Girona. Nirgendwo, so sagt man im Rest Spaniens, seien die Spanier preußischer als oben im Nordosten der Iberischen Halbinsel, in der autonomen Region Katalonien. In der katalanischen Sprache gibt es dafür einen Begriff, der heißt „seny“ und bedeutet in etwa so viel wie gesunder Menschenverstand oder kühle Vernunft. Er beschreibt die nüchterne, pragmatische Weltsicht der Einwohner der vier Provinzen Barcelona, Girona, Tarragona und Lleida, die das wirtschaftliche Rückgrat des Landes bilden.

Die Castellers de la Vila de Gracia bauen einen menschlichen Turm
Doch es gibt auch das Gegenteil: die „rauxa“, den Ausbruch, die Leidenschaft, die gelegentlich auch die Katalanen überkommt. Besonders auf den vielen traditionellen Festen, wenn die „Sardanes“ im Reigen getanzt werden, Türme oder „Castells“ aus mehreren Dutzend Menschen gebaut werden oder – weit oben in den entlegenen Dörfern am Südhang der Pyrenäen – zum Johannisfest am 23. Juni bei den „Falles d‘Isil“ in der Dunkelheit Männer und Frauen mit brennenden Baumstämmen auf dem Rücken die Berge hinunterlaufen.
Gegensätzlich und bisweilen extrem sind auch die Landschaften der Region. Vom Hochgebirge in den Pyrenäen bis zur Sumpflandschaft im Ebro-Delta, von der Metropole Barcelona bis hin zu den zauberhaften, kleinen Städtchen im Hinterland, gibt es in Katalonien viel zu entdecken, insbesondere für einen Urlaub im Wohnmobil. Nicht ohne Grund ist die Region in diesem Jahr Partnerland des Caravan-Salons in Düsseldorf. Unter dem Titel „Grand Tour de Catalunya“ haben die Touristiker des Landes verschiedene Routenvorschläge zusammengestellt.

Die "Plaça de la Independència" in Girona
Girona
Als Start und Ziel bietet sich zum Beispiel die Stadt Girona an. Im Gegensatz zur überlaufenen Metropole Barcelona lässt sich die Stadt, die auch von Bremen aus angeflogen wird, auch mit dem Camper sicher und komfortabel erkunden. So bietet Girona am Fluss Ter in der Nähe des „Parc de la Devesa“ einen kostenlosen Stellplatz für Wohnmobil-Touristen. Von dort ist es ein kleiner Spaziergang durch den Park ins Stadtzentrum mit all seinen Sehenswürdigkeiten: Beeindruckend sind die Kathedrale mit der gigantischen Vortreppe und der Westfassade, die arabischen Bäder und das jüdische Viertel. Nicht zufällig wurde unter anderem dort die Serie „Game of Thrones“ gedreht.

Blick auf die Altstadt von Girona
Doch schon vor Hollywood galt: „Iberer, Römer, Araber, Juden, hier haben viele Kulturen ihre Spuren hinterlassen“, erklärt Stadtführer Lorenzo Ramirez (63), der in München aufgewachsen ist und nun deutsche Touristen durch seine Heimatstadt führt. Sehenswert ist auch der Blick von der Pont de les Peixateries Velles (Brücke der alten Fischhändler), einem Stahlbau über den Fluss Onyar, den Gustave Eiffel 1876 entworfen hat, auf die bunten Gebäude der Altstadt. In den Restaurants unter den Arkaden an der „Plaza de la Independencia“ lässt sich ein Girona-Besuch kulinarisch abrunden. Die Stadt ist trotz ihrer vielen Reize bis auf die Zeit der „Temps de Flors“ (Blumenfest) im Mai nicht überlaufen.

