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Pandemie Was Experten zu Bedenken der Impfskeptiker sagen

Es gibt absurde Verschwörungstheorien zu Corona-Impfungen, es gibt aber auch weit verbreitete Vorbehalte, die nicht völlig falsch klingen. Sie sind es aber, sagen Experten.
17.09.2021, 05:51 Uhr
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Was Experten zu Bedenken der Impfskeptiker sagen
Von Timo Thalmann

Bundesweit sind mit Stand Mitte September rund 27,5 Millionen Menschen nicht gegen Corona geimpft. Etwas über neun Millionen davon sind jünger als zwölf Jahre und können sich regelhaft nicht impfen lassen. So verbleiben über 18 Millionen Einwohner, die durch die bisherige Impfkampagne nicht erreicht wurden. Das sind knapp 25 Prozent der 73,9 Millionen Menschen in Deutschland, für die eine Impfung möglich ist.

Wie viele davon durch Aufklärung oder auch zunehmende Einschränkungen in ihrem Alltag für eine Impfung gewonnen werden können, ist unklar. Die jüngste Erhebung des Robert Koch-Instituts zur grundsätzlichen Impfbereitschaft ergab, das sich etwa acht Prozent unter keinen Umständen vorstellen können, eine Corona-­Impfung wahrzunehmen. Telefonisch befragt wurde dafür eine Stichprobe von rund 1000 deutschsprachigen Einwohnern.

Abgesehen von absurd anmutenden Verschwörungstheorien über die Impfung als Tötungs- oder wahlweise Verfolgungsprogramm, sind es sechs häufig genannte Thesen, die zur Skepsis gegenüber der Impfung führen. Der WESER-KURIER hat vier Bremer Expertinnen und Experten gebeten, sich zu diesen Vorbehalten zu äußern.

Die Impfstoffe haben nur eine Notfallzulassung und sind nicht ausreichend getestet worden. Außerdem dauert es normalerweise viel länger, bis ein neuer Impfstoff entwickelt ist.

Der Virologe Andreas Dotzauer bezeichnet das schlicht als falsch. „In allen Phasen der Entwicklung wurden die Substanzen an mehreren Tausend Probanden unterschiedlichen Alters, Geschlechts und Ethnie sowie unterschiedlicher Vorerkrankungen getestet.“ Die Epidemiologin Ulrike Haug weist ebenso wie der Sprecher des Bremer Hausarztverbandes Mühlenfeld zusätzlich darauf hin, dass die Impfstoffe mittlerweile millionenfach angewendet wurden. Laut Jutta Dernedde, Leiterin des Bremer Impfzentrums, sind es bislang weltweit über drei Milliarden Impfungen an unterschiedlichsten Menschen und Altersgruppen. „Eine so breite Anwendungserfahrung gibt es nur für wenige andere Arzneimittel“, meint Haug.

Die Schnelligkeit, mit der die Corona-Impfstoffe im Vergleich zu vorherigen Impfstoffen bereitstanden, erklärt Dotzauer mit entscheidenden Sonderfaktoren. Erstens habe es bereits früheres Forschungswissen zu Coronaviren gegeben, sodass die Entwicklung nicht bei null beginnen musste. Zum Zweiten standen Forschungsgelder und Testpersonen schnell und in ausreichendem Maße zur Verfügung. „Zudem konnten Testphasen parallel durchgeführt werden und zugleich haben die Behörden ihre Prüfungen bereits während dieser Testphasen vorgenommen und nicht erst, nach dem alle Daten von nacheinander durchgeführten klinischen Studien vorlagen.“

Die Impfstoffe verändern die Gene und schleusen Genmaterial in meinen Körper.

Hier wird die dauerhaft gespeicherte genetische Information in der DNA mit der Funktion der RNA als vergängliches Transportmittel für diese Information verwechselt. Mit diesem Botenstoff übermitteln die Impfstoffe die Bauanleitung für das Spike-Protein des Corona-Virus an den Körper. So lernt das Immunsystem den Teil des Virus kennen, mit dem es den Körper angreift und entwickelt Abwehrmechanismen, bevor es dem Virus tatsächlich begegnet. „Die Boten-RNA wird nach Auslesen des Bauplans von den Körperzellen abgebaut und nicht in die Gene eingeschleust und hat auch keinen Einfluss auf das Genmaterial“, erläutert Dernedde.

„Das Prinzip der Impfung ist eigentlich ziemlich nah an der Natur dran“, sagt Haug. Denn jedes Virus – egal ob Erkältungs-, Magen-Darm- oder eben Coronavirus – schleuse entweder DNA oder RNA in die menschlichen Zellen ein, um die dort vorhanden Strukturen zur eigenen Vermehrung zu nutzen. Bislang gab es nur keine Impfstoffe, die dieses Prinzip nutzen konnten. „Auf einen klassischen Totimpfstoff zu warten, weil dieser ein älteres Prinzip nutzt, erscheint aber nicht ratsam“, sagt Haug. Es werde dauern, bis Totimpfstoffe gegen Corona in der großen Breite erprobt sind. Für die jetzt verfügbaren Corona-Impfstoffe hat man dagegen einen deutlichen Erfahrungsvorsprung.

Die Impfung greift in den Hormonhaushalt ein und macht unfruchtbar.

