Der rote Teppich wird nicht ausgerollt. Gleichwohl können sich die Besucher im Norden der belgischen Hauptstadt Brüssel für wenige Wochen im Jahr im wahrsten Sinne des Wortes königlich fühlen. So auch vom 18. April bis 11. Mai, wenn die imposanten Königlichen Gewächshäuser im Schlosspark von Laeken wieder für die Öffentlichkeit zugänglich sind. In der übrigen Zeit des Jahres ist der Besuch der gläsernen Stadt, wie das architektonische Meisterwerk mit der großartigen Pflanzenwelt im Innern liebevoll genannt wird, ausschließlich der belgischen Königsfamilie vorbehalten.
Im Dienste Ihrer Majestät
„Die Königin gießt nie die Pflanzen“, verrät Gärtner Romain mit zurückhaltender Höflichkeit und hüpft dabei nervös hin und her. Vermutlich ist sich der Mittvierziger in der markanten grünen Arbeitskleidung nicht sicher, ob er mit diesem Geständnis so etwas wie Hochverrat an Königin Paola begangen hat. Schließlich steht der Gärtner zusammen mit seinen 15 Kollegen im Dienste Ihrer Majestät. Nein, mehr wolle er nicht über die First Lady Belgiens erzählen, ergänzt Romain leicht verlegen. Und außerdem könne er wirklich nicht sagen, ob die Königsfamilie über den sprichwörtlichen Grünen Daumen verfüge oder sogar mit den Blumen sprechen würde.

Kongo-Gewächshaus in den Königlichen Gewächshäusern im Schlosspark von Laeken.
Doch auch unabhängig davon, ob die obersten Repräsentanten des kleinen Königreichs in den Gärten selbst Hand anlegen, gedeiht unter den mächtigen Kuppeln der Glaspaläste eine schier unglaubliche Vielfalt: Mehr als 60.000 Pflanzen sind, so das nüchterne Zahlenwerk, in den 14.000 Quadratmetern der Königlichen Gewächshäuser zu finden. Galerien verbinden die Pavillons wie die überdachten Wege eines Einkaufszentrums. Durch die gut 170.000 Glasscheiben dringt Tageslicht und verströmt mit dem ersten Aufglimmen der Sonne eine wohlige Wärme.
Stahlträger mit Patina
Zusammengehalten wird die fragile Konstruktion, die König Leopold II. zwischen 1874 und 1894 nach Plänen seines Hofarchitekten Alphonse Balat errichten ließ, durch Gusseisen und Stahl. Viele der in Grün gehaltenen Stahlträger haben im Laufe der Jahrzehnte Patina angesetzt, andere sind eng von Pflanzen und Blättern umschlungen. Einige Fenster verdienen eher die Bezeichnung Mattscheibe.
„Jeden Tag werden hier ungefähr 200 Fenster geputzt“, gibt Romain einen Einblick in die aufwendigen und kostspieligen Unterhaltungsarbeiten. „Und der Glaser wird auch nie arbeitslos“, verweist er mit einem Lächeln auf die Tatsache, dass mehrere Hundert Scheiben im Laufe eines Jahres zu Bruch gehen. Er selbst verbringt einen wesentlichen Teil seiner Arbeitszeit mit einer überaus spritzigen Tätigkeit: Denn das Meer an Pflanzen wird mithilfe von Schläuchen täglich mit bis zu 50.000 Litern Wasser versorgt. Besondere Blickfänge bilden die beiden Geranien-Galerien.

Embarcadere in den Königlichen Gewächshäusern im Schlosspark von Laeken
Meterhoch sprießen an beiden Seiten der langen Schläuche die Blumen mit ihren rosafarbenen, roten und weißen Blütenblättern, während von der Decke Fuchsien herabhängen. Nur das Summen der Bienen und das Zwitschern der Vögel, denen durch die Glasscheiben der Zutritt verwehrt bleibt, fehlen dort zu einer perfekten Frühlingskulisse.
Einen ganz anderen Charakter weist die unterirdische Galerie auf. Die Wände sind mit einem ungewöhnlichen grünen Teppich bespannt, der sich bei genauerem Hinsehen als Ficus Pumilia, als kriechender Feigenbaum, erweist. Aufgelockert wird das Gangsystem durch ein Palmen-, ein Azaleen- und ein Narzissenhaus. Dazwischen finden sich immer wieder Besonderheiten wie ein Zimtbaum oder philippinische Medinillen mit üppigen rosafarbenen Blüten.
Betörender Duft
Derweil verströmen die zum Teil mehr als 200 Jahre alten Zitrusbäume in der Orangerie eine aromatische Frische. Auch Rhododendren aus dem Himalaja, Zimmerlinden, Oleander und steinalte Lorbeerbäume wachsen dort. Im quadratischen Kongo-Gewächshaus und dem Wintergarten strecken sich zwischen Baumfarnen und Bananenstauden stolze Palmen bis zur Decke, als wollten sie mit den Blättern zaghaft an die Scheiben klopfen. Am Fuße der Palmen breiten sich Beete aus Primeln, Aschenblumen und Trompetenzungen aus, hier und da auch Bodendecker, Pantoffelblumen oder Gloxinien, während an den Felswänden Orchideen ins Auge fallen.

Diana-Gewächshaus in den Königlichen Gewächshäusern im Schlosspark von Laeken.
Die hohe Luftfeuchtigkeit verleiht dem Wintergarten, der in 36 Metern Höhe mit der knapp 42 Meter im Durchmesser großen Domkuppel eine weithin sichtbare Krone trägt, einen leicht moderigen Geruch. Was ganz sicher nichts damit zu tun hat, dass König Leopold II. im Jahre 1909 dort zwischen all den Pflanzen und Blumen, die er mit viel Liebe und Sachverstand zusammengetragen hatte, das Zeitliche segnete. Auch Romain mit seinem überschäumenden Gärtnerherz merkt fast schon theatralisch an, dass er sterbensverliebt in die Königlichen Gärten sei. Ein Gefühl, das er mit den bis zu 120.000 Besuchern pro Jahr teilen dürfte. Denn die Königlichen Gärten entpuppen sich als eine kleine botanische Weltreise unter einem Glasdach, die zu einem Erlebnis für alle Sinne wird.