Die Westfassade der Kathedrale von Girona
Von Girona führt eine Route hinauf in den Norden nach Banyoles. In den Tiefen des dortigen Sees „Pla de l‘Estany“ soll laut einem katalanischen Kinderlied angeblich ein feuerspuckendes Ungeheuer leben. Auf den Stegen nahe des Ufers liegen kleine Hütten und Badehäuser, von denen im 19. Jahrhundert wohlhabende Städter ein erfrischendes Bad nahmen. Im nahen Besalú lockt hinter einer spektakulären römischen Brücke eine malerische Altstadt mit engen Gassen und jüdischen Bädern. Bis zur Vertreibung der Juden aus Spanien im Jahr 1492 – dem Jahr der Wiederentdeckung Amerikas – war Besalú ein Zentrum jüdischer Kultur in Katalonien.
Albanyà
Östlich erheben sich die erloschenen Vulkankegel der Alta Garrotxa, im Norden türmen sich an der Grenze zu Frankreich die Pyrenäen auf. Hoch oben in Albanyà wird es nachts dunkler als an den meisten Orten in Europa. Warum das so ist, erklärt Esteve Guerra, der Besitzer des „Camping Bassegoda Park“. „Das Tal schützt uns vor dem Lichteinfall der entfernten Städte. Und alle Dörfer hier halten die Lichtverschmutzung so gering wie möglich.“ Der Himmel dort ist von Sternen übersät. Betrachten kann man sie mit bloßem Auge oder – anschaulich erklärt – spätabends bei einer Vorführung im angrenzenden Observatorium.

Die Sternen-Show im Observatorium von Albanyà
Am Talausgang liegt das Städtchen Figueres, dessen berühmtester Sohn Salvador Dalí seiner Kunst und sich selbst in einem ehemaligen Theater ein Denkmal gesetzt hat. Zusammen mit dem Landsitz Púbol und dem Sommerhaus in Portlligat bei Cadaqués bildet das Museum ein Dalí-Dreieck.

Das Dali-Museum in Figueres
Cadaqués
In den Bildern des großen Surrealisten und Exzentrikers finden sich auch immer wieder die bizarren Felsformationen am Cap de Creus wieder. Die Halbinsel ist heute ein Naturpark und lädt zu Wanderungen und zum Bad in den unzähligen Buchten ein. Sehenswert – aber in den Sommermonaten leider völlig überlaufen – ist das Künstlerdorf Cadaqués, in dem neben Dalí auch Picasso, der Schriftsteller Gabriel García Márquez und der niederländische Rockmusiker Herman Brood regelmäßig ihre Zeit verbrachten. Camping ist im Naturpark allerdings strikt verboten und Cadaqués selbst verfügt nur über einen kleinen Stellplatz. Daher bietet es sich für Wohnmobil-Touristen an, ein Übergangsquartier in den zahlreichen Plätzen an der Bucht von Roses anzusteuern. Empfehlenswert ist dabei der „La bellena alegre“, der nachhaltigste Campingplatz Europas mit Solarenergie, Geothermie und Wasseraufbereitung, in Sant Pere Pescador.

Die Bucht von Cadaqués Ansicht
Pals
Weiter südlich ist das idyllische mittelalterliche Dorf Pals im Hinterland einen Stopp wert. Davon, dass der Dorfkern im Spanischen Bürgerkrieg von franquistischen Truppen völlig zerstört wurde, ist heute nichts mehr zu spüren. Stattdessen atmet die Stadt den Geist der Reisbauern, die jahrhundertelang in den Sümpfen des Umlandes anbauten. An der Küste wird in Buchten bei Begur, Calella de Palafrugell und besonders auf dem 40 Kilometer langen Straßenabschnitt zwischen Sant Feliu de Guixols und Tossa de Mar deutlich, warum die Costa Brava keineswegs brave, sondern wilde Küste bedeutet. Sie ist immer wieder von zerklüfteten Felsformationen, idyllischen Buchten und traumhaften Stränden unterbrochen.

Pals
An der Küste von Port Bou bis Blanes entlang führt auf historischen Schmugglerpfaden der fast 200 Kilometer lange Wanderweg Cami de Ronda. Ein traumhaft schönes Erlebnis, als Etappe oder auch als Ganzes.