Wo die Wissenschaftler diese Aussage höflich aber bestimmt zurückweisen, wird Hausarzt Mühlenfeld deutlicher „Völliger Quatsch“, sagt der Mediziner. Dotzauer bietet eine Erklärung an, woher die These stammt: Bei einigen Impfkampagnen in Afrika gegen Polio und Tetanus kam das Gerücht auf, den Impfstoffen seien Mittel zur Geburtenkontrolle zugesetzt worden. Diese falsche Befürchtung habe sich dann zu der Falschaussage verselbstständigt, Impfungen würden unfruchtbar machen. Widerlegt wurde sie vom ersten Moment an: Bereits während der Zulassungsstudie für Biontech sind 23 Teilnehmerinnen schwanger geworden. Davon waren zwölf geimpft, elf waren in der Placebogruppe. Inzwischen sind weltweit Hunderttausende von Schwangerschaften von bereits geimpften Frauen dokumentiert. Dernedde macht zudem auf Studien aufmerksam, die zeigen, dass die Impfung auch bei Männern keine Auswirkungen auf Spermienzahl oder -qualität und damit auf die Fruchtbarkeit hat.

Langzeit- und Spätfolgen der Impfung können nach so kurzer Zeit noch gar nicht vollständig bekannt sein.

Weil sehr seltene und unbekannte Nebenwirkungen grundsätzlich erst sicher dokumentiert werden können, wenn bereits einige Millionen Impfdosen verabreicht wurden, dauert es bei manchen weniger häufig verwendeten Impfstoffen einige Jahre, bis man etwas darüber weiß. Das sind dann aber keine Spät- oder Langzeitfolgen, sondern Folgen, über die man erst spät etwas erfahren hat.

Laut Dotzauer zeigen sich unerwünschte Folgen einer Impfung in der Regel  innerhalb von acht Wochen nach dem Pieks. Nach millionenfachen Corona-Impfungen in kurzer Zeit sind diese seltenen Nebenwirkungen jetzt vergleichsweise schnell bekannt geworden. Das ändert laut Dotzauer aber nichts daran, dass alle Nebenwirkungen, die über übliche Impfreaktion hinausgehen, eben sehr selten sind. Dazu zählen in erster Linie Thrombosen und Entzündungen des Herzens. „Sie treten aber kurzzeitig auf und können gut behandelt werden.“

Dernedde weist darauf hin, das in Deutschland die Impfstoffe weiter durch das Paul-­Ehrlich-Institut überwacht werden, sodass laufend wissenschaftliche Erkenntnisse über Langzeitwirkungen und die sehr seltenen Nebenwirkungen gesammelt und veröffentlicht werden. Haug macht sich demgegenüber viel mehr Sorgen über Spät- und Langzeitfolgen der Erkrankung. „Das Virus greift an verschiedensten Stellen im Körper an und selbst bei milden Verläufen kommt es erschreckend häufig zu Spätfolgen“, stellt die Epidemiologin fest. Laut Dotzauer betrifft das über zehn Prozent der Erkrankten.

Das Risiko von Corona wird überschätzt. Mein Immunsystem wird damit fertig.

Mühlenfeld hält das für eine mutige Aussage. „Das mag stimmen, aber vielleicht auch nicht.“ Und auch Haug betont, dass sich anhand der allgemeinen Infektanfälligkeit eines Menschen nicht vorhersagen lässt, wie derjenige im Falle einer Corona-Infektion reagiert. „Es gibt in allen Altersgruppen schwere Verläufe.“

Laut Dernedde ist der Anteil jüngerer Patienten auf den Intensivstationen inzwischen deutlich gestiegen. „Die Altersgruppe der 40-bis 49-jährigen ist aktuell so groß wie die Gruppe der 70- bis 79-jährigen und macht gut 16 Prozent aus.“ Bei den 30- bis 39-jährigen liege sie noch bei acht Prozent.

Dotzauer verweist darauf, das selbst ein bestens funktionierendes Immunsystem etwa zwei bis drei Wochen benötigt, bis die Abwehrreaktionen vollständig greifen. „In dieser Zeit vermehren sich die hoch infektiösen Viren, verteilen sich auf mehrere Organe und werden auf andere Personen übertragen.“ Durch die   Entzündungsreaktionen komme es zu Mikrovernarbungen in vielen Geweben, die zeitweise oder auch langfristig zu Funktionseinbußen in den betroffenen Organen führten, wie zum Beispiel Kurzatmigkeit.

Die Impfung schützt gar nicht, denn auch Geimpfte erkranken und übertragen die Krankheit.

Tatsächlich ist es laut Dotzauer möglich, dass die Antikörper, die durch die Impfung gebildet wurden, im Einzelfall nicht ausreichen, um alle eingedrungenen Viren abzufangen. Dann kommt es trotz Impfung zur Infektion, weil die Viren es schaffen, sich im Körper zu vermehren. Aber auch in diesem Fall werden sie vom Immunsystem schneller und effektiver bekämpft als ohne Impfung. „Eine geimpfte Person wird daher nur wenige Viren ausscheiden, ist also weniger ansteckend, und nur relativ wenigen Viren gelingt es, sich im Körper auszubreiten“, sagt Dotzauer. Der mögliche Schaden bleibt gering, die Symptome sind milder.

„Dass man sich nicht impfen lässt, weil der Impfschutz nicht bei 100 Prozent liegt, und dafür in Kauf nimmt, dass man sich über kurz oder lang mit dem Virus infizieren wird, kann ich nicht nachvollziehen“, sagt Haug. Die Risiken der Infektion mit dem Coronavirus seien bekannt. Sie überwiegen die Risiko der Impfung deutlich.

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