Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Bremer Camping-Experte "Campingurlaub ist weder unhygienisch noch unbequem"

Die Pandemie hat der Campingbranche mächtig Auftrieb verschafft. Was eingeschworene Camper vom Zulauf und neuen Trends halten, weiß der Vorsitzende des Camping Club Bremen.
20.08.2024, 05:00 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Von Ulrike Troue

Herr Woltmann, Übernachtungen in der Natur werden immer beliebter, auch Glamping, also Schlafen in komfortableren Unterkünften als im Zelt. Was sagen überzeugte Camper zu diesem Trend?

Michael Woltmann: Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt Camper, die Campingurlaub sehr spartanisch im Zelt ausüben, aber natürlich hat sich Camping weiterentwickelt. Als in den 1930er-Jahren die ersten Wohnwagen aufkamen, wurde auch gefragt, ob das noch Camping ist. Ich persönlich würde mich nicht an der Begrifflichkeit abarbeiten. Jeder soll auf die Weise Urlaub machen, wie sie ihm gefällt. Die Notwendigkeit von Mietunterkünften wird meiner Meinung nach wegen der Elektrifizierung eher steigen, weil ein E-Auto den 1,5 Tonnen schweren Wohnwagen wohl nicht über den Brenner nach Italien zieht.

Wie reagiert der Camping Club Bremen darauf?

Wir ignorieren den Glamping-Trend geflissentlich. Wir betreiben ein ehrenamtliches Konzept. Uns ist wichtig, bezahlbaren Urlaub für jeden anzubieten und dass Familien die Chance haben, kostengünstig Urlaub zu machen. Bei uns ist jedes Kind unter 18 Jahren kostenlos. Auch unsere Ausstattung spielt sich in anderen Sphären ab.

Lesen Sie auch

Ist Urlaub im Zelt oder klassischen Wohnwagen, auch vor dem Hintergrund, dass immer mehr Wohnmobile Campingplätze ansteuern, noch zeitgemäß?

Es gibt wieder mehr Zelter, die sich bewusst dafür entscheiden. Zelten sehe ich eher im Aufwärts- als im Abwärtstrend. Und Campingurlaub ist seit Corona immer mehr geworden. Auf einigen Plätzen führt das zu einem Verdrängungswettbewerb, das Angebot im Niedrigpreissegment geht zurück. Viele unternehmen Radtouren mit dem E-Bike und Zelt. Zelten ist die ursprünglichste Form von Camping und wird nie aussterben. Ich glaube, dass jede Form des Campings seine Berechtigung und leidenschaftliche Anhänger hat.

Lesen Sie auch

Welche Mindeststandards müssen Campingplätze heutzutage bieten?

Der Deutsche Camping-Club hat die Klassifizierung der Campingplätze erfunden. Eine Mindestvoraussetzung für einen Stern sind vernünftige, saubere und der Gästezahl entsprechende Sanitärgebäude, möglichst barrierefrei. Auch Wasser und Strom müssen vorgehalten werden. Heute kommt keiner mehr, der sein Handy nicht auf dem Platz aufladen kann.

Welche Angebote sind schon Luxus?

Dazu zähle ich Plätze mit großen Spielplätzen, einer oder mehreren Bademöglichkeiten und einem Gastronomieangebot, teilweise mit mehreren Betrieben und internationalen Speisen. Campingplätze mit Kinderanimation liegen ebenfalls im Bereich von vier, fünf Sternen.

Es gibt es wohl keine andere Urlaubsform, die so klischeebehaftet ist. Was sagen Sie zum Beispiel dazu, dass Campen mit Billigurlaub gleichgesetzt wird?

Da sollte man sich mal die Preise ansehen. In beliebten Urlaubsregionen werden Übernachtungspreise von Campingplätzen aufgerufen wie von Hotels. Es geht dabei doch mehr um die Art und Weise, wie man Urlaub machen möchte, als um die Frage des Preises. Camping ist eine andere Art zu reisen. Mit dem Wohnmobil oder Wohnwagen habe ich mein eigenes Zuhause dabei und will auf der eigenen Matratze schlafen.

Lesen Sie auch

Was entgegnen Sie auf das Vorurteil, Camping sei unbequem und unhygienisch?

Was soll daran unhygienisch sein? Die sanitären Anlagen auf einem Campingplatz sind genau so gepflegt wie öffentliche Sanitäranlagen und werden regelmäßig gereinigt. Campingurlaub ist weder unhygienisch noch unbequem. Im Gegenteil. Um Spülen, Kochen oder Wäschewaschen kümmert man sich doch selbst. Und es gibt inzwischen aufblasbare Betten mit Lattenrost für Zelte. Man muss nicht mehr auf der Isomatte auf dem Boden schlafen.

Lange Zeit wurden Camper als ältere Herrschaften mit spießigen Ansichten eingestuft. Wie würden Sie das Campervolk von heute beschreiben?

Camper sind ein Querschnitt unserer Gesellschaft. Auf dem Campingplatz sind genauso wie im Hotel Spießer, weltoffene oder flexible Menschen zu finden. Camper sind nicht nur ältere Menschen. Es gibt viele Familien, die diese Form von Urlaub als sehr entspannend erleben und schätzen. Die Kinder finden überall andere Kinder zu Spielen, auch über Altersgrenzen hinweg. Das habe ich als Vater von Zwillingen selber so kennengelernt.

Was verbinden Sie persönlich mit Camping-Urlaub?

Für mich war immer Unabhängigkeit wichtig, im Zweifel weiterfahren zu können, wenn es mir nicht gefällt. Beim Camping nimmt man sein eigenes Heim mit. Ich habe schon alles ausprobiert, Zelt, Wohnwagen, auch Mietunterkünfte. Ich schlafe auch nicht gern im Hotel, auf gebrauchten Matratzen. Außerdem mache ich mein Essen gern selber. Ich liebe es, stundenlang zu grillen oder zu angeln. Und ich mag die Nähe zur Natur, man hat mehr mit Tieren zu tun. Auch mal mit Mücken oder diesen Sommer mit Nacktschnecken.

Was raten Sie Menschen, die zum ersten Mal campen wollen?

Man sollte sich bei denen Rat holen, die sich auskennen. Ich erlebe immer wieder, wer zum ersten Mal campt, bringt den halben Hausstand mit und fährt wieder, ohne drei Viertel davon überhaupt gebraucht zu haben. Auch auf schlechtes Wetter sollte man eingestellt sein. Im Internet gibt es gute Anfängertipps, bei unserem Dachverband, dem Deutschen Camping-Club, oder auf Camperstyle. Landesverbände bieten auch ein "Welcome Wochenende" zum Kennenlernen an.

Das Gespräch führte Ulrike Troue.

Info

Laut Statista war in 2021 für 11,49 Millionen Camping die bevorzugte Urlaubsform. Das ist eine Steigerung von mehr als 5,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr und bedeutet, dass 15,86 % der Deutschen einen Campingurlaub gegenüber einem Hotelaufenthalt bevorzugen.In Bremen beträgt der Anteil der Camper an der Gesamtbewohnerzahl 13,85 Prozent.

Zur Person

Michael Woltmann

hat mit zwölf Jahren sein erstes Zelt bekommen und ist Vorsitzender des Camping Club Bremen. Der Traditionsverein betreibt zwei Campingplätze nach einem ehrenamtlichen Konzept und zielt auf Familienfreundlichkeit ab. Der 47-jährige Familienvater und Camping-Experte füllt das Ehrenamt seit 2008 mit Unterbrechung inzwischen seit neun Jahren aus.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)