. Dabei muss man die Betroffenen stärker bei der Suche nach Lösungen beteiligen.“
Sie fordert auch mehr Unterstützung im Alltag. Viele drängten aus Existenzangst zurück in den Beruf. „Betroffene trauen sich oft nicht, über ihre Einschränkungen bei der Arbeit zu sprechen. Das führt nicht selten zur Chronifizierung“, sagt Ellert. Wer einen Rentenantrag stelle, erlebe häufig Ablehnung: „Der Zugang zu Sozialleistungen ist ein Riesenproblem. Betroffene geraten so in existenzielle Notlagen.“
Martin Tegenthoff, Gutachter und ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Bergmannsheil Bochum der Berufsgenossenschaft, verteidigt dagegen die Praxis der Deutschen Rentenversicherung. Nach seiner Überzeugung hat ein „relevanter Anteil“ derjenigen, die einen Antrag auf Anerkennung von Berufskrankheiten stellen, keine Einschränkungen wegen des Post-Covid-Syndroms, sondern wegen psychischer Probleme: „In strittigen Fällen müssen die Sozialgerichte entscheiden.“